Medizinstudium:Teste sich, wer kann

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Der Medizinertest vor Beginn des Studiums erfährt eine Renaissance. Aber ohne sehr gutes Abitur wird auch in Zukunft kaum jemand Arzt werden.

Frank van Bebber

Vor dreieinhalb Wochen hat Tabea Wießmeyer ihre letzte Abi-Klausur geschrieben. Da wusste sie aber bereits, dass sie mit der Hochschulreife noch nicht reif für ihr Traumstudium Medizin in Mannheim ist. Statt auf die Abi-Party stellte sie sich auf die nächste Prüfung ein. Am Samstag war es soweit: Die 20-Jährige drängte mit 550 anderen Abiturienten in die Stuttgarter Liederhalle. Dort war erstmals seit zehn Jahren wieder ein Medizinertest angesetzt. Auch an 15 anderen Orten, von Bremen bis Freiburg, mussten sich Studienbewerber zur Prüfung einfinden. 7159 Abiturienten hatten sich zum gemeinsamen Test der baden-württembergischen Medizinfakultäten angemeldet.

Einser-Abiturienten bevorzugt: Medizinstudenten im ersten Semester an der HU Berlin. (Foto: Foto: ddp)

Mit dem freiwilligen Angebot konnten die Bewerber ihre Chance auf einen der 1200 Medizin-Anfängerplätze verbessern, die das Ländle im neuen Studienjahr zu vergeben hat. Die Fakultäten hoffen, der Test offenbart, wer konzentriert logisch denken und komplexe Informationen verarbeiten kann. Fünf Stunden ordneten die Schulabgänger Muster, prüften Textaussagen und wandelten Formeln um. "Es ist ein Unterschied, eine gute Abiturnote zu haben oder das Wissen an einem Tag auf den Punkt abrufen zu können", sagt Franz Resch, Studiendekan der Heidelberger Medizinfakultät. "Damit erfassen wie eine Reihe von Begabten, die nicht auf einen 1,0-Schnitt zusteuern". In Heidelberg hatte der schlechteste Medizin-Anfänger zuletzt eine 1,2 im Abitur. Nun dürfen Bewerber mit ein paar Zehnteln mehr hinter dem Komma wieder hoffen. In Leipzig, wo die Uni einen kürzeren 100-Minuten-Test anbietet, spreizte sich das Feld bis 1,5.

Auch die in Stuttgart angetretene Sophie Niethammer aus Esslingen wollte am Samstag ihr schwächeres Einser-Abi aufwerten. Konkurrenten, die bei den Noten schlechter stehen, bedauert sie: "Mit 2,6 hat man keine Chance - der Test entscheidet wieder nur unter den Besten." Für den Eignungsdiagnostiker Heinz Schuler von der Universität Hohenheim ist dies wenig überraschend. Zum einen zähle die Abiturnote bei der Zulassung mindestens 51 Prozent. Zum anderen prüfe der Test Fähigkeiten, wie sie auch ein gutes Abitur erfordere.

Test-Teilnehmer Esvad Aydin, 19, hat dennoch festgestellt: "Auf das Abitur bereitet man sich mehr vor, aber die Anforderungen an das Gehirn waren hier höher." Der Stress ist groß, eine zweite Chance gibt es nicht. Die Organisatoren haben penibel auf gleiche Bedingungen überall in Deutschland geachtet. Sie zählten selbst die Toiletten ab. Die Kandidaten durften nicht laut mit Butterbrotpapier rascheln.

Gestandene Mediziner haben dabei ein Déjà-vu-Erlebnis. Schon einmal bestimmte der Test 16 Jahre lang, wer auf ein Berufsleben im weißen Kittel hoffen durfte. 1997 war zunächst Schluss. Der Test galt als teuer, die Zahl der Bewerber sank, und jede zentrale Steuerung galt nicht zuletzt in Baden-Württemberg als Angriff auf die Hochschulfreiheit. Die überraschende Renaissance des Tests im Südwesten ist Folge der Vorgabe an die Fakultäten, in bundesweiten Numerus-clausus-Fächern 60 Prozent der Bewerber selbst auszuwählen.

