Integrationsexperten:Das Leid der anderen mittragen

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Um Flüchtlingen bei der Bewältigung des Erlebten helfen zu können, braucht man spezielles Wissen. Universitäten, Fachhochschulen und Wohlfahrtsverbände bieten hierzu eine große Auswahl Fortbildungen an. (Foto: Stephan Rumpf)

Auf Migration spezialisierte Sozialpädagogen sind gefragt. Wie und wo kann man sich fundiert fortbilden?

Von Anne-Ev Ustorf

In den ersten Tagen ihres neuen Jobs dachte Heike Wagner ans Kündigen. Jahrelang war die Sozialpädagogin in der Jugendarbeit tätig, hatte Jugendhäuser geleitet, in Kitas ausgeholfen, Schüler betreut - und doch reichten ihr fünf Tage an ihrem neuen Arbeitsplatz in einem Wohnheim für jugendliche unbegleitete Flüchtlinge, um an ihre Grenzen zu stoßen. Sie hatte es mit Menschen zu tun, die Schreckliches erlebt hatten, unter Depressionen litten, nachts nicht mehr schlafen konnten. Gleich am ersten Tag berichtete ihr Mohsin, ein 17-Jähriger aus Afghanistan, vom gewaltsamen Tod seiner Familie, den er aus nächster Nähe miterlebt hatte. "Immer wieder erzählte er davon", sagt die 42-jährige Frankfurterin. "Er war total traumatisiert. Das war für mich kaum auszuhalten, ich habe selbst früh meinen Vater verloren und Kinder in Mohsins Alter. Ich fühlte mich so überflutet von diesem Elend, dass ich dachte: Ich schaffe den Job nicht!"

Mit vielfältigen Themen haben es die Fachleute inzwischen zu tun, von Asylrecht bis Selbsterfahrung

Die Berufsaussichten für Sozialpädagogen und Sozialarbeiter waren viele Jahre eher bescheiden. Mit der Flüchtlingskrise allerdings erweiterte sich deren Berufsfeld schlagartig: Mittlerweile werden Sozialarbeiter und Sozialpädagogen händeringend gesucht. Das Institut der Deutschen Wirtschaft berechnete jüngst, dass die Anzahl offener Stellen pro 100 arbeitsloser Sozialpädagogen im vergangenen Jahr von 45 auf 114 gestiegen sei. Doch die neuen Stellen bringen auch herausfordernde Aufgaben mit sich. Die häufig prekären Zustände in Erstaufnahmestellen und Flüchtlingsunterkünften bieten oft schlechte Bedingungen für sozialpädagogische Beratung und Fürsorge. Auch das Zusammenleben vieler Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion auf engstem Raum birgt Konfliktpotenzial und lässt Sozialarbeiter manchmal an ihre Grenzen stoßen. Zudem müssen Sozialpädagogen meist einen schwierigen Spagat zwischen behördlicher Gesetzgebung im Rahmen des Ausländer- und Asylrechts und dem so notwendigen Vertrauensverhältnis zu ihren geflüchteten Klienten absolvieren. Und: Die Arbeit mit schwer traumatisierten Geflüchteten ist menschlich wie fachlich anspruchsvoll.

Gerade unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind oft besonders starken Belastungen ausgesetzt; ganz auf sich selbst gestellt, müssen sie ihre Erfahrungen im Heimatland und auf der Flucht verarbeiten sowie den Verlust ihrer Familie und Kultur bewältigen. "Als Sozialpädagogin muss man für sich erst einen Weg finden, all das mitzutragen", sagt Heike Wagner. "Und ihnen dann helfen, hier anzukommen und ihren Weg zu gehen. Das braucht nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch einiges an Fachwissen. Da war ich froh über die Weiterbildungen, die mir dann mein Arbeitgeber bezahlt hat."

Inzwischen bieten Wohlfahrtsverbände, Fachhochschulen und Universitäten eine Vielzahl fachspezifischer Weiterbildungen für Sozialpädagogen und Sozialarbeiter zu den Themen Flucht und Migration an. Denn der Bedarf ist hoch, nicht zuletzt, weil die Tätigkeit dieser Fachleute mittlerweile so viele verschiedene Aspekte umfasst: von Ausländer- und Asylrecht über Psychotraumatologie, Kinderschutz, Methoden zur Integration und Inklusion, interkulturelle Kompetenz und nicht zuletzt Selbsterfahrung. So bietet die Bundesakademie der Arbeiterwohlfahrt (AWO) aktuell eine ganze Reihe fachspezifischer Qualifizierungen rund um die Themen Migration und interkulturelle Öffnung an, etwa zu Ausländer- und Sozialrecht oder zu interkultureller Kompetenz für Führungskräfte. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hamburg hingegen widmet sich vor allem der seelischen Gesundheit seiner Sozialpädagogen und hat verschiedene Workshops zur Vorbeugung von Retraumatisierungen aufgrund eigener biografischer Vorbelastungen im Programm - gerade für Sozialpädagogen und Sozialarbeiter mit eigenem Migrationshintergrund manchmal ein wichtiges Thema.

Auch die Fachhochschulen und Hochschulen mischen kräftig mit auf dem Weiterbildungsmarkt und werfen ihre Kompetenzen in den Ring. Die FH Münster hat etwa eine berufsbegleitende sozialpädagogische Weiterbildung über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als Zielgruppe für die Kinder- und Jugendhilfe konzipiert, und die TH Nürnberg bietet gar ein Hochschulzertifikat zum Thema "Soziale Arbeit mit Migranten und Flüchtlingen", das aus vier verschiedenen Modulen besteht.

Insgesamt ist der Weiterbildungsmarkt breit genug aufgestellt, um die vielfältigen neuen Herausforderungen zu bewältigen. "In Deutschland setzen wir uns bereits seit Langem mit der Integration von Zugewanderten auseinander", erklärt Professor Kai Maaz vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main. "Daher können wir auf zahlreichen positiven Ansätzen aufbauen, auch wenn Bildungserfolge von Personen mit und ohne Migrationshintergrund sehr unterschiedlich ausfallen."

Für Heike Wagner waren vor allem eine Weiterbildung über Psychotraumatologie und ein Seminar zur Selbsterfahrung wichtig, um ihre Arbeit verstehen und aushalten zu können. Inzwischen mag sie ihren neuen Job sehr gern. Und plant eine weitere Fortbildung - zur zertifizierten Traumapädagogin.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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