Moderne Erwerbsformen:"Es grassiert die Angst"

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Ein fester Job gilt als Norm. Dabei nehmen Selbstständigkeit, Minijobs und Teilzeitarbeit rapide zu. Die Deutschen reagieren verunsichert, egal ob sie festangestellt sind - oder flexibel beschäftigt und arm dran.

Nicola Holzapfel

Ein unbefristeter Job, bei dem der Arbeitgeber die Beiträge zur Sozialversicherung übernimmt, ist für viele Deutsche längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten schrumpft stetig, meldet das Statistische Bundesamt. Ihr Anteil an allen Erwerbstätigen liegt nur noch bei 67 Prozent. 1993 waren es noch 76 Prozent.

Der Rest ist selbstständig, hat einen Minjob, macht ein Praktikum, hilft aus. Nicht allen gelingt es, auf diese Art ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. In vielen Fällen ist diese moderne Form der Beschäftigung vor allem eines: unsicher. Wissenschaftler sprechen dann von "prekärer Arbeit".

Der Arbeitssoziologe Klaus Dörre von der Universität Jena schätzt, dass mehr als 18 Prozent aller Erwerbstätigen ein unsicheres Beschäftigungsverhältnis haben. Aber die Grenze ist schwer zu ziehen. "Selbst erwünschte Teilzeitarbeit birgt ein prekäres Potenzial. Solange man nur zum Familieneinkommen beisteuert, kann es gut gehen. Wenn aber durch eine Trennung der Hauptverdiener wegfällt, reicht das Geld eben nicht mehr", sagt Dörre. "Auch den Niedriglohnsektor müsste man dazu zählen. 18 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten verdienen mit ihrer Arbeit weniger als das kulturelle Existenzminimum."

Treffen kann es im Grunde jeden. Das Risiko, sich auf dem Arbeitsmarkt irgendwie durchschlagen zu müssen, ist bei Geringqualifizierten und Gruppen, die auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert sind - Alte, Junge, Migranten und auch Frauen -, höher. "Aber auch gut Qualifizierte können nicht sicher sein, dass sie verschont werden", sagt Dörre.

Für Hochschulabsolventen wurde dafür eigens der überbewertete Begriff "Generation Praktikum" kreiert. Nach Ansicht von Harro Honolka vom Institut Student und Arbeitsmarkt der Ludwig-Maximilians-Universität München sollte es eher heißen: "Generation Honorarvertrag": Denn während Praktika ein eher branchenspezifisches Problem sind, starten immer mehr Akademiker ihren Berufsweg mit befristetenTätigkeiten und Honorarverträgen.

"Es ist ein Problem wenn qualifzierte Absolventen über Monate hinweg auf der Schwelle zu einem festen Job verharren", sagt Dörre. Den Betroffenen fehlt die Sicherheit, um ihr Leben planen zu können. Und egal ob Akademiker oder ungelernte Arbeiter: Prekär Beschäftigte leiden unter dem Stigma, nicht in der Arbeitswelt angekommen zu sein. Denn der feste Job gilt noch immer als Norm. Er ist das Ziel aller, die ihn nicht haben. "Respekt erwirbt man sich in unserer Gesellschaft mit einer Arbeit, die gut bezahlt wird und den Zugang zu den üblichen Konsumgütern eröffnet und die als nützlich gilt", sagt Dörre. Leiharbeiter und selbst Langzeitarbeitslose würden daher immer auf eine Festanstellung hoffen.

Die Arbeitsplatzbesitzer reagieren auf die Entwicklung mit Angst. "Den Festangestellten wird durch Leiharbeiter und Freelancer vorgeführt, dass man ihren Job auch billiger machen kann. Das schafft einen ganz subtilen Druck und führt zu einer unguten Konkurrenz", sagt Dörre. "In der Mitte der Gesellschaft herrscht die größte Verunsicherung. Es grassiert die Angst, dass man den sozialen Status verliert, den man sich ein Leben lang erarbeitet hat."

Paradoxerweise ist die Angst bei den Festangestellten, die sich in ihrem Job bedroht fühlen, am größten: "Arbeitslose und Leiharbeiter schaffen es durch Hoffnung oder indem sie sich mit der Siuation arrangieren, den Druck für sich zu entschärfen", erklärt Dörre.

Es gibt auch flexibel Beschäftigte, die mit ihrer Situation zufrieden sind. "Es gibt bei den kreativen Jobs, etwa in der Werbebranche, den Typus des Selbstmanagers. Seine materiellen Ressourcen sind groß gegnug, dass er auch Phasen ohne Beschäftigung überstehen kann. Er schafft es, den Zwang zur Freiheit positiv zu erleben. Zum Beispiel indem er sich sagt: Mir redet niemand rein", sagt Dörre.

Anderen fehlt dafür die Voraussetzung - sei es das Geld oder die Autonomie: "Den Zwang zur Freiheit positiv zu erleben" - Leiharbeitern und Minijobbern dürfte das schwer fallen.

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