Pädagogik im Wandel:Frage der Qualität

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Hinter oft prächtigen Fassaden werden junge Menschen individuell gefördert: In Internaten feilen Pädagogen derzeit laufend an neuen didaktischen Methoden. Das Foto zeigt die Landesschule Pforta, ein traditionsreiches Internatsgymnasium in Sachsen-Anhalt. (Foto: imago)

Die Individualisierung und Globalisierung verändern auch das Leben an Internaten. Es wird viel an zeitgemäßen Angeboten und Fördermöglichkeiten getüftelt.

Von Christine Demmer

Sie liegen zwar schon Jahre zurück, doch noch immer haben viele Eltern die Vorkommnisse an der Odenwaldschule in böser Erinnerung. Dass sie seither einen großen Bogen um Internate machen, kann man allerdings auch nicht sagen. In Großstädten sei die Nachfrage der Eltern nach einem Platz im Internat für Sohn oder Tochter sogar gestiegen, versichert der Münchner Internatsberater Wolfgang Tumulka. Deshalb lädt er interessierte Eltern mehrmals im Monat nach Bremen, Hannover, Frankfurt, Berlin oder Nürnberg ein, um ihnen zu erzählen, was sie von einer Internatsunterbringung ihres Kindes erwarten können.

Warum die Eltern darüber nachdenken, hat dieselben Gründe wie eh und je. Manche sehen ihr Kind an der Regelschule unter-, andere überfordert. Und alle hoffen im Internat auf individuelle Förderung. Andere piesackt das Gefühl, sie könnten sich zu Hause nicht genügend um den Nachwuchs kümmern. Wieder andere sehen ihr Erziehungsvermögen hart an der Grenze, weil sich das Kind partout nicht in die richtige, in die gesellschaftlich erwünschte Richtung steuern lässt. Welcher an den täglichen Joint gewöhnte 14-Jährige hört schon auf zu kiffen, nur weil Vater und Mutter ihm damit ständig in den Ohren liegen? Auch ADS-Kinder können dem Familienleben ordentlich zu schaffen machen. Und natürlich gibt es auch Utilitaristen, die ihr Kind frühzeitig mit den richtigen Kontakten versehen wollen.

Die Bedarfslage ist also unverändert. Das Internat wird als Alternative zur Regelschule gebraucht, obwohl es mit Kosten von durchschnittlich 2500 Euro im Monat das Kindergeld zum Taschengeld macht. Deshalb haben auch weder die Finanzkrise 2008 noch der Skandal an der Odenwaldschule oder der Rückgang der Schülerzahlen die deutschen Internate ernsthaft erschüttert. Alle klagen zwar, dass der Markt schwieriger geworden sei. Doch kaum ein Haus musste aus finanziellen Gründen schließen. Schon deshalb, weil immer mehr zahlungskräftige Eltern aus dem Ausland - vor allem aus China, Russland und den früheren Sowjetrepubliken - ihre Kinder nach Deutschland schicken. Internate stellt das vor ein Dilemma. Denn so willkommen der Deckungsbeitrag ausländischer Schülerinnen und Schüler auch ist: Klassen mit einem hohen Ausländeranteil vertreiben die einheimischen Eltern - in Deutschland wie in England oder in der Schweiz. Viele Landschulheime haben intern bereits Quoten festgelegt. Als Privatschulen dürfen sie das. Staatliche Schulen dürfen das nicht.

"Die Internate Vereinigung" fördert Werte wie Partizipation und Selbstverantwortung

Der Markt ist das eine - die Pädagogik das andere. Nach den teils verheerenden Ergebnissen der Pisa- und Iglu-Studien ist das deutsche Schulsystem in heftige Kritik geraten. Viele Eltern erhoffen sich von Privatschulen und Internaten eine Weiterführung der von Rudolf Steiner, Kurt Hahn, Maria Montessori, Célestin Freinet, Hermann Lietz und anderen entwickelten Reformpädagogik. Den unterschiedlichen Lehren gemeinsam ist die Erziehung zu selbständigen und verantwortungsbewussten Persönlichkeiten. Dieses Ziel verfolgen inzwischen aber auch staatliche Kindergärten und Regelschulen. Das nagt mithin am einstigen Alleinstellungsmerkmal zahlreicher Internate. Folglich überprüfen viele ihre Ausgaben und suchen gleichzeitig nach neuen Wegen, um sich für Schüler und Eltern attraktiv zu machen.

