Nischen-Studium:Alles Pappe? Ja, gerne

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Papiertechnik kann man nur an drei Orten in Deutschland studieren. Absolventen haben viele Berufsmöglichkeiten.

Von Theresa Tröndle

Was haben Umzugskartons, Kaffeefilter, Geldscheine, Küchenrollen und Zeitschriften gemeinsam? Sie bestehen aus Papier. Der Werkstoff ist im Alltag der Menschen unverzichtbar. Damit man umziehen, bezahlen und lesen kann, braucht es Menschen, die wissen, wie man Papier herstellt und verarbeitet. Lernen kann man das im Papiertechnik-Studium. In Deutschland ist das an drei Orten möglich. Die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Karlsruhe bietet den Bachelorstudiengang Papiertechnik an. Sowohl im Bachelor- als auch im Masterstudium kann man Papiertechnik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften München (HM) studieren. Und die Technische Universität Darmstadt bietet den Masterstudiengang "Paper Science and Technology" an. Module zur Papierherstellung und -verarbeitung sind zudem als Vertiefungsmöglichkeit in bestimmte Studiengänge der Technischen Universität Dresden integriert.

"Papiertechniker sind Generalisten", sagt Jukka-Pekka Valkama, Leiter des Studiengangs Papiertechnik an der DHBW Karlsruhe. Dementsprechend sollten Studierende Interessen aus verschiedenen Bereichen mitbringen. "Papiertechnik ist ein mathematisch-naturwissenschaftlicher Studiengang. Ohne Kenntnisse in Mathematik, Physik und Chemie wird es schwierig", bemerkt Valkama. Andererseits muss man für dieses Studium in Chemie keine Spitzennoten vorweisen. Zwar schreiten an der HM die Chemievorlesungen zügig im Stoff voran, aber sie beginnen bei null. Zusätzlich werden Tutorien angeboten, und es gibt ein spezielles Lernsystem, damit sich auch Studierende mit wenig Vorwissen gut einarbeiten können. Beim "Just-in-Time-Teaching" wird der Stoff für die kommende Vorlesung vorab online gestellt. Die Hochschüler müssen ihn durcharbeiten, Fragen beantworten und können Fragen stellen, die der Dozent in der folgenden Vorlesung beantwortet. Das "Just-in-time Teaching" kommt bei den Studierenden gut an, berichtet Helga Zollner-Croll, die an der HM unterrichtet.

In der Ausbildung lernt man viel über Papierherstellung, Rohstoffe und Recycling

An der HM gibt es zwei Studienrichtungen: "Verfahrenstechnik Papier und Biofasern" und "Verpackungstechnik und Kunststofftechnologie". In beiden Richtungen stehen im ersten Semester neben Mathematik, Chemie und Physik auch Konstruktion, Mechanik und Thermodynamik auf dem Stundenplan. Zusätzlich werden Exkursionen angeboten, zum Beispiel an zwei Standorte in Oberbayern: zur Papierfabrik Neenah Gessner in Feldkirchen-Westerham, wo Spezialpapiere für Filteranlagen hergestellt werden oder zur Büttenpapierfabrik Gmund am Tegernsee. "Dort kann man wunderbar sehen, wie Papiermachen als Handwerkskunst funktioniert, weil noch mit ganz alten Maschinen gearbeitet wird", erzählt Zollner-Croll.

Wer in Mathematik wenig Vorkenntnisse mitbringt, kann an einem Brückenkurs vor Semesterbeginn teilnehmen. Dort wird der komplette Stoff vom Ende der Mittelstufe bis zum Abitur wiederholt. "Den Auffrischungskurs belegen besonders gerne Studierende, die zwischenzeitlich eine Ausbildung gemacht haben", so die Dozentin Zollner-Croll. Einige Studenten der HM haben eine Ausbildung zum Papiertechnologen absolviert, anschließend sogar mehrere Jahre in der Papierproduktion gearbeitet. Papiertechnologen arbeiten in unterschiedlichen Positionen an Papiermaschinen. Sie kontrollieren den Wareneingang, sorgen dafür, dass die Förderbänder richtig bestückt sind und die Chemikalienpumpen richtig dosiert werden, sie wechseln die Papierrollen aus und führen Wartungsarbeiten durch. Nach dem Studium können sie in Leitungspositionen arbeiten, haben Verantwortung für Personal und Produktion. "Viele kommen aus Karrieregründen zu uns", sagt Zollner-Croll.