Nur noch 40 Prozent vergibt die Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen (ZVS) nach Abitur und Wartezeit. Die ZVS werde zur Restgröße der Hochschulpolitik, jubilierte vor zwei Jahren Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU). Doch die Euphorie verflog, als zigtausende Bewerbungen die Unis überschwemmten. Viele Fächer haben die Auswahl auf gewichtete Abifächer und einen Bonus für Berufserfahrung beschränkt. Baden-Württembergs Mediziner indes erinnerten sich an den alten Test. Geliefert hat ihn die Bonner ITB-Consulting GmbH, die schon den ersten Medizinertest entwickelte. Die Bonner verweisen auf ihre Daten; sie verrieten: Abitur plus Test garantiere die beste Auswahl. Minister Frankenberg unterstützt die Massenprüfung. Jede Hochschule gewichte das Ergebnis anders und ergänze es um weitere Kriterien. "Das ist Selbstauswahl", sagt er.

Wer an dem Verfahren teilnimmt, muss 50 Euro für den Test zahlen. Auch andernorts könnte das Bezahlstudium bald schon bei der Auswahl und Zulassung beginnen. Die Hochschulrektorenkonferenz erwartet in den kommenden Wochen ein Gutachten über die allgemeine Zulässigkeit solcher Gebühren.

Die Befürworter der Tests drängen zur Eile. In Deutschland gehe es noch zu "wie knapp nach der Eiszeit", sagt der Psychologe Oliver Wilhelm von der Berliner Humboldt-Uni. In anderen Ländern seien Tests seit langem üblich. Einen Einwand aber hält Wilhelm für diskussionswürdig: Die perfekt angepasste Auswahl nütze vor allem den Hochschulen. "Aus Sicht der Gesamtgesellschaft oder des Einzelnen sieht es häufig anders aus."

Prüfung für Psychologen

Wilhelm hat im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Psychologie einen Test für Psychologie-Bewerber entwickelt, den die Freie Universität (FU) Berlin im Juli erstmals einsetzen will. Die Fragen könnten zum Beispiel sein, was ein Enzym ist oder mit welcher Wahrscheinlichkeit die ersten Plätze bei einem Rennen von acht Pferden vorherzusagen sind. Die FU spricht von einem "Prototyp auch für Tests in anderen Fächern". Wilhelm hofft auf den Einstieg weiterer Psychologie-Institute; die Südwest-Mediziner berichten bereits von einem Interesse aus anderen Bundesländern.

Ob die Tests am Ende nicht nur die besten Studenten, sondern auch die fähigsten Psychologen und Ärzte herausfiltern, ist laut Wilhelm "eine unbeantwortete empirische Frage". Ärztin Martina Kadmon von der Uniklinik Heidelberg, die den Medizinertest koordiniert, bekennt: "Wir wissen nicht, wie man einen guten Arzt misst." Die ITB-Testentwickler sehen das nüchtern. Wer zwar das Rüstzeug für einen guten Arzt hätte, das Studium aber nicht überstehe, könne nun einmal gar kein Arzt werden.

Auswahlexperte Schuler hat Verständnis für die Scheu, Eigenschaften wie Mitgefühl zu bewerten. Kreativität oder Interesse für ein Fach könne man dagegen durchaus erfassen, zum Beispiel mit Hilfe von Arbeitsproben. Der Medizinertest liefere eher allgemeine Aussagen. Wer hier gut abschneide, würde auch einen guten Juristen oder Volkswirt abgeben.

Davon allerdings will die Test-Teilnehmerin Sophie Niethammer nichts wissen. Vor der Liederhalle knabbert sie nach der Prüfung erschöpft Schokolade und sagt, Medizin bleibe ihre erste Wahl. In jedem Fall.

© SZ vom 21.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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