Manager-Fortbildung:Wer Chef sein will, muss leiden

Lesezeit: 5 min

Vorgesetzte sind arme Hunde: zu Besuch in einem Führungskräfte-Seminar.

Karin Steinberger

Lang dauert es nicht. Sie haben sich gerade erst kennengelernt, neun Männer, drei Frauen, sie sitzen im Halbkreis, von Flipcharts eingekeilt, vor sich große, graue Ordner mit der Aufschrift: Ifme. Draußen strahlt der Bodensee. Mein Name, meine Firma, meine Stellung. Dann geht es gleich zur Sache. Als sie mit dicken Filzstiften ihre Probleme aufschreiben sollen, wird schnell klar: Führungskräfte sind arme Hunde. Von Zickenterror und Scheuklappen ist da die Rede, von chaotischen Umstrukturierungsprozessen und Akzeptanzproblemen als Seiteneinsteiger. Irgendwann sagt einer in die Stille hinein: "Es tut gut, wenn man sieht, andere leiden auch." Dann lachen sie, die Führungskräfte.

"Für was werden Führungskräfte eigentlich bezahlt?","Schizoide Kommunikation, ist das was Pathologisches?": Fragen über Fragen aus einem Führungskräfteseminar. (Foto: Foto: iStockphoto)

Der Seminarleiter ist ein großer, runder Mann. Sein Name ist Jürgen Berger, er war selber jahrelang Führungskraft, dann wurde er Führungskräftecoach. Er hat weiche Worte für den harten Alltag. Er spricht von "Widerstandskissen" und "Sandwichpositionen", von "Scheinwerfermanagement" und der "Landkarte des Führens". Die Dinge klingen bei ihm beruhigend einfach. Dann legt er die Spielregeln für die nächsten zwei Tage fest. Es gilt: Zuckerbrot und Peitsche. Ein Sozialromantiker, wer glaubt, man könne hier oder in der Firma oder irgendwo sonst ohne Peitsche auskommen, sagt der Seminarleiter und setzt ein Lächeln drauf. "Es funktioniert nicht, wenn sich alle lieb haben, kuschel, kuschel."

Neun Männer, drei Frauen, das ist ein Team. Auch hier können Querulanten stören und Kommunikationsfallen alles lahmlegen. Auch hier muss einer Chef sein und das Ziel klar definieren. "Auch hier sollten nicht alle elf im Tor stehen." Gelächter. Draußen wandern Nonnen durch die grüne Landschaft um das Kloster Hegne. Sie schauen friedlich.

Es ist der erste Tag des "Kloster-Specials" zum Thema: "Die sieben schwierigsten Situationen für Führungskräfte - und wie Sie diese erfolgreich managen." Die Team-Spielregeln sind klar: Zeitvereinbarungen müssen eingehalten werden, man soll sich kurz fassen, die anderen ausreden lassen. Und doch muss jeder auch für sich selbst sorgen. Schweigen gilt als Zustimmung. Es herrscht Vertraulichkeit. Und es gilt das Gesetz der Schwelle. Kein Team hat Erfolg, wenn alle außerhalb der Schwelle übereinander reden anstatt im Raum miteinander. Damit fahre man ein Unternehmen genau so sicher an die Wand wie mit Verdrängung, sagt Jürgen Berger und rollt Flipcharts über den dunkelblauen Teppich.

Das Problem ist, man kann sich jede Situation schönreden. So wie der Mann, der aus dem zehnten Stock springt und im achten und im siebten, selbst im sechsten noch sagt: Bis jetzt ist alles gut gegangen. Falsch ist das nicht. Im Erdgeschoss allerdings könnte es schwierig werden.

Das ist es. Deswegen sind sie hier. Sie wollen nicht aufschlagen. Eigentlich wollen sie gar nicht springen. Aber wenn sie schon springen müssen, wollen sie zumindest wissen, wie man gut ankommt.

Fast alle im Raum sind in der mittleren Führungsebene in mittelständischen Unternehmen. Sie haben über sich einen Chef und unter sich Mitarbeiter. Sie stehen irgendwie dazwischen. "Für was werden Führungskräfte eigentlich bezahlt", fragt Berger. "Wieso benutzen Sie das Wort eigentlich?", fragt eine Führungskraft. Dann sammeln sie Gründe. Der Seminarleiter schreibt mit: Entscheidungen treffen - Verantwortung übernehmen - Erfolg haben - der Schuldige sein - Blick aus der Meta-Ebene. "Was ist das denn, Meta-Ebene?", fragt einer. "Adlerblick", sagt der Seminarleiter und schreibt es auf. "All das machen gute Mitarbeiter doch auch", sagt ein anderer. Also sammeln sie weiter: Fäden zusammenhalten - Konflikte lösen - Fokussieren - erarbeiten einer Unternehmensstrategie. Man ist sich einig, das ist Führung.

