Mein Kollege sagt ...:"Morgen nehm ich frei"

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Wer sich spontan einen Tag Auszeit gönnt, benimmt sich sehr verdächtig: Hat der Kollege etwa ein Vorstellungsgespräch - womöglich bei der Konkurrenz? Es gibt Strategien, dem Klatsch Einhalt zu gebieten.

J. Bönisch

Stress, Hektik, Hamsterrad, immer weiter, immer weiter. Die meisten fragen sich jeden Freitagabend, wie zum Teufel die Woche so schnell vergangen ist, vor der sie sich Sonntagabend so gegraust haben. Ein endloser Kreislauf aus Arbeit, Stress, Überforderung.

Endlich frei: Manche versuchen es mit Schokolade, andere flüchten mittels Desktop-Bildern weißer Sandstrände oder Postkarten. (Foto: Illustration: Astrid Müller)

Jede graue Maus, jeder durchschnittliche Versicherungsvertreter träumt davon, endlich daraus auszubrechen. Davon zeugen die mindestens sieben Auswanderer-Dokus im Privatfernsehen. Surflehrer auf den Kanaren, eine Imbissbude auf Mallorca, ein Ponyhof in der Wüste Australiens - alles ist besser, als jeden Montag ins Büro zu gehen.

Das jammert sich die komplette Belegschaft gegenseitig vor und ermuntert sich so zum Exodus. Nur sind die wenigsten so mutig, den Plan in die Tat umzusetzen. Denn so nervig der Chef, die Kollegen und die immer gleichen Aufgaben auch sind - wenigstens weiß man, was einen im Büro erwartet.

Sprachlos in Las Palmas

In Las Palmas könnte es dagegen passieren, dass man mitten in der Diskussion mit dem örtlichen Arbeitsvermittler feststellt, dass der dreiwöchige Spanischkurs an der Volkshochschule doch nicht ausreicht. Und dann ist es plötzlich nicht mehr so sicher, dass am Ersten des Monats das Gehalt auf dem Girokonto ist.

Also sucht sich der Kollege lieber kleinere, sicherere Möglichkeiten, aus seinem tristen Leben auszubrechen. Manche versuchen es mit Schokolade, andere flüchten mittels Desktop-Bildern weißer Sandstrände oder Postkarten des letzten Tunesien-Urlaubs an der Pinnwand. Die völlig Verzweifelten haben den Wodka in der Schreibtisch-Schublade.

Ein spontaner Befreiungsschlag

Wenn auch der nicht mehr gegen den Büro-Frust wirkt, hilft nur noch, einfach nicht mehr hinzugehen. "Morgen nehm ich mir frei", dieser Satz ist ein spontaner Befreiungsschlag, der eigentlich nur bedeutet, dass der Kollege jetzt wirklich genug von dem Laden hat.

Nur leider interpretieren ihn die Hyänen, aus denen das Team besteht, völlig anders: Wie, da nimmt sich jemand ganz spontan einen Tag Urlaub? Da kann doch was nicht stimmen! Hat der Kollege etwa ein Vorstellungsgespräch? Womöglich noch beim Wettbewerber?

Auf der nächsten Seite: Wie der Kollege ganz scheinheilig von seinem erholsamen Kurzurlaub schwärmt.

Schon brodelt die Gerüchteküche

"Ich such die M. Wo ist die denn?" "Die hat heut frei." "Echt? Wusst' ich gar nicht. Wieso denn?" "Tja, keine Ahnung ..." Dazu eine vielsagend hochgezogene Augenbraue und der im Vorbeigehen hingeworfene Satz: "Vielleicht besucht sie ja heute die Konkurrenz", und schon brodelt die Gerüchteküche.

Wer wirklich ein Vorstellungsgespräch hat, sollte das also am besten auf Montag oder Freitag legen. Dann geht der Termin bei den Kollegen locker als verlängertes Wochenende durch. Oder gleich zwei Tage am Stück beantragen und den ersten davon für die intensive Vorbereitung nutzen.

Und wenn er wiederkommt, wäre er gut beraten, von dem erholsamen Kurzurlaub zu schwärmen. Wie gut es tut, an einem Wochentag auszuschlafen, in Ruhe Zeitung zu lesen und dann gemütlich Dinge zu erledigen, zu denen er sonst nie kommt. Wie toll es ist, morgens nicht in einer vollgequetschten U-Bahn zu stehen, sich im Feierabendverkehr nicht zu ärgern oder labbrige, fettige Bratwurst in der Kantine zu essen.

Aber übertreiben sollte er es auf keinen Fall. Sonst wird er sich selbst wundern, wieso zur Hölle er zu einem Vorstellungsgespräch gefahren ist, anstatt wirklich mal aus dem Hamsterrad auszubrechen.

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