Schulreform:Die Wahl zwischen zwei Welten

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Was Eltern erleben, deren eines Kind früh aufs Gymnasium wechselte, während das andere die sechsjährige Grundschule besucht.

Jens Schneider

Die Geschichte vom Ringkampf des Zehnjährigen um die Ehre der Mutter hätte vielleicht auch an der anderen Schule, dem Gymnasium, passieren können. Die kleine Episode ist an einer Grundschule im Berliner Umland passiert. Eines Mittags kam der zehnjährige Sohn nach Hause und verkündete: "Ich musste mich heute mit Kevin prügeln!" Der Mitschüler habe ihn, so erklärte er dann, mit einem Spruch so sehr gereizt. Da zählten plötzlich alle Mahnungen der Eltern, Streit friedlich zu lösen, nicht mehr. Es ging um die Ehre der Mutter. Er sei, so hatte der Klassenkamerad ihm zugerufen, der Sohn einer räudigen Hündin.

Wo Kinder unterfordert sich, geht es gelegentlich rau zu. Hier prügeln sich zwei Jungs auf dem Schulhof. (Foto: Foto: dpa)

Der Kampf war schnell vorbei und folgenlos, die Jungen haben ihn längst vergessen. Die Eltern fanden die Geschichte eher amüsant als besorgniserregend. Aber sie erinnerte wieder daran, dass die Entscheidung über die Schule für den Zehnjährigen mehr war als eine kleine Weichenstellung. Es war die Wahl zwischen zwei Welten.

Langeweile für die Besseren

Dies ist die Geschichte einer Familie, die den Unterschied täglich erlebt. In Berlin und Brandenburg besuchen Schüler im Regelfall die sechs-jährige Grundschule, bevor über den Wechsel aufs Gymnasium entschieden wird. Als Ausnahme beginnen an einzelnen Gymnasien Klassen nach der vierten. Dafür hat sich der ältere Sohn entschieden, während der Jüngere so früh nicht wechseln wollte. Nun hören die Brüder oft verwundert die Erzählungen des anderen. Zwei Welten, das bedeutet nicht allein, dass es auf der einen Schule gelegentlich rau zugeht, während auf der anderen Ansätze von Prügeleien schnell in Debatten über Aggressionen münden. Zwei Welten, das heißt: Unterforderung da, überzogene Ansprüche hier; Langeweile für die Besseren da, Lernstress für fast alle dort.

Auf dem Gymnasium sollte der Ältere schon in der fünften Klasse eine Stunde am Tag lernen, die Hausaufgaben waren darunter ohnehin nicht zu bewältigen. Verlangt wurde auch stumpfes Auswendiglernen. Oft gab es hoch spannende Aufgaben im Deutsch- oder Geografieunterricht, die auch ein neuer Einstein ohne Elternhilfe nicht leicht erledigen könnte. Die Benotung war rigide. Manche Lehrer verblüfften die Eltern mit der Klage, dem Kind fehle Motivation, weil es nicht ständig an die Schule dachte. Auf der Grundschule gibt es auch Hausaufgaben. Wird der Sohn freilich danach gefragt, hat er das bisschen schnell erledigt, zum Wochenende gibt es gar keine. Seine Rechtschreibung ist eher experimentell, seine Noten sind dennoch meist exzellent. Es geht in Englisch oder Deutsch zäh voran. Dafür hat er den fröhlicheren Alltag, und oft wird es in der Klasse doch spannend, weil eine engagierte Lehrerin spannende Ideen hat.

Am Einsatz der Lehrer hängt viel, leidenschaftliche Pädagogen gibt es an beiden Schulen, wie auch pfiffige Schüler. Gewaltig ist der Unterschied auf Elternabenden. Auf dem Gymnasium sind die Akademiker fast unter sich. Wer sich in diesem Kreis dazu bekennt, ein Kind auf die sechsjährige Grundschule zu schicken, kann leicht auf Unverständnis stoßen. Er solle sich doch einmal anschauen, mit wem sein Kind es da zu tun habe, heißt es dann.

© SZ vom 21.04.2008/sam - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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