Nachwuchs-Baukünstler:Auf Architektur-Tour

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Architektenkammern und Schulen organisieren Projekte, zum Mitmachen für Schüler, um sie für Baukultur zu begeistern.

Von Sebastian Niemetz

Eine hölzerne Schlange windet sich um den Taubenturm in Dießen am Ammersee, gebaut von Jugendlichen. Aus Dachlatten und Kabelbindern haben Kunstschüler des Ammersee-Gymnasiums in der oberbayerischen Kommune eine mehrere Meter hohe Konstruktion errichtet, die den Turm des dortigen Augustiner-Klosters dekoriert. "Wichtig ist, dass man die Latten zu Dreiecken zusammenbindet", während die Holzschlange gezimmert wird, erklärt Zwölftklässlerin Felicia Ladig, "denn sie geben der Konstruktion Stabilität. Im Prinzip kann man alles Mögliche bauen, solange man Dreiecke als Grundbausteine nimmt."

Das Projekt, das die Schüler im Oktober unter der Leitung der Kunstlehrer Burkhard Niesel, Thomas Körner-Wilsdorf und des Architekten Jan Weber-Ebnet für einen Zeitraum von zwei Wochen realisierten, hat die Landesarbeitsgemeinschaft Architektur und Schule (LAG) unterstützt. Sie ist ein gemeinnütziger Verein, der 2008 aus einer Fortbildungsveranstaltung für Lehrer der Bayerischen Architektenkammer und des Bayerischen Kultusministeriums hervorgegangen ist. Die mittlerweile mehr als 60 ehrenamtlichen Mitglieder des Vereins sind überwiegend Architekten und Pädagogen aus Fachbereichen wie Kunst, Geschichte oder Sozialkunde, die gemeinsam die Vermittlung von Baukultur im Schulunterricht fördern wollen.

Jede interessierte Lehrkraft aller Schularten und -fächer in Bayern kann sich mit einer Projektidee bei der LAG melden. Von Fächern wie Kunst oder Sozialkunde bis hin zu Wirtschaft und Recht bietet der Verein die Möglichkeit, Seminare mit Bezug zu Architektur und Baukultur zu veranstalten. Dadurch kommen im Jahr Dutzende Programme für Schulseminare und Lehrerfortbildungen zusammen, die von der LAG begleitet werden. "Baukultur wird noch viel zu wenig an Schulen vermittelt", meint Vorstandsmitglied Weber-Ebnet. "Und spätestens seit Stuttgart 21 ist klar, dass man die Bürger bei Entscheidungsprozessen in Sachen Stadtentwicklung mitnehmen muss." Es gehe darum, das Bewusstsein von Lehrern und Schülern für die gebaute Umwelt zu schärfen und architektonisches Wissen zu vermitteln. "Denn man schützt und pflegt Baukultur doch am besten, wenn man die Bürger, Bauherren und Gemeinderatsmitglieder von morgen schon heute in die Stadtplanung miteinbezieht", findet auch Burkhard Niesel.

Kunst und Architektur sind zwei miteinander verwandte Disziplinen. Dafür steht zum Beispiel diese Fassadenkonstruktion, die Schüler der Realschule am Judenstein in Regensburg (Oberpfalz) geplant und angebracht haben. (Foto: J. Webner-Ebnet/LAG Architektur und Schule)

Seit 2013 verfügt die LAG mit dem "Architektur-Schulbus" über einen mobilen Stützpunkt, mit dem Weber-Ebnet und sein Team durch Bayern touren können. Ausgerüstet mit Materialien wie Holz oder Bambus, Papier, Stiften, Kleber und Folien bis hin zu Kabelbindern, Werkzeug, Scheinwerfern und LEDs ist der Bus ausgestattet für Architekturprojekte aller Art. Für Grundschüler werden unter anderem Stadterkundungen organisiert, damit sie sich bewusster mit ihrer Wohnumgebung auseinandersetzen können. "Sie lernen, dass die Stadt ein Kontinuum aus Räumen ist, die sie entdecken können; dass zwischen ihrem Zuhause und der Schule eine Menge anderer spannender Bauwerke stecken", meint Weber-Ebnet. Für Schüler von Mittel- und Realschulen oder Gymnasien bietet der Verein unterschiedliche Projektmöglichkeiten, von Rauminstallation bis hin zu Brückenbau. Zum Beispiel haben Schüler eines Seminars in Augsburg im vergangenen Jahr zusammen mit der LAG auf einer Brachfläche an der Wertach eine "Sommerlounge" gebaut, einen luftigen Pavillon aus Holz mit Bühne, Bar und Sitzmöglichkeiten, um der Stadt einen konkreten Impuls für mögliche Freiflächenentwicklung zu geben.

