Nachhilfe in ... gut arbeiten:Die kleinen Freuden der Büro-Sklaven

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Zu viel Arbeit, zu wenig Zeit, schlechte Organisation: Büro-Beschäftigte arbeiten unter katastrophalen Bedingungen. Umso überraschender: Die meisten machen ihren Job dennoch gern.

Nicola Holzapfel

Der typische Büro-Alltag sieht so aus: Der Beschäftigte schaufelt sich durch einen viel zu großen Arbeitsstapel, voller Angst, sein Pensum nicht zu schaffen. Dabei ist er im Grunde unterfordert, weil er das Zeug zu weit höheren Tätigkeiten hätte. Doch eine Perspektive, seine Fähigkeiten auch einzusetzen, sieht er nicht. Vielmehr plagt ihn die Angst, seinen Job zu verlieren. Und so geht er Abend für Abend, nachdem er fleißig Überstunden gemacht hat, mit einem Gefühl der Leere und Frustration nach Hause.

Nette Kollegen, aber zu viel Stress: Viele sind skeptisch ob sie das bis zur Rente durchhalten. (Foto: Foto: dpa)

Dass so hierzulande wirklich gearbeitet wird, ist wissenschaftlich belegt. Die "Initiative neue Qualität der Arbeit", zu der sich Bund und Länder, Gewerkschaften und Arbeitgeber zusammengeschlossen haben, hat die Arbeitsbedingungen in Deutschland untersuchen lassen. Mehrere tausend Bürobeschäftigte wurden dafür zu ihrem beruflichen Alltag befragt.

Ausgangspunkt der Studie war die Frage: "Was ist gute Arbeit?". Die Diskrepanz zwischen den Arbeits-Idealen und den tatsächlichen Bedingungen ist alarmierend. Die Soziologin Tatjana Fuchs hat die Befragung konzipiert und ausgewertet. Für sie ist klar: So kann es nicht weitergehen. "Das Belastungsniveau ist deutlich zu hoch", sagt die Arbeitswissenschaftlerin.

Ganz oben auf der Frust-Liste stehen Angst um den Arbeitsplatz und eine unsichere Einkommenssituation. Beides macht vor allem Jüngeren zu schaffen, die häufig noch in unsicheren Jobverhältnissen sind, weil sie etwa befristete Verträge haben oder auf Honorar-Basis arbeiten. Doch auch Ältere machen sich Sorgen. Sie fühlen sich durch den Einsatz von Leiharbeitern oder freiberuflichen Aushilfen, die häufig dieselbe Arbeit zu schlechteren Bedingungen ausführen, unter Druck gesetzt.

Massiv frustriert

Enorm belastend wirken sich zudem organisatorische Defizite aus. Beschäftigte müssen etwa mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen. Sie erhalten widersprüchliche Anforderungen und haben vor allem viel zu wenig Zeit. Eine große Rolle spielen Führungsfehler. Dabei geht es nicht nur um fehlende Anerkennung oder mangelnde fachliche Unterstützung seitens der Chefs. Viel gravierender ist das Versagen von Führungskräfte, ihre Mitarbeiter richtig einzusetzen. Viele arbeiten schlicht unter ihrem Niveau.

Dazu kommt: Statt gefördert zu werden, werden sie geradezu behindert. Nur 43 Prozent der Befragten sehen Möglichkeiten, ihre Kreativität einzubringen. Gerade Mal jeder Zweite kann seinen Arbeitsablauf selbst beeinflussen. Mehr als ein Drittel können nicht einmal selbst bestimmen, wann sie eine kurze Pause machen wollen.

Aussicht auf Besserung besteht bei den Meisten nicht: Die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen werden als sehr schlecht gesehen. "Das frustriert die Beschäftigten massiv. Sie wollen ihre Perspektiven kennen. Sie wollen wissen, wo sie sich hinentwickeln und was sie dafür tun können", sagt Fuchs. Für die Unternehmen sei das ein Armutszeugnis. "Die Mitarbeiterführung hat keine Priorität. Stattdessen wird mit Druck gearbeitet. Es wird versucht, immer in kürzester Zeit das Maximum herauszuholen."

Wohin diese Personalpolitik führt, zeigt die Umfrage. Jeder zweite Bürobeschäftigte fühlt sich nach der Arbeit leer und ausgebrannt. 40 Prozent haben sogar in der Freizeit Probleme, sich zu erholen. 36 Prozent haben ein "flaues Gefühl", wenn sie an ihre berufliche Zukunft denken. 30 Prozent empfinden ihre Arbeitssituation als frustrierend.

Anforderungen an gute Arbeit aus Sicht der Büro-Beschäftigten. (Foto: Quelle: Inqa, Tatjana Fuchs)

Auch die gesundheitlichen Beschwerden sind enorm. 62 Prozent haben häufig Nacken- und Schulterschmerzen. Die Hälfte der Befragten hat regelmäßig Kreuz- oder Kopfschmerzen. Andere leiden unter Magenbeschwerden, Hörproblemen oder Herzschmerzen. 18 Prozent haben Schwierigkeiten einzuschlafen. Damit, so Fuchs, seien sie auf dem besten Weg zum Burnout.

Die Positiv-Faktoren

Doch das Erstaunliche ist: Den Arbeitnehmern gelingt es trotz der teilweise haarsträubenden Bedingungen Positives aus ihrer Arbeit ziehen. So gaben zwei Drittel der Befragten an, "oft mit Freude" zu arbeiten. "Die Beschäftigten tun enorm viel, um mit ihrem Job zufrieden sein zu können. Sie identifizieren sich sehr stark mit ihrer Arbeit und sie achten auf ein gutes soziales Klima", sagt Fuchs. Drei Viertel sind häufig auf ihre Arbeit stolz und 83 Prozent können auf die Unterstützung ihrer Kollegen zählen.

Die strukturellen Faktoren, die gute Arbeit ermöglichen, können jedoch nur die Unternehmen ändern. An oberster Stelle steht hier für Fuchs die Mitarbeiterführung. "Mit einem anderen Führungsstil könnte man sehr schnell Verbesserungspotenziale gewinnen."

Vor allem müssten die belastenden Faktoren abgebaut werden. Denn selbst in Unternehmen, die sich um sehr gute Voraussetzungen bemühen, sind die Arbeitsbedingungen nicht automatisch gut. Schon drei negative Einflussgrößen wie etwa zu lange Arbeitszeiten, zu hohe Arbeitsintensität und körperlich einseitige Tätigkeiten reichen aus, um die Mitarbeiter zu beeinträchtigen.

Zu den leichtesten Übungen dürfte es gehören, die gesundheitlichen Belastungen zu minimieren. Die Soziologin rät, eine "Pausenkultur" zu pflegen. Für Bildschirm-Arbeiter seien fünf Minuten Pause pro Stunde, zumindest aber eine Unterbrechung alle zwei Stunden ein Muss.

Dieses Minimum an Erholungsmöglichkeit sollten die Beschäftigten ruhig einfordern. Überhaupt sollten sie sich nicht "zu viel gefallen lassen", sondern vernünftige Arbeitsbedingungen verlangen, meint die Arbeitswissenschaftlerin. "Sie sollten die Kollegialität nutzen und sich untereinander absprechen, wie man die Arbeit so umstrukturieren könnte, damit sie besser läuft."

Sollte dieser Vorschlag befolgt werden, dürfte bald bundesweit eine sanfte Meuterei in den Büros ausbrechen. Denn derzeit arbeiten nur vier Prozent aller Beschäftigten unter guten Bedingungen.

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