Job in der Industrie:Ein Faible für Technik

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Maria Böhm mag große Industrieanlagen. Eine gute Voraussetzung für ihre Arbeit als Chemieingenieurin in einer großen Raffinerie. Unterstützung fand sie schon während des Studiums beim Frauennetzwerk Femtec.

Von Andrea Hoferichter

Maria Böhm hegt eine für Frauen eher ungewöhnliche Leidenschaft. Sie mag stählerne Industrieanlagen, groß wie Mehrfamilienhäuser, mit schlanken Schornsteinen und möglichst vielen Hebeln, Dreh- und Schiebereglern, kurz: Technik zum Anfassen. So gesehen hat sie in der Raffinerie Lingen der BP Europe SE mit gerade mal 26 Jahren ihren Traumjob gefunden.

"Mein Büro liegt in der Zentralen Messwarte. Ich bin sozusagen umringt von Anlagen unterschiedlichster Art", sagt sie. Jede sei in wenigen Minuten erreichbar. Die Destillationskolonne, in der aus Erdöl verschiedene Fraktionen abgefangen werden, vom Diesel bis zum Leichtbenzin, oder eine Anlage, die diese Fraktionen nach Molekülkettenlängen weiter auftrennt, und eine weitere, in der der Destillationsrückstand behandelt wird. Auch eine Entschwefelungs-, eine Klär- und Abgasverbrennungsanlage gehören dazu.

Böhm ist bei BP die Projektleiterin für "Operational Excellence", also für "betriebliche Exzellenz", wenn man es wörtlich übersetzt. "Meine Aufgabe ist, Produktionsprozesse betriebsübergreifend zu optimieren und effizienter zu gestalten", erklärt sie. Dazu müsse sie nicht nur die Betriebe gut kennen, sondern sich auch mindestens einmal die Woche ausführlich mit Betriebsleitern und Produktionsleiter abstimmen. Bei solchen Diskussionen hilft ihr chemisches und technisches Hintergrundwissen. "Chemie fand ich schon immer spannend", sagt Böhm. Das Fach sei ihr quasi in die Wiege gelegt worden. Ihre Mutter unterrichte das Fach in der Schule, ein Onkel leite ein Unternehmen für chemische Analysen und ihr Opa sei Chemieprofessor an der Universität gewesen. Weil sie nicht so gerne forschen, sondern lieber an der Herstellung greifbarer Produkte mitarbeiten wollte, studierte sie statt Chemie Chemieingenieurwesen: eine Exotin unter 1000 männlichen Studenten an der Fakultät Maschinenwesen der Technischen Universität Dresden. "Das war schon ein etwas eigenartiges Gefühl, aber gestört hat es mich eigentlich nie", sagt sie.

Die Raffinerie von BP in Lingen am Dortmund-Ems-Kanal ist eigentlich ein klassischer Männer-Arbeitsplatz. (Foto: BP Europa SE)

Dennoch hat sich die junge Chemieingenieurin schon während des Studiums Verbündete gesucht und sich bei der Karriereplattform Femtec erfolgreich um eine Art Stipendium beworben. Femtec unterstützt Frauen, die in den Bereichen IT, Ingenieur- und Naturwissenschaften Karriere machen wollen. Die Plattform wird unter anderen von namhaften technischen Universitäten aus Deutschland und der Schweiz, von der Fraunhofer-Gesellschaft und etwa einem Dutzend Technologieunternehmen getragen, darunter Porsche, Daimler, Bosch - und eben auch BP.

"Über Femtec bin ich letztlich auch zu meinem Job gekommen", erzählt Böhm. Zwar war zunächst nur eine Stelle ausgeschrieben, die eigentlich nicht hundertprozentig nach ihrem Geschmack war und auf die sie sich sonst nicht beworben hätte, nämlich als Referentin für strategische Programme. "Femtec hat mir aber zugeraten, und ich habe gleich im Einstellungsgespräch klargemacht, dass ich später näher an die Produktion möchte", berichtet sie. "Und das hat ja dann auch geklappt."

Die Verbindung zu Femtec ist geblieben. Seit gut sieben Monaten arbeitet Böhm ehrenamtlich im Vorstand des Absolventinnen-Netzwerks "Femtec.Alumnae e. V.". Der eingetragene Verein wurde 2008 gegründet und hat mittlerweile über 400 Mitglieder. "Bei uns kommen Frauen aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen und Unternehmen zusammen, von der Fraunhofer-Gesellschaft über Tesla bis zu Google", sagt Böhm. Sie treffen sich zum Beispiel auf Konferenzen, die von Böhm und ihren drei Vorstandskolleginnen organisiert werden. Im März etwa tagten die Frauen zu Themen wie Industrie 4.0 und zur Arbeitskultur in verschiedenen Unternehmensformen. "Es wurde aber auch über Schlagfertigkeit diskutiert, also wie man sich zum Beispiel verhält, wenn jemand blöde Sprüche macht."

Die Kontakte mit den Frauen helfen zudem bei den unterschiedlichsten Herausforderungen. "Es gibt immer eine, die das gleiche Problem schon einmal hatte und mit ihren Erfahrungen zur Lösung beitragen kann", berichtet Böhm. Sie selber habe allerdings erst einmal lernen müssen, dass es sich lohnt, berufliche Probleme anzusprechen und Rat zu suchen. Zuvor sei sie in diesen Dingen sehr zurückhaltend gewesen. "Männer haben es da leichter und sind grundsätzlich besser vernetzt", glaubt sie. Nicht umsonst sei oft von Vetternwirtschaft die Rede.

Auch bei BP ist sie fast nur von Männern umgeben. "Aber es wird besser", sagt sie. Im Vorstand leitet seit 2012 eine Frau das Personalressort, und auch in der Produktion steige der Anteil der Mitarbeiterinnen, wenngleich nur in kleinen Schritten. Böhm selber könnte sich gut vorstellen, in der Raffinerie Karriere zu machen und in ein paar Jahren Betriebsleiterin zu werden.

Ob es ihr nichts ausmache, dass Erdöl als fossiler, den Treibhauseffekt befeuernder Brennstoff einen eher zweifelhaften Ruf genießt und schon häufig totgesagt wurde? Die Chemieingenieurin sieht es nüchtern. "Mir ist schon bewusst, dass das Erdölgeschäft keine wachsende Branche ist", räumt sie sein. Doch Erdöl sei nach wie vor der bedeutendste Energieträger, auch in Deutschland. Mineralölprodukte würden noch lange Zeit unverzichtbar sein. Und Erdöl sei wunderbar vielseitig. "Es ist ja ein Naturprodukt, und jede Lieferung hat eine ganz eigene Zusammensetzung", erklärt sie. Darauf müsse der Betrieb der Anlagen immer wieder abgestimmt werden. Es gelte zum Beispiel, Temperatur und Druck zu optimieren. "Es gibt so viele Schrauben, an denen man drehen kann. Das ist jeden Tag wieder eine Herausforderung und macht die Arbeit ungemein spannend." Und sollte der Erdölnachschub doch bald versiegen? "Dann ist es eben so", sagt Maria Böhm. Sie ist überzeugt, dass sich für eine Frau mit ihren Fähigkeiten, Erfahrungen und ihrem Netzwerk schnell neue Türen öffnen werden. Dabei sei sie offen für vieles. Nur eine Industrieanlage in greifbarer Nähe - das sollte schon sein.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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