Jobsuche mit 55:"Aufgeben ist das Letzte"

Lesezeit: 3 min

Angeblich überqualifiziert oder zu flexibel: Der 55-jährige Klaus Rehn ist seit 2001 ohne festen Job. Seine 500. Bewerbung schmückte er mit einem Lorbeerkranz.

Sibylle Haas

Klaus Rehn will einfach nur arbeiten, will von niemandem als faul oder unfähig abgestempelt werden. Doch Rehn findet keine richtige Arbeit. Abgesehen von einigen befristeten Jobs, fällt der 55-Jährige seit 2001 in die Arbeitslosen-Statistik der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Damit ist Rehn einer von 1,13 Millionen Menschen in Deutschland, die schon lange erwerbslos und älter als 50 Jahre sind. "Ich will nicht mit Sozialschmarotzern in eine Schublade geschoben werden, die alles tun, um nicht zu arbeiten", sagt Rehn und fügt trotzig hinzu: "Es muss doch auch für einen Mann über fünfzig Arbeit geben in diesem Land."

Universell einsetzbar, aber nirgendwo erwünscht: Klaus Rehn. (Foto: Foto: Jörg Buschmann)

Er würde so ziemlich alles tun: Als Bürohilfskraft hat er sich beworben und als Kassierer an einer Tankstelle. Selbst als Fahrradmonteur und Souvenirverkäufer wollte der Organisationsexperte mit Fachhochschul-Abschluss sein Geld verdienen. "Keine Chance", sagt er. "Mehr als einmal wurde ich mit der Begründung abgelehnt, ich sei überqualifiziert, obwohl ich bereit gewesen wäre, die angebotenen Bedingungen zu akzeptieren."

Klaus Rehn hat Hunderte Bewerbungen geschrieben und darauf gerade mal eine Handvoll Einladungen bekommen. Eine Stelle als Kundenbetreuer bei einem Autohändler musste er nach weniger als einem Jahr wieder aufgeben, weil die Firma umzog und personelle Veränderungen damit verbunden waren. Auch bekam Rehn Angebote, die für ihn nicht akzeptabel waren, sagt er nicht ohne Stolz. "Einer wollte beispielsweise, dass ich als externer Berater den Mitarbeitern in den Hintern trete und sie zu mehr Leistung antreibe", erzählt Rehn. "Doch ich bin kein Peitschenschwinger."

Im Zeugnis seines letzten Arbeitgebers, einem Systemhaus, steht der Satz: "Er war ein geradliniger, loyaler und zugleich geachteter und fürsorglicher Vorgesetzter." Die Münchner Niederlassung mit 20 Leuten, die Rehn bis zum Herbst 2001 leitete, wurde geschlossen. Rehn hätte für den gleichen Job nach Aachen umziehen müssen. Das wollte der gebürtige Dachauer, der mit der Familie gerne in Bayern lebt, nicht.

Rehn hat sich weitergebildet und 2002 an der Fachhochschule München ein "Managementorientiertes Betriebswirtschaftliches Praxisprogramm" mit der Note 1 bestanden. Er versuchte sich auch als Freiberufler mit Datenverarbeitung, doch die Konkurrenz war zu groß in dem Geschäft, Rehn gab die Selbstständigkeit wieder auf. Er fährt durch Gewerbegebiete, schreibt sich Adressen der dort ansässigen Firmen auf und schickt ihnen Initiativbewerbungen. Er bietet sich an als "universell einsetzbarer Mitarbeiter im Verwaltungsbereich oder Organisation", verweist auf Erfahrungen bei acht Arbeitgebern seit 1977 (Organisationsberater waren früher einmal sehr gefragt), auf freiberufliche Tätigkeit und auf seine zahlreichen Programme zur Weiterbildung.

Die 500. Bewerbung, die er seit Anfang dieses Jahres verschickt hat, schmückte Rehn mit einem Lorbeerkranz. Zurück kommen meist Standardbriefe. Im Antwortschreiben eines Konzerns heißt es immerhin: "Ihr beiliegendes Bewerbungsschreiben bietet ein so breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten, dass eine klare Zuordnung zu den im Unternehmen offenen Stellen nur schwer nachvollziehbar ist."

Klaus Rehn sieht darin keine konstruktive Hilfe, findet diesen Satz sogar unverschämt. Der kleine Mann mit dem Schnauzbart und dem verschmitzten Lachen will weitermachen. "Ich lasse mich nicht entmutigen", betont er. Zu keiner Zeit habe er ans Aufgeben gedacht, obwohl er das eher könnte als andere. Seine Frau hat schließlich einen festen Job als Lehrerin. Trotzdem muss die Familie sparen. Kleidung gibt es nur im Ausverkauf, Lebensmittel vom Discounter, Bücher als Taschenbücher, Konzerte und Theaterbesuche sind selten geworden.

"Ohne das Einkommen meiner Frau hätte meine Arbeitslosigkeit zum sozialen Abstieg unserer Familie geführt", betont Rehn. Mit ihrer Hilfe, das Paar ist seit 33 Jahren verheiratet, können die beiden Töchter studieren. "Die Große promoviert in Lyon", erzählt Rehn. Stolz ist er auf seine Töchter, die sich einen Teil ihres Studiengeldes selbst verdienen. "In der Familie hole ich mir die Kraft", sagt er. Rehn erlebt selbst, wie Absage auf Absage das Selbstbewusstsein belasten. "Da braucht man jemanden, der einen aus der Frustration holt", betont er; und seine Frau bewundert er dafür, dass "sie so viel mit mir aushält". Seine Arbeitslosigkeit sei für die ganze Familie ein Belastungstest gewesen. Die Kinder wurden von Freunden nach dem Tun des Vaters gefragt, auch die Frau musste sich dumme Fragen gefallen lassen.

"Die psychische Belastung ist schon hart. Man ist ständig in der Defensive und muss sich manchmal sogar vor Freunden verteidigen", erzählt Rehn. Wenn diese etwa über die faulen Arbeitslosen meckern und dabei ganz vergessen, dass er - Rehn - einer von "denen" ist. "Dann sage ich: Hallo, ich bin auch arbeitslos, aber ich bin nicht faul, vergesst das nicht. Das kapieren sie dann."

Gegenwärtig hat Klaus Rehn wieder einen befristeten Job. Eine Festanstellung wäre ihm aber lieber. Er findet es wichtig, dass man sich Ziele setzt, sich beispielsweise vornimmt, in dieser oder jener Woche nicht weniger als zwanzig Firmen anzuschreiben. Er wünscht sich, dass Unternehmenschefs und Personalverantwortliche wieder mehr Wert auf Erfahrung legen und ältere Mitarbeiter ohne Vorbehalte einstellen. "Ich fühle mich jedenfalls fit. Ich kann und will arbeiten", betont Rehn. "Gebt nicht auf", rät er allen, denen es so geht wie ihm. "Aufgeben ist das Letzte", sagt Rehn zum Abschied und lacht sein verschmitztes Lachen.

© SZ vom 23.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: