Harvard University:Weltgeist als Marke

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100 Jahre Zeit. 26 Milliarden Dollar. Und lebenslange Treue: Warum Harvard so viel mehr ist als nur die beste aller Universitäten.

Alex Rühle

Die anderen amerikanischen Universitäten müssen sich Harvard gegenüber immer so vorkommen wie der Hase im Wettlauf mit dem Igel: Egal, was sie versuchen, egal wie sehr sie sich anstrengen, Harvard ist ihnen immer voraus. The Economist setzte im globalen Vergleich aller Universitäten Harvard vor kurzem mal wieder an die erste Stelle. Und vor drei Jahren wurde in einer amerikanischen Umfrage nach der Marke gesucht, die weltweit das größte Vertrauen genießt. Eindeutiger Sieger vor Giganten wie Microsoft und Coca Cola: Harvard.

(Foto: Foto: The Coop Harvard)

Natürlich ist Harvard eine Elite-Universität, die diesen Namen wahrlich verdient. Hier unterrichten die besten der Besten. Einmal, im Vorlesungssaal, während alle auf den Nobelpreisträger Amartya Sen warteten, sagte ein Doktorand im Herbst 2005 auf die Frage, wie es ihm hier gefalle: ,,Oh, gut, mir gehen nur all diese Nobelpreisträger auf den Keks.'' Sen kam eine halbe Stunde zu spät, er hatte CNN noch ein Interview gegeben. ,,Verstehst Du jetzt, was ich meine'', zischte der Doktorand. Auf die Frage, ob er hier Freunde habe, sagte er: ,,Freunde? Das ist schwer. Zuviele zukünftige Nobelpreisträger.''

Eine Woche später erhielt Roy J. Glauber den Nobelpreis für Physik. Sein Institut machte eine kleine spontane Feier, es gab Orangensaft und Sekt, dann wurde weitergearbeitet, ein Professor sagte, wozu die Aufregung, sie seien weltweit das Institut mit der höchsten Nobelpreisträgerdichte, man könne ja nicht jedes Jahr aus dem Häuschen geraten. ,,Außerdem war's nur ein halber, er teilt den Preis ja mit Theodor Hansch.''

Glamour und Macht

Täglich wird der Weltgeist, wenn er nicht ohnehin hier unterrichtet, aus allen Kontinenten eingeflogen. Einmal entspann sich mittags unter einigen Stipendiaten und Doktoranden ein geradezu groteskes Gespräch darüber, zu welcher lebenden Legende man pilgern solle am Abend. Zeitgleich hielten da Tony Judt, Eric Hobsbawm, Ken Livingston, Richard Sennett, Haruki Murakami und Vaclav Klaus irgendwelche Vorträge.

Aber all das macht aus Harvard noch nicht die einmalig attraktive Marke. Die Universität zahlt eine Million Dollar Anwaltskosten jährlich, nur um den eigenen Namen zu schützen. Mit gutem Grund: Das Manipal Institute of Technology wirbt damit, es sei das Harvard of India. Eine Universität in Israel nennt sich Harvard of Haredin. Und rund 50 Universitäten in den USA behaupten, sie seien das Harvard des Westens, Nordens oder Südens. Ganz zu schweigen von Unternehmen, die sich als ,,Harvard der Hundeschulen'' (San Francisco Academy for Dog Trainers) oder ,,Harvard der Pilateslehrerausbildungzentren'' (Yoga Center, Boulder, Colorao) bezeichnen.

Allein in Japan setzt Harvard jährlich 30 Millionen Dollar mit seinen Shirts, Sonnenbrillen und Kappen um. Michael Chesler, der sich um die internationalen Lizenzen für den Universitäts-Nippes kümmert, sagt, die Leute in Asien kauften diese Produkte nicht, weil sie an Harvard als Ivy-League-Universität denken. ,,Harvard ist mehr als eine Universität. Harvard ist ein Standard, der Gold-Standard der Bildungsindustrie. Der Name Harvard strahlt Exzellenz aus.''

Harvard ist die reichste Universität der Welt. Sie verfügt über ein Stiftungsvermögen von 26 Milliarden Dollar. Die werden verwaltet und reinvestiert wie bei anderen Global Players auch. Man muss nur mal im altehrwürdigen Faculty-Club der Universität mitbekommen, wie am Nachbartisch ein Vice-President einigen Gönnern etwas über Produktentwicklung, Marktakzeptanz und Kundenservice erzählt, um zu begreifen, dass Harvard wie ein Großunternehmen wirtschaftet.

In Amerika hat die Marke Harvard außerdem einen unique selling point, den ihr niemand streitig machen kann: Die Vergangenheit. All die wunderschönen ziegelroten Gebäude verströmen den Stolz darauf, dass dies mit dem Gründungsjahr 1639 die älteste Universität der Vereinigten Staaten ist, älter als die USA selbst. Bevor der Eisenbahnmagnat Lelan Stanford ,,seine'' Universität in Kalifornien gründete, pilgerte er nach Harvard und fragte dessen Dekan Charles Eliot, was man denn brauche für eine wirklich gute Universität. ,,20 Millionen Dollar'', sagte Eliot. ,,Kein Problem'', erwiderte Stanford zufrieden. Eliot schaute hinaus auf den gepflegten Campus, auf dem die uralten Platanen gerade ihre Blätter abwarfen und fügte hinzu: ,,Und 100 Jahre Zeit''.

