Musikerausbildung:Die Solistenschwemme

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Jäh erwacht: Studierende an Musikhochschulen werden ungenügend auf ihren Arbeitsmarkt vorbereitet. Nach dem Diplom platzen viele Karriereträume.

Nicola Holzapfel

Sie hangeln sich von Projekt zu Projekt, geben Unterricht oder machen ganz etwas anderes: Nicht einmal jeder zweite Absolvent einer Musikhochschule in Deutschland findet eine feste Stelle. Nach einer Studie des Instituts für Begabungsforschung in der Musik an der Universität Paderborn (IBFM) gelingt es zwar mehr als 80 Prozent der Absolventen von der Musik zu leben, doch es gibt auch ausgebildete Musiker, die ihren Lebensunterhalt komplett als Software-Entwickler, Büro-Sachbearbeiter oder in der Gastronomie bestreiten müssen. IBFM-Direktor Heiner Gembris vermutet zudem eine hohe Dunkelziffer: "Wir konnten nicht alle Absolventen befragen. Bei unseren Fragebögen, die wir an mehr als 2000 Absolventen von sieben Musikhochschulen geschickt hatten, haben wir einen Rücklauf von 34 Prozent. Die restlichen 66 Prozent haben nicht geantwortet. Möglicherweise haben sie in Berufbereiche gewechselt, die mit Musik nichts mehr zu tun haben. Außerdem wissen wir nicht, was die ausländischen Musiker machen, die nach ihrem Studium in Deutschland zum Beispiel wieder nach Korea zurückgehen."

Aushilfe statt Solist: Nur 42 Prozent der Streicher haben eine feste Vollzeitstelle. (Foto: Foto: ddp)

Feste Orchesterstellen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich weniger geworden. Seit 1992 haben sie um fast 16 Prozent abgenommen. Die Zahl der Absolventen nimmt dagegen zu. Musiker drängen daher immer stärker in die Freiberuflichkeit. Sie haben Teilzeitjobs, daneben verschiedene musikalische Projekte, kurzfristige Engagements und übernehmen auch nichtmusikalische Tätigkeiten. Von den befragten Streichern arbeiteten mehr als ein Drittel, bei den Bläsern mehr als ein Viertel freiberuflich.

Doch darauf, so das Ergebnis der Studie, sind die Studierenden nicht vorbereitet. "Die Arbeitsmarktstruktur müsste von den Hochschulen stärker zur Kenntnis genommen werden. Die Selbstvermarktung, und die Selbstorganisation musikalischer Ereignisse gehören auf den Lehrplan", sagt Gembris. Auch bei der Vermittlung fachlicher Fähigkeiten sieht der Musikprofessor Verbesserungsbedarf. So werden die Studierenden auf den berufspraktischen Teil des Orchestermusikers ungenügend vorbereitet. "Die Hochschulen sollten nicht nur Solisten ausbilden, sondern zum Beispiel mehr auf das Probespiel vorbereiten, das Spielen von Orchesterstimmen und musikalische Vielseitigkeit üben", sagt Gembris.

Besonders hart trifft es die Pianisten. Zum Solisten ausgebildet, schaffen es die wenigsten, diese Karriere zu realisieren. "So viele Solisten braucht man gar nicht. Es gibt ganz wenige Stars, und der Rest interessiert nicht. Hier greifen auch die Marktmechanismen. Die Konzertveranstalter buchen oft nur Preisträger und Musiker, die mit Spektakulärem aufwarten können", sagt Gembris. Von den für die Studie befragten Pianisten ist kein einziger als Solist tätig. "Die meisten Pianisten, wenn sie denn eine feste Tätigkeit erlangen, landen an Musikschulen, wo sie dann unterrichten, wofür sie oft gar nicht ausgebildet sind", sagt Gembris.

Einer besonderen Problematik stehen auch die Sänger gegenüber. Im Schnitt sind sie bei ihrem ersten Engagement zwischen 28 und 32 Jahren alt, zum professionellen Singen bleibt ihnen dann nicht mehr viel Zeit. Ab einem Alter von etwa 40 sinken ihre Chancen auf ein neues Engagement drastisch. Ihre befristeten Verträge werden irgendwann nicht mehr verlängert, bei einem Intendantenwechsel kommen andere Sänger an die Reihe, die Konkurrenz wird immer jünger. "Wenn die Verträge nicht verlängert werden, bleibt nur die Freiberuflichkeit. Das Riesenproblem dabei ist, dass die wenigsten Sänger und Sängerinnen davon leben können und andere berufliche Qualifikationen haben sie in der Regel nicht. Oft müssen sie dann in ganz anderen Bereichen arbeiten. Viele schämen sich, weil sie das Gefühl haben, nicht erfolgreich zu sein", sagt Gembris.

Was das Gefühl des Scheiterns noch verstärkt, ist die frühe und enge Bindung an die Musik. Professionelle Musiker haben schon in einem Alter von sechs Jahren, manche noch früher, angefangen ein Instrument zu spielen. "Das beginnt mit einer halben Stunde pro Tag und steigert sich dann auf zwei, drei, vier Stunden oder mehr. Durch diese Übertätigkeit ist das Musizieren viel stärker mit der eigenen Identität verbunden als Anderes", sagt Gembris.

Das viele Üben ist die Voraussetzung für eine spätere Musikkarriere. Nach Gembris Einschätzung ist der Maßstab bei den Eignungsprüfungen der Musikhochschulen in den vergangenen Jahren noch höher geworden. "Aber wer das schafft, erlangt dann auch relativ sicher den Abschluss", sagt Gembris. Von den von seinem Institut befragten Musikern haben fast alle mit guten und sehr guten Leistungen ihre Ausbildung beendet. Ihre Durchschnittsnote liegt bei 1,6. Eine Eintrittskarte in ihren Arbeitsmarkt ist diese Leistung jedoch offenbar nicht.

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