Ähnliche Programme werden in anderen Bundesländern vor allem von den jeweiligen Architektenkammern angeboten. Zum Beispiel organisiert die Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) Fortbildungen und Netzwerkveranstaltungen, in denen sich Architekten, Museumspädagogen und Mitarbeiter von Stadtverwaltungen mit Lehrern und Pädagogen zu dem Thema Jugend und Architektur austauschen können. Zudem bietet die AKBW auf ihrer Webseite eine Liste mit Architekten an, die als Kooperationspartner für Lehrer und Schulen zur Verfügung stehen.

Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen (AKNW) leitet unter anderem das Programm "KidS - Kammer in der Schule". Das sind bauliche Projekte, bei denen sich Schüler aktiv in die Umgestaltung ihrer Schule miteinbringen. Zum Beispiel wird dann der Schulhof umgebaut, um neue Möglichkeiten für Spielflächen, Beete oder Ruhezonen zu schaffen. Von der Problembeschreibung, Vermessung, Entwicklung von Ideen bis hin zur konkreten Planzeichnung begleitet die AKNW mit ihrer Expertise die Schüler. Die Finanzierung solcher Projekte übernimmt meist die jeweilige Schule. "Unser großes Vorbild ist Finnland", erzählt Christof Rose, Pressesprecher der AKNW. "Dort ist Architektur ein eigenes anerkanntes Schulfach."

Diese Bambusbrücke errichteten Schüler des Ammersee-Gymnasiums über einen Bach am Lido di Venezia. (Foto: J. Webner-Ebnet/LAG Architektur und Schule)

Die Gymnasiasten aus Dießen haben ihre Venedig-Projekte in einer eigenen Ausstellung gezeigt

Im vergangenen Jahr hatten Niesel, Körner-Wilsdorf und Weber-Ebnet die Idee, mit Schülern aus Augsburg und Dießen am Ammersee die Architekturbiennale in Venedig zu besuchen und eigene Bauprojekte auf dem Lido, einer Insel in der venezianischen Lagune, zu gestalten. In Kooperation mit einer italienischen Künstlergruppe halfen Schüler der zehnten bis zwölften Klasse mit, den Bewohnern des Lido neue architektonische Möglichkeiten der Stadtverschönerung aufzuzeigen. Ihre Projekte realisierten die Schüler auf dem Gelände eines Bauern, außerdem konnten sie Kontakte zu italienischen Architekten knüpfen und Ratschläge von ihnen bekommen. Die Jugendlichen errichteten auf dem Gelände des Bauernhofs aus Schilfrohr und Bambus einen Pavillon als Verkaufstand und bauten eine Fußgängerbrücke über einen Bach. Beide Bauwerke blieben für einige Monate erhalten. "Es ging auch ein bisschen darum, das Thema Landwirtschaft kreativ mit Kunst zu verbinden", erklärt Zwölftklässlerin Melissa Leitner.

Mitte Oktober organisierten die Schüler eine Ausstellung über ihre Arbeit in Italien im Dießener Taubenturm. Die Schlangenkonstruktion um den Klosterturm wurde im selben Stil gebaut wie die Projekte auf dem Lido. "Draußen zu sein und spontan etwas zu konstruieren, bringt uns viel mehr, als ein normales Seminar im Klassenzimmer abzusitzen", sagt Felicia Ladig. Speziell zu den Projekten in Venedig meint sie: "Das war eine coole Sache, dass wir mithelfen konnten, mit unseren Konstruktionen mehr Leben auf den Lido zu bringen." Am besten gefalle ihr, "dass wir beim Bauen in die Zukunft schauen können. Wir stellen uns vor, wie etwas aussehen soll, und dann bauen wir es auch so hin".

Informationen: Landesarbeitsgemeinschaft Architektur und Schule Bayern: www.architektur-und-schule.org; Bayerische Architektenkammer: www.byak.de; Architektenkammer Baden-Württemberg: www.akbw.de; Architektenkammer Nordrhein-Westfalen: www.aknw.de

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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