Pflegekräfte:Geistreiche Therapien

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Vom Arzt zum Medizinmanager, von der Pflegerin zur Stationsleiterin: Wer eine akademische Weiterbildung macht, hat meist ein klares Karriereziel. (Foto: Imago)

Der Bedarf an gut ausgebildeten Pflegekräften wächst. Im Studium lernen sie auch moderne Behandlungs­methoden für Demenzkranke.

Von Benjamin Haerdle

Katja Kuhlmann und Julia Reinke sind Exoten, so sehen sie das. Kuhlmann kümmert sich als anleitende Pflegekraft im Ruhrlandheim Bochum um Menschen mit Handicap; Reinke ist stellvertretende Stationsleiterin auf einer kinderchirurgischen Intensivstation in Herne. Das wäre an sich nichts Außergewöhnliches, aber beide studieren an der Hochschule für Gesundheit (HSG) in Bochum den berufsbegleitenden Bachelorstudiengang "Evidenzbasierung pflegerischen Handelns". Ihre Motivation: Sie möchten ihr Wissen erweitern. Anders formuliert: "Ich möchte in dem, was ich tue, besser werden", begründet die 38 Jahre alte Kuhlmann ihr spätes Hochschulstudium.

Weiterbildungen sind in der Pflege gang und gäbe, auf akademischem Gebiet aber erst im Kommen. Seit Herbst 2017 bietet die HSG den Studiengang an. "In vielen Weiterbildungsmaßnahmen geht es um das Thema Pflegemanagement, bei denen oft Betriebswirtschaftslehre, Organisationsmanagement oder die Finanzen im Mittelpunkt stehen", sagt Studiengangsleiter André Posenau. Die Bochumer Hochschule habe dagegen einen anderen Ansatz: "Wir wollen mehr Wissenschaft in die Weiterbildung der Pflege bringen", sagt Posenau. Der Studiengangsleiter veranschaulicht dies anhand der Frage, ob kognitive Stimulanz, zum Beispiel durch das Bearbeiten von Wortspielen und Puzzles oder durch alltägliche Aufgaben wie Gartenarbeit oder Tätigkeiten in der Küche, sinnvoll ist, um die kognitiven Leistungen von Menschen mit Demenz zu verbessern.

Bisher werden derartige Gehirntrainings in der Langzeitpflege häufig nur zur Beschäftigung und nicht als pflegerische Intervention eingesetzt. "Studien zeigen aber, dass durch die Anwendung solcher Trainings bei leichten und mittelschweren Demenzen deutliche Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten, der sozialen Aktivitäten und der Kommunikation zu beobachten sind", sagt Posenau. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, wie neue wissenschaftliche Erkenntnisse den Weg in den Pflegealltag finden sollen.

In der Pflege gilt die dreijährige Ausbildung nach der Schule als Grundgerüst für die tägliche Arbeit, egal ob in Krankenhäusern, ambulanten Pflegediensten oder in stationären Alten- und Pflegeheimen. Dieses Basiswissen sollte man regelmäßig um Aufbauwissen erweitern. In Deutschland werden immer mehr und speziell ausgebildete Fachkräfte benötigt. "Es sollte jeder Fachkraft klar sein, dass einmal erworbenes Wissen für das Berufsleben nicht ausreicht", sagt Johanna Knüppel, Referentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBFK). Zwei Jahre Praxiserfahrung werden in dieser Branche vorausgesetzt, um sich weiterbilden zu können.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat für Kliniken Empfehlungen zur Weiterbildung veröffentlicht. Wer sich zum Beispiel zu einem Stationsleiter weiterbilden lassen will, muss nach der DKG-Empfehlung 720 Stunden nachweisen, 560 davon sind Unterrichtsstunden, hinzu kommen 160 Stunden Praktikum. "Eine Station zu führen ist wie ein mittelständisches Unternehmen zu leiten", sagt Sabine Girts, Geschäftsführerin des Bundesverbands Pflegemanagement. Dazu brauche es Führungs-, Konflikt- und Beurteilungskenntnisse - allesamt Managementaufgaben, die man sich nur in der Weiterbildung aneignen könne. Deswegen stehen auf dem Stundenplan auch Themen wie Betriebslehre für Krankenhäuser, Arbeits-, Zivil-, Straf- und Sozialrecht oder Psychologie und Gesprächsführung.