Auf einem Tisch am Rand des Raumes liegen Werbebroschüren für weitere Ifme-Führungskräfte-Seminare: "Führen & Motivieren" - "Unter Druck erfolgreich handeln" - "Schwierige Mitarbeiter erfolgreich führen". Es besteht offensichtlich Bedarf. Die Broschüren versprechen schöne Dinge. "Während des gesamten Seminars erarbeiten Sie in zahlreichen Übungen Lösungen für Ihren Führungsalltag." Oder: "Rollenspiele helfen Ihnen dabei, das Gelernte zu vertiefen und sofort anzuwenden." Keine Folienschlacht wolle man hier veranstalten, sagt Jürgen Berger. "Wir wollen Ihnen zeigen, wie Sie sich im Sandwich bewegen können." Geraune im Seminarraum, noch warten sie. Dann wieder ein Bekenntnis: "Ehrlich gesagt, ich fühle mich wie die Gurke im Sandwich."

Vor dem Haus fährt ein Traktor vorbei, der Seminarleiter malt vier Quadrate auf eine leere Flipchart-Seite, in eines malt er etwas, das aussieht wie eine Schießscheibe. Das also ist die EE-Matrix. "Effektivität und Effizienz im Fokus der Aufmerksamkeit", steht dazu im dicken Ordner. Seminar-Erfahrene nicken wissend. Wenn man es richtig verstanden hat, geht es in der EE-Matrix darum, die richtigen Dinge richtig zu machen und nicht die falschen Dinge falsch zu machen. Klingt banal. Aber das tägliche Scheitern ist ja auch banal.

80 Prozent der Konflikte entstehen bei Kommunikationsfallen, sagt Jürgen Berger. "Kommunikation ist das wichtigste Führungselement, seit es Kalaschnikows nicht mehr gibt." Das letzte Gespräch mit dem Chef. Wann war das eigentlich? Und wie war es? Augen werden gerollt. "Gute Leute sollte man überholen lassen in der Fachkompetenz", sagt Berger. Ein schlechter Chef holt schlechte Leute. Das ist bekannt. Und es ist üblich. "Querulanten sollte man nicht ausladen, sondern einladen." Lautes Aufstöhnen.

Dann endlich, ein Spielchen. Die Gruppe muss durchzählen bis 37, einer nach dem anderen. Für alle durch sieben teilbaren Zahlen muss man "zack" sagen, für alle Zahlen, die eine sieben enthalten, auch. Es muss schnell gehen, eine Frau bleibt hängen, alle anderen freuen sich, der Seminarleiter gratuliert hämisch. Fehler. Bringt nix. Die Gruppe muss wieder von vorne anfangen, alle sind betroffen, alle leiden. Was nutzt da Häme? Das schwächste Glied im System ist ein Problem für alle. Ein unsicherer Mitarbeiter wird immer unsicherer, macht immer mehr Fehler. Für die Gruppe ist das verheerend.

Motivieren heißt das Zauberwort. Der Seminarleiter malt ein Motivationsmodell auf, spricht von Unterspannung und von Überspannung. Die Frage ist, wo befindet sich der Mitarbeiter? Ist er gelangweilt, resigniert, also unterspannt? Oder ist er gestresst, kurz vor dem Burn-out, also überspannt? Beide versagen auf ihre Art. Aber beide brauchen eine völlig andere Hilfestellung. Problemfälle aus den eigenen Firmen werden diskutiert. Es ist komplizierter als gedacht. Ja, wo ist er eigentlich, der Mitarbeiter?

"Und morgen basteln wir uns Konflikte", sagt Jürgen Berger zum Abend des ersten Seminar-Tages. Vor der Tür wartet schon eine Barmherzige Schwester vom heiligen Kreuz - Klosterführung.

Am zweiten Tag geht es dann von der Kommunikation gleich weiter zum Konflikt. Und vom Konflikt zur Krise. Das ist der Ablaufplan. "Löse den Konflikt so weit oben wie möglich", sagt Jürgen Berger, zeichnet eine auf dem Kopf stehende Pyramide auf. Oben steht Material, ganz unten Charakter. Das leuchtet ein. Es ist einfacher, einen Computer auszuwechseln als eine Persönlichkeit.

Problemgespräche werden durchgespielt, von Kollegen in der Todesspirale ist die Rede, von Verantwortungsmikado und schizoider Kommunikation. Als Jürgen Berger das sagt, lacht einer laut. "Schizoide Kommunikation, ist das was Pathologisches?" Alle lachen, alle wissen, von was die Rede ist. Von Kommunikationsformen, bei denen nichts fest ist, bei denen alles driftet. Keine Rolle klar, kein Ziel benannt. Alltag in vielen Büros. Irgendwann fragt dann noch einer in den Abend hinein: "Warum sind Chefs eigentlich so, wie sie sind? Sind sie deswegen nach oben gekommen, weil sie immer so waren, oder wird man da oben so?"

© SZ vom 7.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: