Mein Kollege sagt ...:"Für mich gelten Regeln nicht"

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Es gibt Kollegen, die felsenfest davon überzeugt sind, dass Richtlinien prinzipiell für alle gelten - nur nicht für sie. Leider gibt es nicht in jeder Firma eine Sittenpolizei.

J. Bönisch

Der Sekretärin in den Ausschnitt schauen, Pin-ups an die Wand hängen, teure Geschenke annehmen - dass in der Firma bestimmte Dinge verboten sind, ist einsichtig. Das dient der reibungslosen Zusammenarbeit und sorgt für einen störungsfreien Ablauf.

Viele Kollegen sind überzeugt: Regeln gelten für alle - nur nicht für sie selbst. (Foto: Illustration: Astrid Müller)

Deshalb stellen große Unternehmen tausendseitige Handbücher zusammen, in denen die Political Correctness (PC) definiert und die Büro-Spielregeln peinlich genau aufgelistet sind: "Bringen Sie keine Waffen auf das Firmengelände" heißt es zum Beispiel in den Leitlinien eines weltweit operierenden, amerikanischen Konsumgüterkonzerns.

Keine lüsternen Blicke

Weitere, durchaus nützliche Tipps finden sich einige Seiten weiter. "Leisten Sie keine ungesetzlichen Zahlungen an öffentliche Amtsträger" etwa, oder "Sagen Sie die Wahrheit in der Werbung und Verkaufsförderung der Firma". Dass dieser Passus auch der Marketingabteilung bekannt ist, bezweifeln genervte Kunden hartnäckig.

Beim Einzelhandelsriesen und Gewerkschaftsliebling Wal Mart war die Seite 17 der Ethikregeln dem Punkt "Private Beziehungen/Liebesbeziehungen" gewidmet. In Zeiten, in denen angeblich jede dritte Beziehung am Arbeitsplatz geknüpft wird, eine naheliegende Maßnahme. Affären unter Kollegen waren strengstens untersagt, ebenso wie "lüsterne Blicke, zweideutige Witze und sexuell deutbare Kommunikation jeder Art". Für die Durchsetzung sorgte die hauseigene Sittenpolizei, die hellwach durch die Filialen streunte und jedes Zwinkern mit einer Abmahnung ahndete.

Nun gut, das geht zu weit. Das sahen auch die Arbeitsrichter so. Trotzdem wollen wir an dieser Stelle eine Lanze für die Regeln brechen, also gegen das Regeln brechen protestieren. Denn es gibt Kollegen, die felsenfest davon überzeugt sind, dass Grundsätze prinzipiell für alle gelten - nur nicht für sie.

Einfach mal länger liegen bleiben

Wie, die Konferenz beginnt pünktlich um zehn? Wenn der Kollege erst um Viertel nach auftaucht, reicht das doch vollkommen aus. Und wenn er überhaupt nicht kommt, gibt es immer noch genügend andere Deppen, die bereit sind, sich die Selbstbeweihräucherung des Chefs und seiner Lieblinge anzuhören.

Oder die Sache mit der Kernzeit: Wenn alle anderen brav am Schreibtisch sitzen, wird schon irgendeiner die Anrufe entgegennehmen. Da kann er doch ruhig morgens noch die Wäsche machen, einfach mal ein paar Minuten länger liegen bleiben oder nachmittags zwei Stunden Kaffee trinken gehen.

Was ein Mann eben tun muss

Die goldene Regel lautet, sich in solchen Fällen bloß nicht zu beschweren. Wer es doch tut, ist schnell als Paragraphenreiter, Korinthenkacker oder Spießer verschrien, wahlweise auch als Pedant und Bürokrat. Mit Sekundär-Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Gehorsam könne man schließlich auch ... Na, lassen wir das.

Der Satz "Es geht ums Prinzip" ist ja wirklich kein schlagendes Argument, da sollte man sich schon Besseres einfallen lassen. "Das war schon immer so" funktioniert erst recht nicht, denn leider war es ja schon immer ganz genau so: Die einen tun, was ein Mann eben tun muss, während es sich die anderen recht gutgehen lassen. Und der Sekretärin in den Ausschnitt starren, obwohl das natürlich überhaupt nicht PC ist.

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