Schule:Lernen mit knurrendem Magen

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Wenn die Schulkantine unerschwinglich wird: Kinder von Hartz-IV-Empfängern können sich das Essen nicht leisten.

Anna Mielke

"Haben Sie sich schon mal überlegt, warum McDonald's Gerichte für einen Euro anbietet?", fragt Wolfgang Büscher vom Kinderprojekt "Die Arche" in Berlin. Vom Schulessen würden viele Kinder abgemeldet werden, oft laute die Begründung: Das Schulessen ist zu teuer. Dem Armutsbericht des Berliner Senats zufolge lebt fast jedes vierte Kind in der Hauptstadt in Armut. Vor allem Kinder von Arbeitslosen haben Probleme, das Essen in der Schulkantine zu bezahlen. Für die Mahlzeiten ihrer Kinder können Hartz-IV-Empfänger am Tag zwischen 2,57 und 3,43 Euro ausgeben, so sehen es jedenfalls die Regelsätze vor. Ein warmes Mittagessen in der Schule kostet im Schnitt aber schon zwei Euro fünfzig. Da bleibt für Frühstück und Abendessen nicht mehr viel übrig.

"Kein Kind ohne Mahlzeit": In Nordrhein-Westfalen bezuschusst ein Fonds das Mittagessen. (Foto: Foto: ddp)

In der "Arche" können Kinder kostenlos zu Mittag essen, 680 Mahlzeiten gibt das Haus in Berlin-Hellersdorf täglich aus. Der Verein hat sich darauf eingestellt, dass von Seiten der Kommune nicht viel Hilfe zu erwarten ist. Vom Bezirk bekommt die Arche 18.000 Euro pro Jahr, allein für Mittagessen verbraucht sie jedoch 250.000 Euro. Ohne Spenden wäre das nicht möglich.

Ein Sparmenü, bitte!

Oft lassen sich Schulen ihre Kantinen von Firmen beliefern. "Wir können dem Anbieter doch nicht die Preise vorschreiben", sagt ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums. Dort weiß man zwar, dass sich manche Kinder das Schulessen nicht leisten können, sieht aber nicht unbedingt die Schulen in der Pflicht, das Problem zu lösen. Stattdessen müssten die Sozialhilfeträger diese "besondere Situation der Sozialhilfeempfänger" berücksichtigen.

Vielerorts kümmern sich Schulen, Elternvereine und Sozialverbände darum, günstige Essen zu organisieren, ob nun die Trierer Nothilfe, der Sozialdienst katholischer Frauen oder die "Arche". Vieles, was Staat und Familien nicht leisten, kann durch gesellschaftliches Engagement aufgefangen werden - aber das Netz hat Löcher. Erstens gibt es nicht überall entsprechende Vereine, und zweitens muss ein Notstand überhaupt erst einmal bekannt werden. Sich Hilfe von außen zu holen, kostet die Schulleiter und die Familien Überwindung.

"Wenn uns eine Schule anrufen und sagen würde, wir brauchen dreißig Essen am Tag, dann könnten wir das sofort machen", sagt Wolfgang Büscher von der "Arche". Gerade weil es den Schulen und Kommunen oft schwerfalle, das Problem anzusprechen, müsste die Frage der Schulverpflegung zentraler gesteuert werden, etwa auf der Ebene der Kultus- und Sozialministerien. Dies sei alles eine Frage des politischen Willens, meint Beata Hoffmann vom Kinderschutzbund. "Kommunen und Länder müssen sagen: Uns liegt etwas daran." Der deutsche Föderalismus erschwere jedoch einen großen Wurf.

Schwierige Eltern

In einigen Bundesländern gibt es das Modell des Ein-Euro-Essens: Kinder von Hartz-IV-Empfängern oder Asylbewerbern brauchen für ein warmes Mittagessen nur noch einen Anteil von einem Euro zu bezahlen. Vorreiter des Modells ist Rheinland-Pfalz. "Die Schulen haben uns gemeldet, dass Kinder mit finanziellen Begründungen vom Mittagessen abgemeldet wurden", sagt der Sprecher des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums. Vor den Landtagswahlen 2006 hatte die SPD die Schulverpflegung zum Wahlkampfthema gemacht, nach der Wahl richtete sie einen Sozialfonds ein. Von einem Essen, das zwei Euro fünfzig kostet, bezahlen das Land und die Eltern je einen Euro, die Kommunen 50 Cent.

Ein ähnliches Programm soll nach den Sommerferien in Nordrhein-Westfalen anlaufen. Zehn Millionen Euro pro Schuljahr will die Landesregierung dem Fonds "Kein Kind ohne Mahlzeit" zur Verfügung stellen. Auch hier trägt das Land zwei Drittel der Kosten, ein Drittel sollen die Kommunen beisteuern. Der Fonds ist zunächst für eine Dauer von zwei Jahren geplant. Nordrhein-Westfalen will sich außerdem im Bundesrat dafür einsetzen, den Regelsatz für Kinder von Hartz-IV-Empfängern zu erhöhen.

Ob sich die Schulverpflegung über einen höheren Regelsatz besser steuern lässt, ist aber umstritten, weil man sich bei manchen Eltern nicht darauf verlassen kann, dass das Geld tatsächlich den Kindern zugute kommt. Büscher sieht bei seiner Arbeit in der "Arche" oft genug Eltern, die das wenige Geld, das sie haben, lieber für sich ausgeben und sogar die Weihnachtsgeschenke ihrer Kinder "verscherbeln".

Schuldzuweisungen an die Eltern nützen allerdings wenig. "Man muss direkt bei den Kindern ansetzen", meint Büscher, "und nicht den Umweg über die Elternhäuser gehen".

© SZ vom 30.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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