Hochleistungsberufe:Bis das Herz zerbricht

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Ballerina ist für Emma Barrowman der Traumberuf - wenn das Risiko nur nicht so hoch wäre.

Lisa Sonnabend

Das Leben von Emma Barrowman ist manchmal wie ein Märchen. Am Samstag hat sie in Dornröschen mitgespielt. In einem blauen Kostüm kam sie auf die Bühne, sie trug glitzernden Schmuck im Haar und lächelte. Die 20-Jährige hat sich gedreht, ist gesprungen, manchmal beinahe geschwebt. Emma Barrowman ist Tänzerin beim Bayerischen Staatsballett. Ein Traumberuf - wenn das Risiko nur nicht so hoch wäre.

"Ich will, dass die Zuschauer alles um sich herum vergessen": Emma Barrowman (vorne) in Dornröschen vom Bayerischen Staatsballett. (Foto: Foto: oh)

Emma Barrowman stammt aus dem kleinen Ort Sherbrook in Kanada. Viel war dort nicht los, doch im Fernsehen tanzte Michael Jackson. Das wollte Emma auch können. Da es in Sherbrook nur eine Jazzschule gab, machte sie eben Jazztanz. Mit zehn Jahren probierte sie auf einer Sommerschule erstmals Ballett aus - und war fasziniert. "Es war verdammt schwierig", erinnert sich Emma Barrowman in einer Trainingspause, "mich reizte die Herausforderung."

Mit 13 Jahren verließ sie ihren Heimatort, um professionelle Balletttänzerin zu werden. Sie besuchte Akademien in Winnipeg und Cannes, seit September 2006 ist sie beim Bayerischen Staatsballett, zunächst als Volontärin, von der kommenden Spielzeit an als Gruppentänzerin. Sechs Tage die Woche übt sie hier vor- und nachmittags, abends sind oft noch Vorstellungen.

Im Ensemble des Bayerischen Staatsballetts gibt es 68 Tänzer, sie kommen aus 30 verschiedenen Ländern, nur ein Deutscher ist unter ihnen. Es wird meist Englisch gesprochen. Die Tänzer verstehen sich gut: Sie unterhalten sich während des Trainings, lachen viel und massieren sich gegenseitig. Etwa 2600 Euro brutto verdient ein Gruppentänzer beim Bayerischen Staatsballett pro Monat. Im Vergleich zu erfolgreichen Fußballern und Tennisspielern ist das natürlich wenig.

Ballerinas trainieren so hart wie Profisportler, doch es zählt nicht nur Leistung, sondern auch Leidenschaft, Hingabe und Ausdruck. "Wir gehen nicht auf die Bühne, um den Zuschauern zu zeigen, wie stark wir sind", sagt Emma Barrowman, "sondern um das Publikum zu fesseln und zu begeistern." Ballett ist für sie kein Sport, sondern eine Kunst, für die man Techniken erlernen und seinen Körper trimmen muss. Emma Barrowman bewundert Hochspringer und Basketballer wegen ihrer Sprungkraft, Eisläufer wegen ihrer Beschleunigung. Früher ist sie oft Ski und Snowboard gefahren. Wegen ihre Ballettkarriere musste sie damit aufhören, das Verletzungsrisiko ist zu hoch. Schwer fiel ihr das nicht, denn Ballett ist für sie mehr als eine Sportart. "Es gibt Tänzer, die Momente schaffen, in denen mein Herz zerbrechen könnte", sagt Emma Barrowman.

Ballett ist ein Streben nach völliger Körperbeherrschung, nach einer Perfektion, von der man jedoch weiß, sie nie erreichen zu können. Ein Beruf mit Höhen und Tiefen. "Manchmal mache ich wochenlang keine Fortschritte", sagt Emma Barrowman. "Ich versuche es immer und immer wieder, bin frustriert - und plötzlich klappt es dann, einfach so."

Im Training, zwei Tage vor der Dornröschen-Aufführung, stehen die Tänzer auf den Spitzen, ihre Körper sind gespannt, ihr Gesichtsausdruck verrät die Anstrengung. Der Körper ist das Kapital eines Balletttänzers. Eine kleine Unachtsamkeit, ein falscher Sprung, eine unsaubere Hebefigur kann eine Karriere beenden. Das wissen sie alle, die Angst schwingt immer mit. "Ich hoffe, dass ich eine lange Karriere haben werde", sagt Emma Barrowman.

Mit spätestens 35 Jahren ist für eine Tänzerin Schluss. Kein Körper macht die Anstrengung länger mit. Viele planen bereits ihre zweite Karriere. Emma Barrowman möchte später Choreografin werden und die Welt bereisen - dafür hat sie im Moment keine Zeit.

Ihre Karriere läuft gut derzeit. Neulich kam sie, die Volontärin, zu ihrer ersten Hauptrolle. Die Protagonistin des modernen Stücks Chamber Symphony war verletzt, die erste Ersatzfrau auch. Emma Barrowman durfte einspringen. "Da hatte ich großes Glück", sagt die Kanadierin. Ihr Traum ist es, einmal die Hauptrolle in Schwanensee zu spielen. Emma Barrowman ist mit ihren 1,75 Metern ungewöhnlich groß für eine Tänzerin, die Rolle in Schwanensee käme ihr gelegen: Für die großen Sprünge braucht man lange Beine.

"Im Training liebe ich das Gefühl, wenn ich einen Muskel entdecke, den ich vorher noch nie gespürt habe", sagt Emma Barrowman. "Auf der Bühne will ich das Publikum erreichen, möchte, dass sie alles um sich herum vergessen: ihre Sorgen, ihren Alltag, ihre Arbeit." Ballett, ein Märchen - für die Zuschauer in jedem Fall.

(SZ vom 28.6.2007)

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