Neue Perspektiven für Schauspieler:Die Verwandlung

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Bühnenauftritte reichen selten aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Deshalb machen sich Schauspieler schon in jungen Jahren über andere berufliche Standbeine Gedanken. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Bühnendarsteller in mittleren Jahren, die keine Stars geworden sind, beklagen häufig eine sinkende Auftragslage. Doch nur wenige Akteure satteln komplett um.

Von Christine Demmer

Matthias Gall stand nach dem Studium an der Bochumer Schauspielschule lange auf der Bühne des Wuppertaler Schauspielhauses. Parallel drehte er fürs Fernsehen. Nach der Geburt seiner ersten Tochter sank seine Leidenschaft für Abende außer Haus. Aus dem festangestellten Mimen wurde ein freiberuflich tätiger Solounternehmer: hier eine Bühnenrolle, dort ein Dreh für eine TV-Serie. Die Aufträge wurden weniger. "Auch die Gagenspirale ging nach unten", erinnert sich Gall, "hohes Arbeitspensum, immer weniger Geld, und wir wünschten uns ein zweites Kind." Mit 34 Jahren dachte der Schauspieler ernsthaft daran, seinen Beruf an den Nagel zu hängen.

So wie dem heute 40-Jährigen geht es vielen, denen die Bretter einst die Welt bedeutet haben. Weil anderes im Leben wichtiger geworden ist, weil das Talent der Routine weicht, weil die Vertragsangebote nur noch hereintröpfeln. Rollen für ältere Mimen sind dünn gesät, diejenigen für Schauspielerinnen in reiferen Jahren noch dünner. "Auch mit Talent kann man scheitern", sagt Jutta Wiegmann, Gründerin und Geschäftsführerin des Instituts für Schauspiel, Film- und Fernsehberufe (ISFF) in Berlin. Und was macht man mit einem Beruf, dessen Halbwertszeit mitunter bereits in einem Alter erreicht ist, wenn andere die Uni verlassen?

Einige Darsteller arbeiten als Trauerredner oder Yogalehrer. Andere eröffnen eine Kneipe

"Es gibt so viele Umschulungsmöglichkeiten, wie es Interessen gibt", erklärt Beate Raabe, Sprecherin der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit in Bonn. Sie meint damit: Theoretisch können Schauspieler in jeden anderen Beruf umsteigen. Praktisch sehen sich die meisten nach Tätigkeiten um, die näher am Fach liegen, zum Beispiel Synchronsprecher, Theaterinspizient oder Moderator, mit langer Berufserfahrung auch Künstleragent. Vom Staat bezuschusst wird allerdings längst nicht jede Umschulung. "Was wir fördern, ist abhängig von den konkreten Arbeitsmarktchancen, die sich nach einer eventuellen Weiterbildung ergeben", erklärt Beate Raabe und rät, sich zunächst auf Feldern umzusehen, die an den Beruf angrenzen. Wenn sich ein Schauspieler mit dem Gedanken trage, vollends umzusatteln, dann möge er oder sie die Neigungen und bisher erworbenen Kompetenzen entscheiden lassen.

Matthias Gall hat genau das getan. Der Berliner, der während seiner Wuppertaler Zeit Obmann für die künstlerischen Bühnenangehörigen gewesen war und dabei mit juristischen Kniffen vertraut geworden war, studierte Wirtschaftsrecht an einer privaten Hochschule. Berufsbegleitend, denn die Familie brauchte sein Einkommen. Konsequent auf das neue Ziel ausgerichtet, suchte sich Gall einen Job in der Wirtschaft und hängte die Schauspielerei tiefer. In der US-Serie "Homeland" ist Matthias Gall jetzt wieder zu sehen, das Angebot hatte ihn vor etwa einem Jahr noch mal vor die Kamera gelockt. Seit zehn Monaten arbeitet der Bachelor in einer großen Anwaltskanzlei. Es sei nicht schwer gewesen, eine Stelle als Wirtschaftsjurist zu finden, sagt Gall. Hat er den Rollenwechsel bereut? "Nein", sagt er, "ich genieße es, dass meine juristischen Kompetenzen gefragt sind."

Eine derartige Veränderung ist eher die Ausnahme. Die meisten seiner Berufskollegen bleiben näher am Fach. Irina Wanka, Vorsitzende des Interessenverbands Deutscher Schauspieler (IDS) in Grünwald bei München, kennt nicht viele, die neu studiert haben. Dafür aber jede Menge bunte Quereinstiege: "Einige sind auf Schauspielcoach umgestiegen, andere haben eine Kneipe aufgemacht, arbeiten als Yogalehrer, Trauerredner oder im Callcenter." Da können sie von ihrer Stimmausbildung profitieren. Eine frühere Kollegin bringe Managern bei, wie man mit verschiedenen Bewerbertypen umgeht und Personalgespräche führt. Und technisch Begabte schnitten Demobänder für Castingagenturen. In vielen Fällen ist der neue Beruf laut Wanka allerdings eher ein Job, mit dem sich Schauspieler über Wasser zu halten versuchen, während sie im tiefen Inneren doch noch auf neue Engagements hofften.

Franziska Reincke aus Rostock hat bis 2011 in Leipzig Schauspiel studiert und danach fünf Jahre lang an verschiedenen Stadttheatern gearbeitet. Sie sagt: "Ich wollte nicht mehr alle ein, zwei Jahre von Stadt zu Stadt ziehen, sondern einen festen Standort haben." Sie ist jetzt in einer festen Beziehung und möchte irgendwann Kinder haben, da denkt man anders als mit Anfang 20. "Außerdem sind die Arbeitsbedingungen nicht besonders", fügt Reincke fast entschuldigend hinzu. "Es wird immer schwieriger, über Gagenerhöhungen zu verhandeln. Frei gewordene Stellen werden nicht mehr besetzt, stattdessen müssen die engagierten Schauspieler mehr Rollen übernehmen."

Hörsturz und Burnout seien mittlerweile die Regel an Stadttheatern. "Viele Schauspieler sind bereit, für wenig Geld zu arbeiten", sagt Reincke. "Aber wenn die Theater immer stärker durchökonomisiert werden, dann verliert man den Spaß am Beruf." Seit einem Jahr studiert sie Jura. Aber mit der Kunst hat die Schauspielerin längst noch nicht abgeschlossen. Als Juristin möchte sie etwas für Künstler und Bühnenangehörige tun, vielleicht als Geschäftsführerin eines Theaters, vielleicht bei der Bühnengenossenschaft GDBA.

Fertig wird Franziska Reincke etwa in vier Jahren. Um ihr Studium zu finanzieren, arbeitet sie nebenbei in einer Kanzlei, als Schauspielerin und als Posaunistin. Und zusammen mit ihrem Lebensgefährten veranstaltet sie Workshops für Anwälte, etwa zum Thema Marketing. Zur Hälfte ist sie also schon drin im neuen Beruf. Ihr Tipp für Rollenwechsler: "Viele Kollegen reden unendlich lange von ihrer Absicht, aus- oder umzusteigen. Aber sie sind sich unsicher und tun nichts. Mein Rat: Nicht zögern. Einfach machen."

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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