Schulreform in Estland:Und was sprichst du?

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Integration in Estland: Ab September müssen Lehrer russisch-sprachige Schüler in der Landessprache unterrichten.

Matthias Kolb

Es war ein Denkmal aus der Sowjetzeit, das Estland in die Schlagzeilen brachte. Die Regierung ließ Ende April den "Bronzenen Soldaten" aus der Stadtmitte von Tallinn entfernen, es gab Proteste junger Russen, die in Krawallen endeten. Ein Mann wurde erstochen, Dutzende verletzt, und aus dem Kreml kamen schwere Vorwürfe: Die estnische Regierung verletze die Menschenrechte der russischsprachigen Minderheit, der fast ein Drittel der 1,3 Millionen Einwohner angehört. Viele Esten waren geschockt von den Fernsehbildern, als Teenager "Russland, Russland" rufend durch die Straßen liefen.

Der Bronzene Soldat wurde Ende April aus dem Stadtzentrum der estnischen Hauptstadt Tallinn entfernt - es gab heftige Proteste (Foto: Foto: Reuters)

"Wir wissen nun, dass Estland ein Problem hat und wir offen darüber reden müssen", sagt Katri Raik. Die Historikerin ist im Bildungsministerium für eine Schulreform verantwortlich. Von September an werden die russischsprachigen Gymnasien Schritt für Schritt immer mehr auf Estnisch unterrichten. Es beginnt für die Zehntklässler mit estnischer Literatur; Erdkunde, Musik und Geschichte sollen nach und nach folgen. Von 2011 an sollen 60 Prozent des Unterrichts in den letzten drei Klassenstufen in der Landessprache stattfinden.

Unterstützung der Lehrerverbände

Raik betont, dass die Reform seit langem beschlossen ist und die Schulen und Lehrerverbände das Projekt unterstützen.

Es habe Umschulungen gegeben, und man werde die 63 Gymnasien intensiv betreuen. "Es geht nicht darum, Russisch aus den Schulen zu verbannen, sondern die Jugendlichen besser auf das Studium und die Arbeitswelt vorzubereiten", sagt Raik.

Ähnlich sieht es Tanel Mätlik, Direktor der staatlichen Integrationsstelle. Man wolle, dass die jungen Russen auf Estnisch über wichtige Themen sprechen können. Eines der Hauptprobleme werde die Schulreform allerdings nicht lösen, prophezeit Katri Raik: "Esten und Russen leben ohne wirklichen Kontakt nebeneinander her."

Die Trennung zeigt sich auch räumlich: Die russischsprachigen Familien, die während der Sowjetzeit ins Baltikum kamen, wohnen entweder in Tallinn oder im Osten rund um Narva. Raik hat hier acht Jahre lang das Narva-Kolleg geleitet, einen Außenposten der Universität Tartu, an dem künftige Lehrer ausgebildet werden, die auf Estnisch unterrichten sollen.

Das Kolleg ist wie eine estnische Insel im russischen Meer: Nur drei Prozent der 70.000 Einwohner von Narva sind Esten. "Für mich ist Narva eine russische Stadt mit europäischer Ordnung", sagt Sebastian Lehmann, der als Lektor der Robert-Bosch-Stiftung am Kolleg unterrichtet hat. Sankt Petersburg ist näher als Tallinn und alle schauen russisches Fernsehen. "Viele meiner Studentinnen konnten sich nicht vorstellen, einen Esten zu heiraten", berichtet Lehmann.

Im Bildungsministerium ist man sich bewusst, dass Veränderungen Zeit brauchen. Zwar studieren immer mehr Russen an der Universität Tartu, der renommiertesten Hochschule des Landes, doch Vorbilder für eine gelungene Integration sind rar. Seit der Unabhängigkeit gab es keinen einzigen russischsprachigen Minister.

Inhalte werden auch verändert

Mit Prämien will die Regierung estnische Lehrer ködern, an russischsprachigen Gymnasien zu unterrichten. Auch russische Muttersprachler, die auf Estnisch lehren, sollen mehr Geld bekommen. Jeder Schüler bekommt kostenloses Lehrmaterial - inklusive einer CD, sodass auch die Jugendlichen in Narva korrektes Estnisch hören können.

Auch die Lehrmethoden und Inhalte werden nun überprüft. Gerade beim Thema Geschichte finden Esten und Russen bisher kaum einen gemeinsamen Nenner. Beide heben das Jahr 1944 hervor, doch während die Russen die Befreiung Estlands vom Faschismus betonen, sehen die Esten darin den Beginn der sowjetischen Besatzung. Daran entzündete sich der Streit um das Sowjetdenkmal, und die unterschiedlichen Sichtweisen zeigen sich auch im Schulunterricht.

Estnische Politiker sind überzeugt, dass es bei der Umsetzung der Reform keine Probleme geben wird. Journalisten in Tallinn verweisen jedoch auf die Situation in Lettland, wo 2004 der Anteil des Lettischen als Unterrichtssprache erhöht wurde. Damals gab es Demonstrationen, Lehrer traten aus Protest in einen Hungerstreik.

Sollten sich ähnliche Szenen in Estland abspielen, wären die Reaktionen vorhersehbar: Die Regierung in Moskau wird sich lautstark bei der EU beschweren, die russischen Sender werden tagelang berichten. Der Streit um das Denkmal ist noch lange nicht vergessen.

© SZ vom 27.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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