Selbstfindungsphase:Auf Schnuppertour

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Aus der Distanz gewinnt man neue Perspektiven – auch auf den künftigen Berufsweg. (Foto: Chuck Pefley/Mauritius Images)

Nach dem Abitur wissen viele nicht weiter. Ein Kurzzeit-Studium im Ausland hilft dabei, seinen Weg zu finden.

Von Eva Casper

Welches Studium ist das richtige für mich? Für viele Abiturienten ist diese Frage noch offen, selbst wenn sie schon ihre Zeugnisse in den Händen halten. Manche gehen ins Ausland, betreuen als Au-pair Kinder, erkunden mit dem Rucksack fremde Länder oder machen ein Praktikum. Und hoffen, dass sie am Ende der Reise eine Antwort gefunden haben. Der Trend zum Auslandsaufenthalt ist ungebrochen. Eines der neueren Angebote auf der Palette der Selbstfindungsreisen ist das Schnupperstudium im Ausland.

Dabei schreibt man sich für ein oder mehrere Semester an einer ausländischen Universität oder Hochschule ein und kann sich dann einen individuellen Stundenplan erstellen. Mit allen Fächern, die für ein zukünftiges Studium potenziell interessant sind. Das Ganze soll Orientierungshilfe zur richtigen Studienwahl und Auslandserfahrung miteinander verbinden.

Colin Michelfelder büffelte ein Semester lang am Ohlone College in Fremont in Kalifornien. Bevor er die Reise über den Atlantik antrat, ging es ihm wie vielen Abiturienten in seinem Alter: Er machte seinen Abschluss mit 17 in der Nähe von Stuttgart und war erst mal ratlos: "Ich dachte, in Richtung eines Wirtschaftsstudiums zu gehen, aber ich wollte auch unbedingt mal in die USA." Schließlich stieß er auf das Angebot "Campus Experience" von Travelworks, einer Agentur, die auch Work & Travel, Praktika und Au-pair-Reisen vermittelt. Die Anbieter zogen das Programm als Angebot für die zunehmende Anzahl minderjähriger Abiturienten auf. Aber auch, weil das Interesse an ausländischen Bildungssystemen gestiegen sei, sagt Travelworks-Sprecherin Tanja Brandt.

Anbieter College Contact sieht ebenfalls eine höhere Nachfrage in diesem Bereich. "Seit zwei bis drei Jahren spüren wir in unserer Beratung eine gezielte und stetig zunehmende Nachfrage nach 'Academic Gap Year'-Programmen im Ausland", sagt Geschäftsführerin Alexandra Michel. Der Grund sei vor allem die durch G 8 verkürzte Schulzeit. Zum einen bleibe dadurch weniger Zeit, während der Schulzeit einen Highschool-Aufenthalt im Ausland zu machen, zum anderen seien viele mit der frühen Entscheidung für den richtigen Studiengang überfordert. "Sie nutzen die Zeit im Ausland, um das Studentenleben kennenzulernen und in Ruhe herauszufinden, in welche fachliche Richtung sie gehen möchten", sagt Michel.

Neben den teils hohen Kosten ist die Auswahl der Gastfamilie ein heikler Aspekt

Dennoch ist das Schnupperstudium im Ausland derzeit eher ein Nischenprodukt. Das dürfte auch an den hohen Preisen liegen: Das eine Semester, das Michelfelder belegte, kostete 16 000 Euro, Lernmaterial und Verpflegung außerhalb der Gastfamilie nicht inbegriffen. Kanada oder Großbritannien sind indes für weniger als die Hälfte zu haben. Für Jugendliche mit weniger gut situierten Eltern bieten einige Anbieter auch Stipendien an. Kennenlernen kann man den Studienalltag in Programmen, die unter anderem in den USA, Neuseeland, Australien, Kanada und Großbritannien angeboten werden - aber auch Länder in Asien, Afrika und Südamerika sind dabei. Meist wohnen die Studenten bei einer Gastfamilie oder im Studentenwohnheim.

Michelfelder hatte sich für das Ohlone College entschieden, weil es einen Schwerpunkt auf BWL hat. Da er unbedingt sein Englisch verbessern wollte, belegte er zwei Englisch-Kurse und einen BWL-Kurs. Ich hatte dort eine Zwölf-Stunden-Woche", sagt Michelfelder. Da blieb noch viel Zeit zum Reisen und Freundetreffen. Er wohnte bei einer Gastfamilie, mit der er sehr zufrieden war.

