Professor für Organische Chemie:Experimentierfreude

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Wer Mathe liebt und gerne im Labor ist, könnte sich für ein Chemiestudium eignen.

Interview von C. Bertelsmann

Das Chemiestudium gilt als besonders anspruchsvoll. Dennoch wagten sich im Jahr 2013 laut einer von der Gesellschaft Deutscher Chemiker publizierten Statistik der Chemiestudiengänge 10 000 Neuanfänger ans Chemiestudium - Tendenz eher steigend. Für wen es sich eignet und welche Chancen es birgt, sagt Hans-Ulrich Reißig. Er lehrte mehr als 30 Jahre als Professor für Organische Chemie und ist in diesem Jahr in den Ruhestand getreten.

SZ: Im 2014 Jahr tourte die Chemikerin Donna Nelson, Professorin an der University of Oklahoma , durch Deutschland. Sie hielt Vorträge über ihre Beratertätigkeit für Vince Gilligan, Regisseur der mehrfach ausgezeichneten TV-Serie "Breaking Bad". Darin geht es um einen an Lungenkrebs erkrankten Chemiker, der versucht, die Finanzprobleme seiner Familie durch die Herstellung von Crystal Meth zu beheben. Was bringen Aktionen wie die von Nelson für Ihr Fach?

Hans-Ulrich Reißig: Prinzipiell finde ich es sehr gut, wenn über naturwissenschaftliche Fächer in unterhaltsamer Weise informiert wird. Frau Nelson hat ja nicht erklärt, wie man dank chemischer Kenntnisse Drogen herstellt, sondern über ihre Beratertätigkeit für die Serie informiert - und so ein weiteres Berufsfeld für Chemiker einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Dass sich Chemiker und andere Naturwissenschaftler in öffentliche Debatten einmischen, ist höchste Zeit. Zum Glück hat das Fach nicht mehr so einen schlechten Ruf wie noch vor 20 Jahren. Frau Nelson ist übrigens inzwischen zur künftigen Präsidentin der amerikanischen Chemikergesellschaft gewählt worden - ihre Popularität hat ihr also nicht geschadet, im Gegenteil.

Was sollten junge Leute beachten, die sich für das Studienfach interessieren ?

Das Chemiestudium war schon immer sehr stark strukturiert, manche sagen verschult. Die Struktur braucht es, weil sich nur so die praktischen Fähigkeiten trainieren lassen. Chemie ist nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch ein Handwerk. Man muss richtig viel lernen - die Grundlagen der Chemie wie auch die Grundlagen der benachbarten Fächer Mathematik und Physik, manchmal Biologie, sollten schon im Grundstudium, präsent sein. Wir brauchen keine Starmathematiker, aber mit der Standardmathematik sollte man gut zurechtkommen. Zum Semesterbeginn bieten viele Unis einen Brückenkurs in Mathematik an.

Ausgedehnte Praktika gehören unbedingt zu diesem Studienfach. Wer den Laborbetrieb nicht so mag, der hat eine Alternative: Er kann sich in Richtung Computerchemie entwickeln. (Foto: Klaus-Martin Höfer/Imago)

Man muss auch die Fähigkeit haben, lernen zu können und Dinge zu behalten, wie Vokabeln. Das Periodensystem hat mehr als 90 stabile Elemente, und die meisten Elemente haben viele Verbindungen. Allerdings gibt es in der Chemie viele Regeln, die das Verstehen erleichtern. Was bei uns wirklich anders ist als in anderen Disziplinen, ist der Laborbetrieb, der richtig anstrengend sein kann.

Was kommt dort auf die Stud enten zu?

Schon in den ersten Semestern verbringen die Studierenden sehr, sehr viel Zeit im Labor. Die Praktika umfassen bis zu 20 Wochenstunden. Das kann wirklich fordernd sein: Man steht, man läuft herum, man schaut. In den Laboratorien riecht es manchmal streng, trotz guter Ventilation. Man muss ähnliches Stehvermögen haben wie ein Mediziner. In den ersten Semestern haben wir deshalb einen recht hohen Schwund. Dennoch, die Laborpraktika sind unverzichtbar, um später eigenständige Forschung machen zu können.

Chemiestudenten steh en also ständig im Labor?

Nein, natürlich nur phasenweise während der Praktika. Wie in anderen Studiengängen auch, gehören auch im Chemiestudium Vorlesungen, Übungen und Vorträge zu den Studieninhalten. Wem der Laborbetrieb nicht liegt, wer aber dennoch von Chemie fasziniert ist, der kann auch in der theoretischen Chemie seine Bestimmung finden. Die Computerchemie, in der man chemische Reaktionen auf sehr hohem Niveau so rechnen kann, dass das der Realität sehr nahekommt, ist inzwischen ein unverzichtbares Instrument geworden - ob in der Forschung an der Uni oder in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Diese Richtung ist besonders für mathematisch Interessierte sehr geeignet.

Im Masterstudium gibt es mehrere Möglichkeiten sich zu spezialisieren, erklärt Hans-Ulrich Reißig. (Foto: oh)

Durch die Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem müssen nicht mehr alle alles machen, sondern man kann sich spätestens im Masterstudium spezialisieren: etwa in Richtung Life Science, medizinische Chemie, Materialwissenschaften oder Chemische Technologie, je nachdem, was die jeweilige Universität anbietet.

Welche Eigenschaften sollte man noch fürs Studium mitbringen?

Man sollte Spaß dran haben, Dinge zu generieren und zu beobachten. Die Chemie ist eine der wenigen, wenn nicht die einzige Wissenschaft, die den Gegenstand, den sie untersucht, selbst herstellen kann. Die sinnliche Komponente gehört dazu, beobachten und beschreiben zu können: Wie verfärbt sich das, warum gibt es einen Niederschlag, wie riecht das, warum ist das flüssig?

Wie viel Zeit sollte man für ein Chemiestudium veranschlagen?

Nach dem Master ist das Studium für die wenigsten schon vorüber: Fast 90 Prozent der Masterstudierenden schließen eine Promotion an. Die dauert im Schnitt dreieinhalb bis vier Jahre. Finanziert wird sie durch eine Stelle an der Uni, Stipendien oder Drittmittel. Es gibt eigentlich niemanden, der ohne Finanzierung bei uns promoviert. Insgesamt kann das Studium inklusive Promotion schon neun bis zehn Jahre dauern, und viele schließen auch noch einen Post-Doc-Aufenthalt im Ausland an, um ihre Ausbildung zu ergänzen, aber auch, weil Chemie Spaß macht.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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