Nachtarbeit:Lohn und Not

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Belastend für Gesundheit und Sozialleben: Nachtarbeiterin in einer Produktionshalle. (Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Vor 25 Jahren wurde das Nachtarbeitsverbot für Frauen abgeschafft. Damit sind die Probleme jedoch nicht gelöst. Wer zur Schlafenszeit arbeitet, braucht besonderen Schutz.

Von Christian Ebner/dpa

Im Kaiserreich konnten Männer noch allein entscheiden, was gut für Frauen sei. Hundert Jahre lang hielt das Nachtarbeitsverbot für das vermeintlich schwache Geschlecht. Erst vor 25 Jahren, am 28. Januar 1992, kippte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Diskriminierung und mahnte gleichzeitig einen besseren Schutz für sämtliche Nachtarbeiter an. Doch seitdem sei zu wenig passiert, kritisieren Gewerkschaften.

Der erste Gegner des Nachtarbeitsverbots war ausgerechnet der konservative Reichskanzler Otto von Bismarck, der entsprechende Vorstöße seiner Sozialversicherungsexperten mit dem Hinweis blockierte, dass er Frauen keine Einkommensmöglichkeiten versperren wolle. Erst nach Bismarcks Abgang wurden die Pläne wieder aus der Schublade geholt und wie in anderen europäischen Staaten im seltenen Einvernehmen mit den Sozialdemokraten umgesetzt.

Um die Millionen Dienstmädchen und Bauernmägde, die praktisch rund um die Uhr schuften mussten, sorgte sich niemand. Dabei stand weniger die Sorge um die Gesundheit der Frauen im Vordergrund. Vielmehr befürchteten Experten wie der preußische Regierungsrat Theodor Lohmann sittlichen Verfall, wenn junge Frauen ganz ohne elterliche Aufsicht nachts neben Männern in den Fabrikhallen schuften müssten.

Freilich ließ sich das Verbot insbesondere in Kriegszeiten nicht aufrechterhalten, weil zu wenige männliche Arbeitskräfte da waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es nur in der Bundesrepublik wieder eingeführt, während in der DDR die werktätigen Frauen auch nachts die sozialistische Wirtschaft voranbringen sollten.

In Westdeutschland bedurfte es der Klage einer Prokuristin, die in ihrer Backwarenfabrik mit einem Bußgeld belegt worden war, weil ihre Arbeiterinnen nachts Tortenböden verpackten. Mit ihrer Entscheidung folgten die Karlsruher Richter ausdrücklich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg, der bereits im Juli 1991 das französische Nachtarbeitsverbot für rechtswidrig erklärt hatte.

Die deutschen Verfassungsrichter erkannten in der entsprechenden Verordnung eine doppelte Diskriminierung der Fabrikarbeiterinnen - gegenüber männlichen Kollegen und gegenüber anderen Frauen, die in nichtindustriellen Berufen selbstverständlich auch nachts arbeiten durften und mussten. Sie stellten aber auch fest: "Nachtarbeit ist grundsätzlich für jeden Menschen schädlich." Der Staat müsse daher die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger sicherstellen.

Zu den Extremen eines generellen Verbots oder einer uneingeschränkten Freigabe der Nachtarbeit konnten sich die Gerichte aber nicht durchringen. Vielmehr verlangten sie vom Gesetzgeber einen besseren Schutz der Betroffenen. Vor allem kämen Fördermaßnahmen für weniger Doppelbelastung durch Familie und Beruf in Betracht, die jedoch nicht wieder zu einem "frauenspezifischen Verbot" führen dürften.

Die damalige Bundesfrauenministerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete es nach dem Urteil als wichtigste Aufgabe, den Arbeitsschutz neu zu gestalten und nachts arbeitende Männer und Frauen vor Gesundheitsgefahren gleichermaßen zu schützen. 1994 änderte die schwarz-gelbe Bundesregierung das Arbeitszeitgesetz entsprechend. Es sieht seitdem zusätzliche medizinische Untersuchungen für Nachtarbeiter und einen schnelleren Ausgleich von Mehrarbeit vor. Außerdem gibt es geschlechtsneutrale Schutzvorschriften für Kranke und Schichtarbeiter, die Kinder versorgen müssen.

Was hat es gebracht? Von 1994 bis 2014 hat sich der Anteil der regelmäßig nachts arbeitenden Menschen laut Statistischem Bundesamt von sieben auf neun Prozent erhöht. Männer arbeiten aktuell fast doppelt so häufig nachts (elf Prozent) wie Frauen (sechs Prozent). Diese sind von einer ganz anderen Entwicklung stark betroffen: Wegen der längeren Ladenöffnungszeiten ist die Zahl derjenigen stark gewachsen, die Abendarbeit zwischen 18 und 23 Uhr verrichten müssen. Ihr Anteil wuchs in den zehn Jahren um elf Prozentpunkte auf mehr als ein Viertel (26 Prozent) aller Erwerbstätigen. Der Arbeitszeitexperte Hartmut Seifert erwartet für die kommenden Jahre einen weiteren Boom der Nachtarbeit in Dienstleistungsberufen wie Pflege und Logistik.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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