So viel Glück haben nicht alle. Katharina Sassenrath, 18, aus Neuss war im Herbst 2015 für ein Semester am Seattle Central College und wechselte gleich nach den drei Wochen ihre Gastfamilie, weil sie sich mit den Gasteltern nicht verstand. "Bei Auslandsaufenthalten erzeugen Gastfamilien die meisten Beschwerden", berichtet Barbara Engler von Aktion Bildungsinformation (ABI), einem Verein, der kostenlose Beratung zu Sprachreisen oder Gastaufenthalten anbietet. Mit seiner Gastfamilie solle man frühzeitig Kontakt aufnehmen und dabei ausloten, ob man zusammenpasst, rät Engler. Im Vorfeld solle man darauf achten, dass der Veranstalter seinen Sitz in Deutschland hat. Denn dann gilt das deutsche Reiserecht, und man kann im Fall gravierender Mängel fordern, dass diese behoben werden, und Schadenersatzansprüche geltend machen. Um seriöse Anbieter zu erkennen, hilft ein Blick ins Impressum der Webseite und in die Geschäftsbedingungen. Wie hoch ist die Stornierungsgebühr? Welche Einreisebestimmungen gibt es? Welche Verhaltensregeln gibt es an meiner Uni? All das muss einem der Veranstalter mitteilen, und man sollte es vor Vertragsunterzeichnung unbedingt prüfen.

Zwei bis drei Monate sollte man für Bewerbung und Vorbereitung einer solchen Reise einplanen. Semesterstart ist je nach Land und zum Teil auch nach Bundesstaat unterschiedlich. Man sollte sich gut überlegen, wo man hinwill und welche Fächer einen interessieren, rät Sassenrath, damit das Programm auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten werden kann. Nicht alle Hochschulen nehmen 17-Jährige auf, darauf sollte man zu Beginn der Planung achten. Eine aufwendige Bewerbung, wie zum Beispiel bei einem Au-pair-Aufenthalt, ist nicht notwendig. Anmeldeformular, Abschlusszeugnis, Sprachtest und Visum - mehr braucht es für die Bewerbung nicht.

Viele wissen nach der Rückkehr immerhin, wie der nächste Schritt in Richtung Beruf aussieht

Andrea Kick von der Studienberatung der Technischen Universität München (TUM) warnt allerdings davor, aus einem solchen Auslandsaufenthalt Rückschlüsse auf ein Studium in Deutschland zu ziehen: "Ein Erstsemester in den USA hat null Überschneidung mit einem Semester an einer Universität oder Hochschule in Deutschland." Wer zum Beispiel Ingenieur werden will, steigt bei einem deutschen Studium fachlich sofort voll ein. In den USA dagegen absolviert man zunächst ein Grundstudium, das darauf abzielt, ein fundiertes Allgemeinwissen aufzubauen.

Für Michelfelder war das Semester ein Gewinn: Sein Englisch sei jetzt viel besser, und er habe durch seine Gastmutter sogar noch ein wenig Spanisch gelernt, sagt er. Auch Sassenrath ist zufrieden: "Ich würde es auf jeden Fall wieder machen." Man solle sich von dieser Zeit aber nicht die ganz große Einsicht erhoffen, nach der man dann sein weiteres Leben ausrichtet. Zu ihrem jetzigen Medizinstudium kam Sassenrath vor allem durch ein anschließendes Praktikum in einem Krankenhaus, das sie nach dem College-Semester in Deutschland machte. Aber ihre Zeit in Seattle gab ihr bereits einen Stupser in diese Richtung: Ihr Psychologie-Kurs hatte viel mit Medizin zu tun. Das gefiel ihr gut.

Auch Michelfelder hat direkt nach seinem College-Semester eine Wahl getroffen: BWL sei doch nichts für ihn. Er will sich in Deutschland für ein Studium zum Wirtschaftsingenieur bewerben.

Folgende Programme und Anbieter stehen für das Schnupperstudium im Ausland zur Wahl: "Academic Gap Year" /College Contact, www.college-contact.co m; "Campus Experience" /Travel-Works, www.travelworks.de; "Schnupperstudium in den USA" /GLS Sprachenzentrum, www.gls-sprachenzentrum.de; " Gap Year" /International Education for Global Minds (IEC), www.ieconline.de; "USA Community College" /AFS Interkulturelle Begegnungen, www.afs.de

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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