Bis zum Praxissemester im fünften Semester lernen die Studierenden, dass sich neben Holz auch Rohstoffe wie Grasfasern oder Reststoffe aus der Landwirtschaft zur Papiergewinnung eignen, wie man die Pflanzenfasern herauslösen kann und welche Stärkelieferanten es gibt. Mit Stärke aus Weizen und Kartoffeln können Papieroberflächen behandelt werden, damit Tinte nicht verläuft. In einem Modul geht es um die Qualität von Papier, in einem anderen um Recycling: Wird Altpapier an eine Papierfabrik geliefert, wird es zunächst in sogenannten Pulpern, einer Art großem Rührbottich, suspendiert. "Dabei wird das Altpapier in einzelne Fasern zerlegt, wie bei einem Tempotaschentuch, das man in Wasser legt", erklärt Zollner-Croll. Danach werden Fremdstoffe wie Büroklammern oder Schnüre abgetrennt. Durch Zugabe bestimmter Stoffe quellen die Fasern auf und vergrößern die Oberfläche. Dabei platzt die Druckerfarbe ab und kann entfernt werden. Die gereinigten Fasern können erneut eingesetzt werden. Das sechste Semester, an der HM auch "Fenstersemester" genannt, können die Studierenden im Ausland verbringen, beispielsweise in New York oder in Finnland. Circa 70 Prozent der Studierenden nutzen diese Möglichkeit.

Die DHBW kooperiert im Studiengang Papiertechnik mit dem Papierzentrum Gernsbach in der Nähe von Baden-Baden. Abwechselnd drei Monate verbringen die Studierenden im Ausbildungsbetrieb und auf dem Campus in Gernsbach. In den Laboren des Papierzentrums vertiefen sie das theoretische Wissen. Neben fachlichen Inhalten legt man an der DHBW großen Wert auf Kommunikationsführung oder Projekt- und Organisationsmanagement. Valkama: "Unsere Absolventen landen ziemlich schnell in Führungspositionen, auch darauf müssen wir sie vorbereiten."

Die Beschäftigungen nach Abschluss sind vielfältig. "In Deutschland gibt es mehr als 100 Papierfabriken, wir sind die viertgrößte Papierindustrie weltweit", sagt Samuel Schabel, Leiter des Fachgebiets Papierfabrikation und Mechanische Verfahrenstechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Neben unterschiedlichen Positionen in Papierfabriken gehen Absolventen auch in die Forschung und Entwicklung oder arbeiten als Berater in der chemischen Zulieferindustrie. Auch bei Unternehmen, die Papiermaschinen oder Aggregate für die Maschinen herstellen, finden Absolventen Jobs. Als Inbetriebnahme-Ingenieur begleiten sie weltweit Papiermaschinen zwischen drei und sechs Monaten bis zur Übergabe. "Von unseren insgesamt 220 Absolventen, die wir seit 2002 ausgebildet haben, ist kein einziger arbeitslos, das kann kaum eine Branche sonst von sich behaupten", sagt Valkama.

An der DHBW Karlsruhe ist das Studium noch eine Männerdomäne. Nur 20 Prozent der Studierenden sind dort weiblich. Anders sieht das an der HM aus. Im Wintersemester 2019/20 waren zum ersten Mal knapp 50 Prozent der Studierenden Frauen. "In den vergangenen Jahren haben wir mit speziellen Veranstaltungen wie dem Girls Day oder mithilfe von Imagevideos versucht, den Studiengang für Frauen attraktiver zu machen", sagt Zollner-Croll.

Zwar geht der Verbrauch von Papier für Drucker, Zeitungen oder Bücher im Zeitalter der Digitalisierung zurück, allerdings werden Papierprodukte wie Kartons durch den wachsenden Versandhandel immer stärker nachgefragt. Dazu kommen Ersatzprodukte für Tüten, Strohhalme oder Besteck aus Plastik. "Der momentane gesellschaftliche Wandel führt dazu, dass Papier wieder stärker in den Fokus rückt", sagt Schabel. Die Papierindustrie gehe nicht unter, es finde gerade nur ein Wandel im Bereich der Produkte statt. Die Berufsaussichten dürften also gesichert sein.

© SZ vom 06.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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