Internate für Sprachtalente:Mehr als Englisch

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Für bilingualen Unterricht auf Deutsch und Englisch gibt es in Deutschland immer mehr Möglichkeiten. Will man sein Kind aber auf ein Internat mit großem Fremdsprachenangebot schicken, ist die Auswahl begrenzt.

Von Christine Demmer

Auf dem Stundenplan von vier Berliner Grundschulen steht seit Neuestem das Unterrichtsfach Arabisch. Es ist gedacht für arabischstämmige Schülerinnen und Schüler, die bis zum Ende der vierten Klasse die Sprache ihrer Eltern in Wort und Schrift beherrschen sollen. Deutsche bekommen diese Chance nicht. Und kein einziges staatliches oder privates Gymnasium in der Millionenstadt Berlin bietet Arabisch als reguläre zweite oder dritte Fremdsprache an, ebenso wenig Chinesisch oder Japanisch. Und wer glaubt, in Frankfurt, Hamburg oder München sähe es anders aus, der irrt sich. Auch die staatlichen Europaschulen, die es in immerhin vier Bundesländern gibt, beschränken sich auf europäische Sprachen. Die einzige Ausnahme bildet das Sprachengymnasium im thüringischen Schnepfenthal, in dem unter anderem auch Chinesisch, Japanisch, Russisch und Arabisch unterrichtet werden.

Um Russisch machen die meisten Schulen einen weiten Bogen. An weniger als einer Handvoll zumeist privater Grund- und Oberschulen wird das Fach gelehrt, zum Beispiel an der Berliner Lomonossow-Schule, an der Berliner Alexander-Puschkin-Schule und an der Katharina-die-Große-Schule in Frankfurt oder am Städtischen Theodolinden-Gymnasium in München. Mit Glück findet sich an der einen oder anderen Schule ein engagierter Muttersprachler, der Russisch in einer Arbeitsgemeinschaft unterrichtet. Doch die klassische Sprachenfolge wird selten gebrochen: Englisch, Französisch oder Latein, vereinzelt noch Altgriechisch, ab dem neunten oder zehnten Schuljahr dann Spanisch als Gipfel der Weltläufigkeit.

Auf Deutschland als Exportnation wirft das ein trauriges Bild. Man könnte nun meinen, dass eine ganze Reihe privat geführter und staatlich anerkannter Internate die Bildungsszene mit einem vielfältigen Sprachenangebot bereichern. Doch dem ist nicht so. Detlef Kulessa von der Internatsberatung Töchter & Söhne in Wiesbaden findet das betrüblich: "Kein Internat in Deutschland hat Arabisch im Programm, keines Türkisch, keines Tschechisch, die Sprache eines unserer Nachbarn." Englisch und Französisch dominierten nach wie vor die Lehrpläne. Kulessa verweist indes darauf, dass die Bedeutung des Französischen zurückgehe: "Das ist keine bedeutende Wirtschaftssprache und die schwierigste unter den romanischen Sprachen." Zwei Internate fallen dem Berater ein, von denen er weiß, dass dort Japanisch und Russisch gelehrt wurden: das Landschulheim Grovesmühle in Sachsen-Anhalt und die Klosterschule Roßleben in Thüringen. Heute tun sie das nicht mehr. "Die Nachfrage der letzten Jahre war sehr gering", lautet die Begründung von Lisa Salomon vom Internat Grovesmühle.

Außereuropäische Fremdsprachen spielen in Privatschulen in England und in der Schweiz eine weitaus größere Rolle als in Deutschland. Internatsberater Hartmut Ferenschild findet es bedauerlich, dass in der Bundesrepublik vorwiegend die klassischen Fremdsprachen unterrichtet werden. Sein Arbeitsplatz ist die Schule Schloss Salem am Bodensee. Ferenschilds Kritik gilt insbesondere dem staatlichen Schulangebot: "Dass da nur Schmalspur angeboten wird, ist klar. Das traditionelle Gymnasium ist vom humanistischen Bild und von den Sprachen der klassischen Literatur geprägt." Das sind Latein und Griechisch, Caesars "De bello Gallico", Homers "Ilias". "Die Wende vom Literatursprachenlernen zum Kommunikationslernen kam erst vor etwa 30 oder 40 Jahren", erläutert Ferenschild. Englisch und Französisch, damit schien der fremdsprachliche Bildungskanon lange Zeit abgeschlossen zu sein. Doch in der heutigen Zeit der Globalisierung können nur wenige Deutsche Neuankömmlinge in deren Muttersprache begrüßen. Hochchinesisch wird von einer knappen Milliarde Menschen gesprochen, Indisch oder Hindi von nahezu halb so vielen. Arabisch ist die Mutter- oder Zweitsprache von ungefähr 450 Millionen, und Russisch von etwa 210 Millionen Menschen.

Eine Muttersprachlerin für das Fach Chinesisch zu verpflichten, kann ein finanzielles Risiko sein

Die Schule Schloss Salem bietet Russisch in der Oberstufe an. Hartmut Ferenschild versichert, das Angebot werde gern angenommen. Weil die Schüler wüssten, dass sie eine schwierige Berufsfindung vor sich haben und etwas Ungewöhnliches lernen wollten, mit dem sie sich von der Masse abheben können. "Ist doch klar", sagt Ferenschild. "Die suchen nach Federchen, die sie sich an den Pelz heften können."

Was Englisch angeht, hat sich jüngster Zeit viel getan: In deutschen Großstädten sprießen private Kindergärten, in denen Englisch unterrichtet wird, nur so aus dem Boden. Immer mehr private Grundschulen bringen den Kindern das Lesen, Schreiben und Rechnen auf Deutsch und Englisch bei. Bilingualen Unterricht dieser Art gibt es auch in Internaten. Allerdings sind Eltern, die sich für Internate interessieren, oft erstaunt über die begrenzte Auswahl an dort erlernbaren Sprachen. Sie können ihre Kinder zum Beispiel auf das Kolleg St. Blasien im Schwarzwald schicken, an dem Altgriechisch angeboten und schon seit 20 Jahren Mandarin gelehrt wird. "Der Chinesischkurs kommt immer zustande", sagt Schulleiter Hubert Müller.

Müller weist darauf hin, dass Chinesisch eine für Deutsche schwer zu erlernende Sprache sei. Er hat eine Muttersprachlerin für den Unterricht verpflichtet - ein wirtschaftliches Risiko für das Internat, denn eine Lehrkraft kostet Geld, auch wenn niemand von ihr lernen möchte. "Wenn ein Internat die dritte Fremdsprache anbietet, wird es sich auf die gängigen Sprachen konzentrieren müssen", sagt Müller und zeigt somit Verständnis für andere Leiter von Privatschulen und Internaten. Mit "gängigen Sprachen" meint er Englisch, Französisch und Spanisch. "Unser Vorteil ist, dass wir etwa zwei Drittel externe Schüler haben. Die ergreifen gerne die Chance, etwas Besonders zu lernen."

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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