Mein Kollege sagt ...:"Ich bin der Power-Point- Phrasendrescher"

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Power-Point ist das Medium, mit dem der Kollege seinen sprachlichen Auswurf verbreitet. Mürbe machen statt überzeugen - so laufen seine Präsentationen.

Julia Bönisch

Womit verbringt der Kollege einen Gutteil seiner Zeit - abgesehen vom Solitaire Spielen, Quatschen mit dem Kumpel und dem Ordnen der Ablage? Ab und zu muss er auch schreiben. Etwa 25 Prozent seines Arbeitstages investiert der durchschnittliche Büroarbeiter wissenschaftlichen Schätzungen zufolge in die Textproduktion.

Einschläfernde Wirkung: Der Kollege glaubt, er könne mit beeindruckender Technik armselige Inhalte kaschieren. (Foto: Foto: iStock)

Hand-outs, E-Mails, Instant-Messaging: In einigen Abteilungen kommuniziert man über Arbeitsabläufe ausschließlich schriftlich. Da sollte man doch meinen, der Umgang mit Wörtern gehöre zur Routine. Trotzdem produziert der Kollege immer wieder Stilblüten, die dem Sprachliebhaber ein Sausen in die Ohren zaubern.

Key Visual für die Inhouse Campaign

Da wird der Workflow für das Channel-Marketing optimiert - aber der Emotional Benefit darf keinesfalls darunter leiden. Und der Deputy Director of Program Strategy sucht ein Key Visual für die Inhouse Campaign, sodass das Branding zum wichtigsten Asset wird. Noch nie haben wir unsere Zukunftsfähigkeit so krampfhaft unter Beweis gestellt.

Das ideale Medium, mit dem der Kollege seinen sprachlichen Auswurf verbreiten kann, ist die Power-Point-Präsentation. Sie ist einfach nicht totzukriegen: Etwa 400 Millionen Menschen haben das Programm auf ihren Rechnern. Angeblich produzieren sie damit 30 Millionen Vorträge - täglich. Jetzt wissen wir endlich, womit all die Berater, Werber und PR-Manager ihre Arbeitstage zubringen.

14-Jähriger beim Ego-Shooter

Dabei nimmt der Kollege irrigerweise an, er könne mit beeindruckender Technik armselige Inhalte kaschieren. Die Spezialeffekte seiner Präsentation reichen oft für die komplette Star-Wars-Saga aus; der Soundtrack klingt, als würde sich ein pubertierender 14-Jähriger bei einem Ego-Shooter vergnügen: Da fliegen die Botschaften von rechts zischend ins Bild, leuchtende Sterne weisen auf das wichtigste Argument hin, zur Erklärung des Säulendiagramms blinken Pfeile, und immer wenn eine Zahl erscheint, ertönt ein Schuss.

Auf eine einzige Folie hat er mindestens 27 Informationen in ebenso vielen Schriftarten und -größen gepackt. Ist ihm ein Aspekt besonders wichtig, unterstreicht er ihn, macht ihn fett oder kursiv. Der Kollege liest alles vor, obwohl das Publikum ja selber sieht, was vorne an der Wand steht - und es zur Sicherheit noch ein Thesenpapier mit identischem Text bekommen hat.

Trotzdem bleibt den Zuhörern nicht viel in Erinnerung, eigentlich nur die erste und die letzte Folie: "Guten Tag" und "Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit". Dazwischen pulen sie sich vor lauter Langeweile mit der Uhr schwarze Krümel aus den Fingernägeln.

Auf der nächsten Seite: Welche schrecklichen Folgen das Einlullen mittels Power-Point haben kann.

Diskussionen, Kreativität - wer braucht denn so was?

Dieses Einlullen kann ernste Folgen haben, sogar tödliche: Die Nasa gibt einer einschläfernden Power-Point-Präsentation Mitschuld am Absturz der Raumfähre Columbia. Ingenieure hatten zwar auf die Gefahren durch Einschläge an den Tragflächen hingewiesen - aber in einer wirren Power-Point-Präsentation. So nahmen die Verantwortlichen überhaupt nicht wahr, wie lebensbedrohlich die Lage werden konnte.

Das sollte doch als Warnung reichen! Trotzdem presst der Kollege seinen Vorträge in das Power-Point-Microsoft-Korsett: Die ersten Folien widmen sich der Analyse (Ist-Zustand), die Mitte gehört der Zukunft (Soll-Zustand), am Schluss geht es um notwendige Handlungen. Diskussionen, Kreativität - wer braucht denn so was?

Das Konzept von Power-Point lautet nicht "vereinfachen, ordnen, überzeugen", sondern "einschläfern, zermürben, betäuben". Das Dumme ist, dass der Kollege mit dieser Taktik manchmal weiter kommt als mit guten Argumenten.

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