An der Bochumer HSG studieren Kuhlmann und Reinke mittlerweile im zweiten Semester, vier weitere stehen noch an. Schon jetzt sei der Lerneffekt enorm, sagen sie. "Es gibt so viele Dinge, die ich jetzt anders mache", sagt Katja Kuhlmann. Sie nutze nun für den Pflegealltag zum Beispiel die medizinische Leitlinie zur ambulant erworbenen Pneumonie, die sie davor kaum verstanden habe. "Ich habe daraus für unsere Station sehr viele Hinweise entnehmen können und diese in unseren Pflegestandard eingearbeitet", sagt sie. Diese Hinweise könne sie jetzt sehr viel besser nutzen, um Maßnahmen zur Vorbeugung einer Lungenentzündung planen und umsetzen zu können.

Weiterbildungsangebote auf dem Gebiet Gesundheit und Soziales hat auch die FOM Hochschule für Ökonomie und Management im Angebot. Ungefähr 3300 Studierende haben sich zum Sommersemester 2018 für die fünf Bachelor- und zwei Masterstudiengänge eingeschrieben, im Sommersemester zuvor waren es erst 2200. Die beiden beliebtesten Bachelor-Studiengänge sind Soziale Arbeit sowie Gesundheitspsychologie/Medizinpädagogik. "Der Kontakt mit Menschen, vor allem mit sozial schwachen Menschen, wird für viele Studierende immer wichtiger", sagt Andreas Goldschmidt, Sprecher des FOM-Hochschulbereichs Gesundheit & Soziales. Insbesondere Pflegekräfte entscheiden sich für diese beiden Studiengänge. Die Masterangebote Public Health und Medizinmanagement zielen auf einen anderen Interessentenkreis. Beispiel Medizinmanagement: Dafür schreiben sich etwa Oberärzte ein, die eine Managementkarriere in Kliniken anstreben oder Berufstätige, die bei Krankenkassen leitende Funktionen innehaben und noch weiter nach oben wollen.

Man muss aber nicht studieren. Auch eine Fortbildung in der Intensivpflege lohnt sich

Möglich ist das berufsbegleitende FOM-Studium aber nicht nur in der Wochenend-Version. Immer beliebter wird das Tagesstudium. "Die Pflege-Studierenden achten zusehends auf eine bessere Work-Life-Balance und studieren unter der Woche beispielsweise für zwei Tage", sagt Goldschmidt. Viele Arbeitgeber willigten in dieses Modell ein. "Die Unternehmen ringen um gute Pflegefachkräfte und sind vermehrt bereit, ihre Mitarbeiter tageweise dafür freizustellen", sagt er.

Auch auf dem nicht-akademischen Weiterbildungsmarkt gibt es neue Trends, Beispiel Intensivpflege. "Wer sich im Bereich Intensivpflege weitergebildet hat, kann seinem Arbeitgeber die Bedingungen diktieren, zu denen er ihn einstellt", sagt DBFK-Referentin Knüppel. Etliche Krankenhäuser hatten in der Vergangenheit die Anzahl der Intensivbetten massiv aufgestockt, die Taktung der Operationen beschleunigt. Das hatte zur Folge, dass der Anteil frisch operierter Patienten, die beispielsweise nach einer Vollnarkose auf einer Überwachungsstation liegen, deutlich stieg. "Die Intensivpflege ist sehr anspruchsvoll, weil man viel Technik beherrschen muss und nie voraussehen kann, welcher Notfall in der nächsten Minute volle Aufmerksamkeit verlangt", sagt sie. Dafür brauche es gut ausgebildetes Personal.

Den Anspruch, gut ausgebildet zu sein, haben sich auch die beiden HSG-Studierenden Katja Kuhlmann und Julia Reinke zum Ziel gesetzt. Die ersten beiden Multiple-Choice-Klausuren haben sie hinter sich. "Nach den beiden Prüfungen waren wir ziemlich fertig, kein Vergleich zur Schulzeit", sagt Reinke. Umso schöner sei es dann aber gewesen, zu erfahren: Beide haben ihre ersten Klausuren bestanden.

© SZ vom 22.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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