So wird die Internatsschule Schloss Salem zum kommenden Schuljahr ihren Unterstufen-Standort Burg Hohenfels aufgeben und die fünfte bis zehnte Klasse in Schloss Salem zusammenführen. "Langfristig spart das Kosten", sagt Schloss-Salem-Manager Hartmut Ferenschild. Er sieht aber auch pädagogische Vorteile: "Die Zusammenlegung wird die älteren Schüler lehren, Verantwortung für die jüngeren zu übernehmen."

Peter Rösner, als Leiter der Stiftung Louisenlund auch Chef des gleichnamigen Internats im schleswig-holsteinischen Güby, baut demnächst auf seinem Gelände ein neues Schulgebäude für Grundschüler. Diese werden bereits jetzt vormittags von Louisenlunder Lehrern unterrichtet und am Nachmittag pädagogisch sinnvoll beschäftigt. Der Internatsbetrieb beginnt bisher erst mit der Klasse fünf. Sollen die Kleinsten künftig auch ins Internat dürfen? "Wir denken daran", sagt Rösner. Doch zuerst möchte er die Primarstufe mit einem großen Forscherlabor zu einer Modellschule in Schleswig-Holstein machen. Außerdem hat er mit der Etablierung seiner Mint-Klassen für mathematisch-naturwissenschaftlich begabte Neuntklässler alle Hände voll zu tun. Besondere Förderung in den Mint-Fächern bieten derzeit auch das sächsische Internat St. Afra und der Birklehof in Baden-Württemberg.

Diese Erweiterung ist klar dem Markt geschuldet, in diesem Fall dem künftigen Arbeitsmarkt für die Internatsabsolventen. "Permanent werden in den Mitgliedsinternaten neue Ansätze entwickelt, erprobt und gemeinsam diskutiert", sagt Florian Fock. Er ist Vorstandsvorsitzender bei der Nachfolgeorganisation der früheren Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime (LEH) namens "Die Internate Vereinigung", zu der sich Häuser mit reformpädagogischen Wurzeln zusammengeschossen haben. "Die Frage ist: Wie können wir gewährleisten, dass die Jugendlichen den Herausforderungen der sich permanent verändernden Gesellschaft gewachsen sind?", führt er aus. "Sie glauben nicht, wie intensiv in unseren Arbeitskreisen und Fachgruppen über Pädagogik diskutiert wird", versichert Fock. Dies bestätigt Eva-Maria Kemink. "Neue Ansätze sind schwierig", sagt Kemink, die pädagogische Referentin bei "Die Internate Vereinigung" ist. Der Ansatz, Erziehung vom Kind her zu denken, sei beileibe nicht überholt. Man müsse ihn mit neuen Inhalten füllen, ohne ein Erziehungskonzept für das Alleinseligmachende zu erklären.

Hartmut Ferenschild von der Schule Schloss Salem sieht die Lage entspannt und die Reformpädagogik immer noch eher an den Internaten zu Hause: "Von einem Durchmarsch der Reformpädagogik an den Regelschulen kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Nach Pisa wurde der Fokus auf das Messen von Kompetenzen und Kenntnissen gelegt. Aber vom häufigen Wiegen wird das Schwein nicht fett. Speziell das deutsche Gymnasium ist immer noch auf die Selektion von Schülern nach pseudo-objektiven Kriterien fixiert." Wer individualisierte Lernkultur vom Kinde aus und ein Umfeld für die Persönlichkeitsbildung suche, sei an den traditionsreichen deutschen Internaten immer noch bestens aufgehoben.

Louisenlund und Salem haben sich nicht der "Internate Vereinigung" angeschlossen. In pädagogischer Hinsicht dürften die Schulen freilich nicht weit weg liegen von den Überzeugungen der Mitgliedsinternate des Verbands, welche im "Rahmenkonzept für das Qualitätsmanagement in Internatsschulen" festgeschrieben sind. Zu den dort genannten Erziehungszielen gehören Dialog und offene Kommunikation, Kooperation und Selbstverantwortung, Partizipation und Selbstwirksamkeit sowie interkulturelle Kommunikation. Womit man dann doch wieder beim Markt wäre.

© SZ vom 18.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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