Aber weder der Reichtum noch die mondäne Vergangenheit ist das wichtigste Pfund, mit dem die Universität wuchern kann. Das Entscheidende an der Marke Harvard ist nicht käuflich. Denn das wahre Kapital heißt Treue. 600 Leute kümmern sich für Harvard hauptberuflich um alte Alumni und neue Sponsoren. Die Universität richtet jährlich Reunions für die Ehemaligen aus und lädt die Eltern der Erstsemester im Herbst für mehrere Tage ein. Es ist beeindruckend zu sehen, mit welch leutseligem Stolz ehemalige Studenten in diesen Tagen über den Campus ,,ihrer'' Universität wandeln.

Vor einem halben Jahr wurde von ehemaligen Studenten sogar ein eigenes Hochglanzmagazin für das Harvard-Lebensgefühl gegründet. 02138 - benannt nach der Postleitzahl des Bostoner Stadtteils Cambridge, in dem Harvard liegt - verströmt beim Durchblättern den Duft von Glamour und Macht. Der erste Satz des Editorials lautet: ,,Als Harvard-Abgänger teilen wir alle ein und dieselbe kulturelle DNS.''

Das stimmt. Die Universitäts-Jahre prägen sich in den USA so tief in die Biographie ein, dass sie noch über den Tod hinaus von Bedeutung sind: Selbst in den Sterbeanzeigen wird vermerkt, an welcher Universität der Verstorbene seinen Abschluss gemacht hat. Und die Teilnehmer der Reunions sagen teilweise, dass Harvard, in einem tiefgreifenden Sinne, ihr Zuhause sei. Insofern passt auf die Ivy-League-Universitäten auch der Ausdruck der Alma mater: Die Ehemaligen sind allesamt Verwandte eines riesigen Clans. Und ihre üppigen Spenden ,,sind im Geiste Abgaben an die ernährende Mutter,'' wie es der Mediävist Morgan Powell formuliert hat.

Da eigentlich jeder weiß, wie wichtig die Spenden und die Strahlkraft der Lebensläufe der Ehemaligen für die Universitäten sind, muss man sich darüber wundern, wie viel Staub der Journalist Daniel Golden mit seinem neuen Buch in Amerika aufwirbelte. In ,,The Price of Admission'' greift Golden die Aufnahmeregularien der großen Universitäten an: Harvard, Princeton, Duke - sie alle würden bei der Auswahl der Studenten mindestens genauso auf den Reichtum und die Macht der Eltern schauen wie auf die Noten der Schüler. Für Al Gores Sohn habe sich in Harvard ein Platz gefunden, obwohl er schlechte Noten hatte. Andererseits habe ein asiatisch-stämmiger Student mit brillanten A-Levels von keiner der berühmten Unis eine Zusage erhalten, weil er ,,unhooked'' sei, also nicht verankert in einer großen Familie.

Die Harvard-Mitgliedschaft, so Goldens These, werde in wohlhabenden Familien vererbt wie ein Pferdestall, über die Mitgliedschaft in den Ivy-League-Universitäten betreibe die Oligarchie des Landes die ,,Perpetuierung der jeweiligen Familienmacht.'' Das Buch ist unterhaltsam zu lesen, aber man fragt sich doch, wie naiv Goldens Rezensenten sind, dass sie mit solch enthusiastischer Empörung auf seine Enthüllungen reagieren.

Jeder in Harvard weiß, wie der Hase läuft. Und letzten Endes bezieht die Marke Harvard einen Großteil ihres Glanzes genau aus der Tatsache, dass hier die Macht studiert. Eine aktuelle Studie der Century Foundation besagt, dass nur drei Prozent der Erstsemester an den berühmtesten Colleges aus dem unteren Viertel der Bevölkerung kämen, wohingegen 74 Prozent aus Familien stammen, die zum reichsten Viertel Amerikas gehören. Das aber wird schon klar, wenn man 02138 durchblättert.

Auf den ersten sechs Seiten wird für Ralph Lauren, die Diamantenmarke Lux Bond and Green, die Bank of New York und ein Konglomerat namens Marquee Concierge geworben. Marquee Concierge ist laut Werbung ,,a global network of luxury lifestyle specialists''. Zu sehen ist ein Butler, der die Eisentüre einer luxuriösen Eingangshalle öffnet oder schließt. Im Bildtext wird betont, dass die Mitgliedschaft bei Marquee Concierge streng begrenzt sei. Genau darum geht es in 02138: Es will zeigen, das die Abgänger von Harvard eine eigene Klasse bilden.

Im ersten Heft werden die hundert einflussreichsten Alumni gekürt, von Bill Gates über Natalie Portman und Matt Damon bis zu George Bush. Im einleitenden Text heißt es: ,,Bei unserer Recherche haben wir erst gemerkt, wie weit die Tentakeln von Harvard tatsächlich reichen. Wenn wir sagen, Harvard sei überall, dann meinen wir überall.'' So führt 02138 ganz offensiv vor, was die Marke Harvard für ihre Konsumenten so extrem attraktiv macht: das Versprechen der möglichen Teilhabe an einer weltumspannenden Oligarchie.

Als die Eltern der Erstsemester im vergangenen Herbst durch die Gebäude geführt wurden, kamen sie auch in der Lamont Library vorbei. Zwei Männer spazierten darin so selbstsicher umher wie in ihrem Wohnzimmer. Sie trugen Anstecker, auf denen das Jahr stand, in dem sie selbst hier ihren Abschluss gemacht hatten. An ihrer Seite stand eine Frau, der Tränen übers Gesicht liefen. Sie hatte keinen solchen Anstecker und entschuldigte sich für ihre Tränen, sie sei einfach so stolz und gerührt, dass ihr Sohn jetzt in diesen schönen Räumen studieren dürfe. Die Männer nahmen sie in ihre Mitte, einer zeigte im Raum umher und sagte: ,,Sehen Sie? Sie haben es geschafft. Jetzt haben Sie es geschafft.''

© SZ vom 11.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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