Jugendarbeitslosigkeit:"Einige reagieren mit Gewalt"

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Viele Jugendliche hangeln sich von Praktikum zu Praktikum, sind Leiharbeiter oder haben gar keinen Job. Der Psychologe Thomas Kieselbach über die dramatischen Folgen von Arbeitslosigkeit, Frustration und Gewalt.

Sibylle Haas

Thomas Kieselbach, 63, ist Sprecher des Instituts für Psychologie der Arbeit, Arbeitslosigkeit und Gesundheit (IPG) im Studiengang Psychologie an der Universität Bremen und Vorsitzender des Wissenschaftskomitees "Arbeitslosigkeit und Gesundheit" der Internationalen Kommission für berufliche Gesundheit (ICOH). Kieselbach fordert mehr Engagement des Staates bei der Bewältigung der Jugendarbeitslosigkeit.

Thomas Kieselbach: "Die Gesellschaft muss soziale Verantwortung übernehmen." (Foto: Foto: oH)

SZ: Herr Professor Kieselbach, die Arbeitslosigkeit ist bei jungen Menschen besonders hoch. Welche Folgen hat das?

Thomas Kieselbach: Arbeitslosigkeit begünstigt soziale Ausgrenzung. Wir müssen dafür sorgen, dass junge Menschen in den Arbeitsprozess und damit in die Gesellschaft integriert werden.

SZ: Wer arbeitslos ist, wird von der Gesellschaft ausgestoßen?

Kieselbach: Ja, unsere Forschung auf EU-Ebene hat gezeigt, dass das Risiko insbesondere bei uns sehr hoch ist. Außerdem verstärkt Arbeitslosigkeit vorhandene gesundheitliche Probleme, die der Einzelne unter normalen Bedingungen noch gut bewältigen könnte. Soziale Ausgrenzung hat auch psychosoziale Folgen.

SZ: Zum Beispiel?

Kieselbach: Am häufigsten anzutreffen sind depressive Erkrankungen. Wer arbeitslos ist, fühlt sich oft stigmatisiert, nutzlos. Viele ziehen sich zurück, weil sie sich schämen. Sie verlieren ihr Selbstwertgefühl. Das alles ist der Nährboden für Depressionen.

SZ: Was bedeutet es für die Gemeinden, wenn dort viele junge Menschen keine Jobs haben?

Kieselbach: Eine hohe Arbeitslosigkeit führt oft dazu, dass der soziale Zusammenhalt zerfällt. Erinnern wir uns nur an die gewalttätigen Auseinandersetzungen in den französischen Vorstädten vor zwei Jahren. Sie waren auch Folge der hohen Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund.

SZ: Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen Jugendarbeitslosigkeit und Gewalt?

Kieselbach: Wir stellen vorwiegend fest, dass sich Arbeitslose zurückziehen und isolieren, also eher depressiv werden. Natürlich kann ein Teil der jugendlichen Arbeitslosen mit Gewalt reagieren. Dahinter steckt, dass sie die Kontrolle wiedergewinnen wollen, die sie durch die Arbeitslosigkeit verloren haben. Jobverlust bedeutet Kontrollverlust. Wer Gewalt ausübt, hat Kontrolle über andere Menschen. Man kann aber nicht sagen, dass Jugendarbeitslosigkeit zwangsläufig zu Gewalt führt. Solche Ausschreitungen wie in Frankreich gab es in der Bundesrepublik bislang kaum.

SZ: Wir haben Probleme in Ostdeutschland. Dort verändert sich das soziale Klima gerade auch durch die hohe Arbeitslosigkeit junger Menschen.

Kieselbach: Das ist richtig. Es gibt junge Menschen, die noch nie eine richtige Arbeitsstelle hatten. Diese stehen natürlich außerhalb unserer Gesellschaft und stellen zweifelsohne für das soziale Klima ein erhebliches Risiko dar.

SZ: Wie können die jungen Arbeitslosen ihre Situation ändern?

Kieselbach: Zunächst einmal durch Selbstinitiative, denn Abwarten bringt nichts. Es ist aber vor allem notwendig, dass die Gesellschaft soziale Verantwortung übernimmt. Ich meine damit eine Art sozialer Geleitschutz. Die Schulen sind beispielsweise gefordert. In den Schulen muss vermittelt werden, wie sich junge Leute Informationen über Arbeitsangebote beschaffen und wie sie Netzwerke nutzen können.

SZ: Lassen wir unseren Nachwuchs alleine?

Kieselbach: Es gibt in Deutschland ein sehr breitgefächertes Angebot an Hilfsmaßnahmen. Deutschland ist immer noch vorbildlich, auch wenn andere Länder inzwischen kreativere Instrumente entwickelt haben.

SZ: Welche Beispiele finden Sie besonders gelungen?

Kieselbach: Schweden hat mit seiner 100-Tage-Garantie für junge Menschen ein Instrument eingeführt, das in Deutschland erst sehr viel später ernsthaft diskutiert wurde. In Schweden wird Jugendlichen nach 100 Tagen der Arbeitslosigkeit ein verbindliches Angebot für einen Job im öffentlichen Bereich oder für eine Qualifizierungsmaßnahme unterbreitet. Da wird durchaus auch mit Druck gearbeitet. Ziel ist es, Langzeitarbeitslosigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen.

SZ: Müssen die deutschen Unternehmen mehr tun?

Kieselbach: Wenn Unternehmen aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit keine Ausbildungsplätze anbieten können, dann muss dies der Staat in Kooperation mit Betrieben tun. Das gehört zur staatlichen Verantwortung.

SZ: Es arbeiten immer mehr junge Menschen in unsicheren Arbeitsverhältnissen als Leiharbeitnehmer oder in befristeten Jobs. Was bedeutet das für deren Selbstwertgefühl?

Kieselbach: Zeitlich befristete Jobs haben in vielen Ländern deutlich zugenommen. In Spanien sind derzeit 90 Prozent der neuen Stellen zeitlich befristet. Es kommt darauf an, wie diese heute als prekär bezeichneten Arbeitsverhältnisse ausgestaltet werden. Unsere Studien zeigen, dass die jüngere Generation, etwa in Italien, mit flexibleren Beschäftigungsformen deutlich besser klarkommt als die Älteren. Sie haben mehrere Jobs gleichzeitig und können dabei auch unterschiedliche Fähigkeiten entwickeln.

© SZ vom 30.1.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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