Selbstfindungsphase:Alle Wege offen

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Nach der Schule beginnt eine spannende Zeit. Soll man erst mal reisen, eine Ausbildung machen oder gleich studieren? Drei Abiturienten berichten von ihrer Wahl.

Von Christiane Bertelsmann

Viele Schulabgänger legen nach der Schule eine Pause ein: Anstatt gleich ein Studium oder eine Berufsausbildung anzufangen, engagieren sie sich bei Freiwilligendiensten, sie jobben, reisen oder sammeln in Praktika Berufserfahrungen. Das ist ein Ergebnis des Studienberechtigtenpanels des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung Hannover (DZHW). Zwischen 2012 und 2015 stieg der Anteil von Studienberechtigten, die sich erst mal für eine Übergangstätigkeit entschieden, von 25 auf 30 Prozent. "Als Motivation dafür hören wir in den Befragungen den Wunsch heraus, eine Auszeit nehmen zu wollen, oder aber eine gewisse Unschlüssigkeit, was den weiteren Berufs- oder Ausbildungsweg angeht", sagt Andreas Woisch, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim DZHW. "Beide Aspekte haben als Grund für eine verzögerte Studien- oder Ausbildungsaufnahme in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen." Übrigens nehmen laut der Studie vergleichsweise häufig Frauen sowie Studienberechtigte aus einem akademischen Elternhaus eine solche Übergangstätigkeit nach der Schule auf.

Dennoch zeigt das Panel, dass die Hälfte der Studienberechtigten tatsächlich direkt nach der Schule ein Studium anfangen. 16 Prozent machen eine Berufsausbildung - drei Prozentpunkte weniger als 2012. "Inwieweit sich diese Trends verfestigen, werden wir auf Basis weiterer Studienberechtigtenjahrgänge analysieren. Derzeit befragen wir die ehemaligen Schülerinnen und Schüler des Abschlussjahrgangs 2018 zu ihren nachschulischen Werdegängen", sagt DZHW-Mitarbeiter Woisch.

Mit einem Zweitstudium wieder in den Lernfluss gekommen

Henrik Lüsebrink, 20, hat im Jahr 2016 in Emmendingen bei Freiburg Abi gemacht. Er studiert in Köln Wirtschaftsmathematik, zugleich im Fernstudium Psychologie:

"Mathe hat mir in der Schule immer Spaß gemacht, meine Noten waren gut, und ich fand das Fach interessant. Deshalb habe ich mir kurz überlegt, Mathe zu studieren. Freunde haben mir aber dann abgeraten, weil das Studium sehr abstrakt ist. Ich habe verschiedene Tests gemacht, die ich auf den Seiten der Unis und im Internet gefunden habe. Dabei ist herausgekommen, dass Wirtschaftsmathematik zu mir passen könnte. Die Berufsperspektiven sind gut. Ich würde gerne später etwas in Richtung Teamleitung machen.

Henrik Lüsebrink jobbte erst mal und fuhr nach Südamerika, bevor er sich an der Uni einschrieb. (Foto: Privat)

Ich habe nicht direkt nach dem Abi mit dem Studium angefangen, erst ein Jahr später. Denn ich hatte ursprünglich den Plan, zur Bundeswehr zu gehen. Ich habe mich beworben, aber das hat nicht geklappt, weil es keine klaren Auskünfte zu freien Stellen gab. Stattdessen habe ich mir einen Job gesucht und acht Monate gearbeitet. Von dem Geld habe ich mir eine Südamerika-Reise gegönnt. Acht Wochen war ich dort, bei einem Freund in Bolivien, dann allein in Peru. Von da aus habe ich mich für das Studium beworben. Mein Wunsch war, in Köln zu studieren. Bis ich acht Jahre alt war, habe ich in Köln gelebt, ich kenne dort noch viele Leute.

Im Wintersemester 2017 fing mein Studium in Köln an. Der Anfang war hart, ich kam nicht so richtig in den Lernfluss rein. Ich habe mir dann überlegt, dass mir ein zweites Studium, das mir richtig Spaß macht, helfen könnte, wieder ins Lernen zu kommen. Ich habe mich für Psychologie entschieden. Weil mein Abischnitt nicht für den Numerus clausus gereicht hat, habe ich mich an der Fernuni Hagen für einen Kurs in Psychologie eingeschrieben. Seitdem läuft es besser mit dem Lernen.

Was ich anderen raten würde, die nach dem Abitur auch noch nicht ganz genau wissen, was sie machen sollen: Lieber erst mal was anderes kennenlernen. Viele, die gleich nach der Schule an die Uni gegangen sind, die sind sozial einfach noch nicht so weit. Andererseits - man ist direkt nach dem Abi in einem guten Lernfluss. Aber auch in den kann man wieder reinfinden, und wenn es über den Umweg mit einem Zweitstudium ist, so wie bei mir."

Zum Vorsprechen fürs Theater in drei Länder

Joelina Spieß , 20 , hat im Juni 2017 in Berlin Abi gemacht. Seitdem bewirbt sie sich an Schauspielschulen:

Joelina Spieß, die unbedingt Schauspielerin werden will, gibt das Abitur ein Gefühl von Sicherheit. (Foto: Privat)

"An manchen Tagen bricht für mich absolut die Welt zusammen, wenn ich von einer Schauspielschule eine Ablehnung bekommen habe. Ich bewerbe mich seit zwei Jahren an Schauspielschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Oft komme ich in die zweite Runde. Aber ich habe noch keine Zusage für einen Platz bekommen.

Ich weiß schon seit der elften Klasse, dass ich auf eine Schauspielschule möchte. Ich will als Schauspielerin am Theater arbeiten, ohne Schauspielstudium ist das aber aussichtslos. Mit Schauspiel angefangen habe ich in der Schule, da gab es einen Theaterkurs, der auch zur Abinote zählte. Das hat Spaß gemacht, aber ich habe schnell gemerkt, dass mir das nicht reicht. Ich möchte mehr lernen, mehr Tiefe. Also habe ich schon vor dem Abitur an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch vorgesprochen - meine Traumschule übrigens. Ein Schauspielschüler hat mir beim Vorbereiten für das erste Vorsprechen geholfen. Er wollte mich sogar überreden, dass ich mit der Schule aufhöre, damit ich mich besser auf das Vorsprechen konzentrieren kann. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich das nicht gemacht habe, weil es für mich ein beruhigendes Gefühl ist, mein Abitur im Rücken zu haben. Sollte sich mein Traum von einem Schauspielstudium nicht erfüllen, kann ich immer noch auf ein theoretisches Studium an einer Universität zurückgreifen.

Der erste Vorsprech-Termin fiel genau in die Abizeit. Es lief gut, allein das Vorsprechgefühl war so schön, ein Adrenalin-Ding; es war, als ob ich fliegen könnte. Ich kam in die zweite Runde. Da musste ich vor 30 Dozenten vorsprechen, das war mitten in den Leistungskurs-Klausuren. Es hat leider nicht geklappt, das war schlimm. Dennoch war mir klar, dass ich weitermachen will. Meine Mutter hilft mir sehr und bestärkt mich. Sie hat mir für die Reisen zu den Schauspielschulen eine Bahncard geschenkt, damit es nicht so teuer ist. Seit Mai 2018 jobbe ich in einem kleinem privaten Theater am Einlass, so kann ich die teuren Reisen finanzieren.

Von September 2018 bis Mai 2019 habe ich zwölf Einladungen fürs Vorsprechen. Mein Freundeskreis hat sich in dieser Zeit sehr verändert. Von vielen Schulfreunden habe ich mich verabschiedet, bewusst. In dieser Phase kann man nicht darüber reden, wann man das nächste Mal feiern geht. Ich fühle mich von den Menschen, die das Gleiche wie ich tun, besser verstanden. Viele meiner neuen Freunde wollen auch auf die Schauspielschule. Die haben Verständnis, wenn man nach einer Absage drei Stunden durchheult. Oder wenn man Stimmungsschwankungen hat. Was mir hilft: Ich gehe oft ins Theater und schau mir was an. Dann denke ich: 'Ja, da möchte ich auch mal stehen.' Das motiviert mich. Auch wenn die Zeit mühsam ist - mit einem Plan B fange ich erst gar nicht an. Ich will hören: ,Ja, wir nehmen Sie.'"

Mit einer handfesten Ausbildung eine gute Gastgeberin werden

Amelie Ribbe, 20, hat im Juni 2018 in Hamburg Abitur gemacht. Im Februar dieses Jahres hat sie eine Ausbildung als Hotelfachfrau begonnen:

Amelie Ribbe weiß, dass es in der Hotellerie stressig werden kann. Doch das Lob der Gäste baut sie auf. (Foto: Privat)

"Ein Gast in dem Café, in dem ich als Schülerin gejobbt habe, hat den entscheidenden Satz zu mir gesagt: Er könne sich super vorstellen, dass ich in einem großen Hotel an der Rezeption arbeite - weil ich freundlich und kommunikativ bin. Das hat mich ins Nachdenken gebracht, weil ich damals noch nicht so richtig wusste, was ich nach dem Abitur machen sollte. Als dann eine Freundin meiner Eltern meinte, dass Hotellerie vielleicht das Richtige für mich wäre, war die Entscheidung gefallen.

Die Richtung, in die ich mich nach dem Abi beruflich entwickeln wollte, war also klar. Immerhin! Zuerst dachte ich an ein duales Studium im Bereich Hotellerie. Ich habe auch den Einstiegstest gemacht und bestanden, aber der Ausbildungsbetrieb fehlte. Den braucht man im dualen Studium - und genau daran scheiterte es. Ich fand kein Hotel, das dazu bereit gewesen wäre. Denn die Unternehmen müssen sich ja darauf einstellen, dass man während der Uni nicht arbeiten kann. Ich war für die Bewerbung auch etwas knapp dran.

Im Nachhinein bin ich froh, dass es so gekommen ist. Denn auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen, Uni und Ausbildung, ist ein großer Stressfaktor. Dann lieber erst einmal eine Ausbildung. Doch um einen Ausbildungsplatz zu bekommen, brauchte ich Berufserfahrung, das stand auch so in den Ausschreibungen. Also habe ich ein Praktikum in einem kleinen, renommierten Hotel in Blankenese gemacht und in den zwei Monaten, die ich dort war, alle Bereiche kennengelernt. Auch in den Restaurants, die zum Hotel gehören, habe ich ausgeholfen, oft im Schichtdienst, manchmal bis zwei oder drei Uhr nachts. Das war anstrengend, aber es gab immer Leute, die einem den Rücken gestärkt haben. Die Gäste haben mich oft gelobt von wegen: Toll, dass du da bist, man merkt, dass du das mit Freude und einem Lächeln machst.

Schon während des Praktikums habe ich mich informiert, welche Hotels in Hamburg freie Ausbildungsplätze haben und mich dort beworben - erfolgreich, und das bei vielen. Ich habe mich dann für das Steigenberger-Hotel entschieden. Sie haben mich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Als ich die Zusage bekam, habe ich mich sehr gefreut. Drei Jahre dauert die Ausbildung inklusive Schule, und ich durchlaufe alle Bereiche, vom Wareneinkauf über Bankett bis zu Housekeeping und Rezeption. Ein Auslandsjahr ist nicht dabei, aber das macht nichts. Mir stehen ja nach der Ausbildung alle Möglichkeiten offen, auch im Ausland."

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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