Master ohne Bachelor:Geschlossene Gesellschaft

Lesezeit: 3 min

Ein Masterstudium ohne Erststudium, aber mit Berufsausbildung, das ist nur in einigen Bundesländern erlaubt. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe.

Von Christine Demmer

Die gelernte Kinderkrankenschwester begann 2002 ein Fernstudium zur staatlich anerkannten Betriebswirtin. "Ein akademischer Abschluss war damals für diesen Bildungsweg noch nicht möglich", sagt Kerstin Thalhammer ( Nachname von der Redaktion geändert ). Als berufstätige Mutter von drei Kindern kam ein Vollzeitstudium für sie ohnehin nicht infrage. Ihr Ziel war ein Bachelorabschluss. Aber es geht auch ohne ihn: "Im Beratungsgespräch bei der Hochschule stellte sich heraus, dass durch die Anerkennung von Berufsjahren, verbunden mit einem speziellen Einstiegsstudium, auch ein Masterstudium machbar war", erzählt Thalhammer. Und zog auch das MBA-Studium bis zum Ende durch. "Es ist ein tolles Gefühl, diesen Abschluss zu haben", sagt sie. "Ich kann das empfehlen."

Die Zugangsvoraussetzungen müssen für alle dieselben sein, lautet ein Gegenargument

So mancher Krankenpfleger, Rettungssanitäter oder auch die Luftverkehrskauffrau mit Abitur entdeckt erst mit Mitte, Ende zwanzig, dass das Helfen und Organisieren zwar Freude macht, der Weg ins Management aber regelmäßig an ein Hochschulstudium geknüpft ist. Viele reizt ein fachbezogenes Masterstudium oder das Überblicksfach Master of Business Administration, zumal diese Programme oft in Teilzeit durchgeführt werden und sich daher für Berufstätige anbieten. Allerdings werden nur Bachelors zugelassen, was vorangehende drei Jahre Vollzeitstudium bedeutet. Es sei denn, man wählt eine Hochschule in einem Bundesland, in dem es Berufstätigen unter teils sehr strengen Auflagen erlaubt ist, unmittelbar ins Masterstudium einzutreten. Möglich ist das bisher in Hamburg, Bremen, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Hessen. In den anderen Bundesländern ist der Besuch eines weiterbildenden Masterstudiengangs ohne vorheriges Bachelorstudium nicht möglich.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte sich schon 2010 in den "Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen" für die Gleichwertigkeit von Bachelor und Berufspraxis ausgesprochen. Beweggründe sind die Vereinheitlichung der europäischen Hochschulbildung, der Fachkräftemangel und die sich mehr und mehr durchsetzende Überzeugung, nach der die Summe aus Berufsausbildung und Erfahrung ebenso wertvoll ist wie ein akademisches Erststudium. Zwar gilt der Bachelorabschluss nach wie vor als Regelzugang für ein Masterprogramm. Doch "in definierten Ausnahmefällen" gestatten die Landeshochschulgesetze stattdessen auch Berufspraxis plus eine bestandene Eingangsprüfung.

Für manche das höchste der Gefühle: Endlich dürfen sie den MBA- oder einen anderen Master-Titel führen. Doch hängt es von dem jeweiligen Bundesland und der jeweiligen Hochschule ab, ob sie Anwärter ohne Bachelorabschluss für ein Masterstudium zulässt. (Foto: Rolf Vennenbernd/picture alliance)

Obwohl die Hochschulgesetze diese Möglichkeit grundsätzlich vorsehen, halten Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen an der Forderung nach einem Erststudium fest. Die niedersächsische Linie begründet Margit Kautenburger vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover wie folgt: "Sowohl konsekutive als auch weiterbildende Masterstudiengänge führen zum gleichen Qualifikationsniveau und zu den gleichen Berechtigungen, wie zum Beispiel zum Promotionsrecht. Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Perspektive richtig und konsequent, für beide Formen die gleichen Zugangsvoraussetzungen, einen ersten Hochschulabschluss, festzulegen."

Angesichts der Bundesländer, die auf das Erststudium pochen, mutmaßt Walburga Freitag vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Hannover: "Sie vertrauen nicht auf die beruflichen Kompetenzen, die die Studierenden mitbringen." Wenngleich, wie sie berichtet, der Lerneifer und die Studienergebnisse der Praktiker von den Hochschulen sehr gelobt würden. "Das allein sagt noch nichts über das Qualifikationsziel aus, das typischerweise durch die Kombination aus dem grundständigen Bachelor- und dem darauf aufbauenden Masterstudium erreicht werden soll", kommentiert Ludwig Unger vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus. "Berufliche Kompetenzen können zwar grundsätzlich auf ein Bachelorstudium angerechnet werden, das Qualifikationsziel jedoch nicht ersetzen."

Das mangelnde Vertrauen in berufliche Kompetenzen ist es freilich nicht allein, das die Länder davon abhält, die Öffnung ihrer Hochschulen voranzutreiben. Walburga Freitag: "Man möchte, dass die Studierenden zuerst in einen Bachelorstudiengang gehen." Möglicherweise, wie es Bildungspolitiker in Bayern betonen, um die Qualität des Wissens zu sichern. Denkbar ist auch, dass die Länder ihre grundständigen Studiengänge besser auslasten wollen. Freitag würde gern eine Studie machen, um die Beweggründe der Bundesländer auszuloten. Denn es gibt auch rechtliche Fragen, die den Ausbau der weiterbildenden Masterprogramme verzögern.

Diese betreffen unter anderem die Kosten der Hochschulausbildung und die Vergütung der Lehrkräfte. Alle Hochschulen unterliegen seit 2007 dem EU-Beihilferecht. Darin ist geregelt, was wirtschaftliche und was nicht wirtschaftliche Tätigkeiten der Hochschulen sind. "Für wirtschaftliche Tätigkeiten bekommen die Hochschulen keine Beihilfen vom Staat", stellt Freitag klar. Wenn man die weiterbildenden Masterprogramme, für die Studiengebühren bezahlt werden müssen, als "wirtschaftliche" Aufgaben definiert, müssen die Hochschulen die Kosten für die Lehre, also auch die Professorengehälter, allein aus ihren Haushaltsmitteln und den von Studenten gezahlten Gebühren bestreiten. Sind die Angebote "nicht wirtschaftlich", dann winken Zuschüsse. "Kürzlich räumte die Kultusministerkonferenz die Möglichkeit ein, dass weiterbildende Masterprogramme nicht wirtschaftliche Tätigkeiten sein können", berichtet Freitag. "Aber die Justiziare der Hochschulen sind vorsichtig", fügt sie hinzu. Noch fehlen von der EU-Kommission rechtsverbindlich verabschiedete Kriterien zu dieser Thematik. Die Folge: Falls die Hochschulen ihre Studiengänge falsch einordnen und dafür öffentliche Mittel in Anspruch nehmen, machen sie sich strafbar. Die Zurückhaltung ist daher nachvollziehbar.

Andere Bundesländer sehen das nicht so eng. Wer wie Kerstin Thalhammer auch ohne Bachelor zu einem Masterprogramm zugelassen werden will, muss sich eben an einer Hochschule bewerben, die ihren Sitz in einem der liberaleren Länder hat. Nicht zuletzt deshalb hat sich die Hansestadt Hamburg zu einem Zentrum für berufsbegleitende Fernstudien entwickelt. Wo der Studierende dann tatsächlich büffelt, spielt bei einem Fernstudium keine Rolle.

© SZ vom 21.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: