Ökonomie in der Schule:Grundkurs Wirtschaft

Lesezeit: 3 min

Wer die Finanzkrise verstehen will, braucht ein Grundwissen über Ökonomie. In Deutschland steht Wirtschaft aber nur selten auf dem Lehrplan. Was Inflation ist, können viele Schüler nicht erklären.

B. Taffertshofer

Das, was man gemeinhin Globalisierung nennt, erreicht die Schüler in Döffingen bei Stuttgart von der zehnten Klasse an. Dann beschäftigen sie sich mit Wirtschaft; und so lernen sie nun, warum eine Finanzkrise in den USA auch Ersparnisse, Renten und Arbeitsplätze der Döffinger Bürger gefährden könnte.

Schulklasse: Lehrer scheuen sich häufig, im Unterricht die komplexe Finanzwelt zu behandeln. (Foto: Foto: dpa)

Beigebracht wird ihnen das nicht nur von ihrem Lehrer und Schulleiter Bruno Metzger, auch Mitarbeiter der Sparkasse kommen in den Klassenraum. Sie wollen den 22Schülern der Klasse 10a beim "Planspiel Börse" Finanzwissen vermitteln, um sie, wie es heißt, zu "mündigen Bürgern" zu erziehen.

Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft

Das ist nicht wirklich neu, Börsenspiele haben die deutschen Banken schon lange in Schulen angeboten. Neu ist jetzt, dass die Börsen nichts mehr sind, was man als Spiel sehen möchte; und deshalb haben auch die Schüler andere Fragen, wenn die Bankberater in ihre Klassen kommen. Und Schulleiter Metzger hat derzeit seine liebe Not, den Döffinger Schülern zu erklären, wieso der Staat für die Milliardenverluste von risikofreudigen Banken aufkommen soll.

Zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft gehören Selbständigkeit und Eigenverantwortung, hat Metzger ihnen stets gesagt. Und nun muss er ihnen eine Krise erklären, in denen die Spielregeln andere sind. Immerhin aber haben Metzgers Schüler schon vor der Krise etwas über die Marktwirtschaft erfahren, und das ist nicht die Regel. Obwohl wirtschaftliche Kenntnisse für das tägliche Leben immer wichtiger werden, steht es um die ökonomische Bildung an Deutschlands Schulen nicht sonderlich gut.

Wirtschaft als Unterrichtsfach

Wirtschaftsverbände drängen daher auf Reformen. Und der Bankenverband wirbt für ein Schulfach "Wirtschaft" vom ersten Schuljahr an. Argumente lieferte ihm im Sommer eine Schülerbefragung: Lediglich vier von zehn Jugendlichen konnten den Begriff Inflationsrate erklären, nur jeder Dritte war in der Lage, die Logik von Angebot und Nachfrage zu beschreiben. "Wir wollen nicht jeden Schüler zum Betriebswirt machen, aber Wirtschaft zu einem Teil der Allgemeinbildung", sagt Manfred Weber, Geschäftsführer des Bankenverbands.

Neue Untersuchungen lassen zwar erkennen, dass die ökonomische Bildung sich in den vergangenen Jahren in Deutschland schon etwas verbessert hat. Auch die Schulbücher haben sich verändert, wirtschafts- oder marktfeindliche Ideologien, die in den siebziger Jahren noch zu finden waren, sind aus den Lehrmaterialien verschwunden. Doch während Schülern zum Beispiel in Schweden unternehmerisches Denken und Selbstverantwortung vermittelt werden, kommen hierzulande Unternehmer vor allem in den Geschichtsbüchern beim Thema "Industrielle Revolution" vor.

Auf der nächsten Seite: Warum Lehrer Wirtschaftsunterricht häufig für eine Werbeveranstaltung der Industrie halten.

Komplexe Finanzwelt

In der Bildungspolitik haben die Forderungen der Wirtschaftsverbände bisher wenig Anhänger. Zwar bekennen sich alle dazu, dass die ökonomische Bildung zum Auftrag der Schule gehöre. Darauf hat sich auch die Kultusministerkonferenz geeinigt. Aber mit der Umsetzung hält es jedes Bundesland im föderalen Bildungssystem anders.

Sieht man von Bayern und Niedersachsen ab, gibt es in kaum einem Bundesland ein eigenes Fach Wirtschaft an allgemeinbildenden Schulen. Stattdessen wird die Thematik in andere Fächer wie Geschichte, Erdkunde, Politik oder Wissenschaft integriert. Was damit im täglichen Unterricht geschieht, liegt bei den Fachlehrern, die oft wenig von Wirtschaft verstehen. Also scheuen sie sich erst recht, sich der komplexen Finanzwelt anzunehmen. Selbst in diesen Wochen, in denen die Krise allgegenwärtig ist, gibt es viele Schüler, die darüber auf dem Schulhof reden müssen - weil das Thema im Unterricht keine Rolle spielt.

Werbeveranstaltungen der Industrie

Weil sie das Wissen um die Ökonomie in die Schulen bringen wollen, bieten Wirtschaftsverbände auch Fortbildungen für Lehrer an. Diese sollen dann mit den Grundzügen der Marktwirtschaft vertraut gemacht werden, vielleicht zu vertraut, denn Lehrer, die an solchen Fortbildungen teilgenommen haben, klagen, es handele sich dabei auch um Werbeveranstaltungen der Industrie und des Handels. Und auch an den Lehrmaterialien von Firmen für den Wirtschaftsunterricht entzündet sich Kritik, weil sie Schüler subtil beeinflussen könnten.

Die Öffnung der Schulen für Unternehmen begrüßen dennoch fast alle Bildungspolitiker. Der Forscher Hans Kaminski, der das Institut für Ökonomische Bildung an der Universität Oldenburg leitet, hält die Projekte der Industrie aber allenfalls für eine Ergänzung: "Wir brauchen ein Pflichtfach Wirtschaft, weil alle Schüler ein Recht auf eine ökonomische Bildung haben", sagt er. Ein fundierter Unterricht erfordere kompetente Fachlehrer, und für diese brauche es Studiengänge an den Hochschulen. Für beides stellten Politiker allerdings nur Geld bereit, wenn es tatsächlich auch ein Unterrichtsfach "Wirtschaft" an allen Schulen gebe. Ohne Investitionen geht es also auch hier nicht.

© SZ vom 16.10.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: