Grenzerfahrungen:Einfach da sein

Lesezeit: 2 min

"Wenn es uns nicht gäbe, wären viele Menschen ganz allein in dieser Situation": Die Psychologin Ina Neerfeld arbeitet ehrenamtlich in der Krisenintervention. (Foto: Privat)

Die Psychologin Ina Neerfeld arbeitet für das Hamburger Kriseninterventionsteam. Sie erzählt, was sie zu ihrem Einsatz motiviert.

Interview von Anne-Ev Ustorf

Wenn das Schicksal mit voller Wucht zuschlägt, beginnt die Arbeit von Ina Neerfeld. Die Psychologin arbeitet seit sieben Jahren ehrenamtlich für das Hamburger Kriseninterventionsteam (KIT) des Deutschen Roten Kreuzes und kümmert sich um die psychische Erstversorgung von Menschen, die gerade die wohl schwersten Stunden ihres Lebens durchmachen.

SZ: Andere Ehrenamtliche engagieren sich im Sportverein oder helfen Flüchtlingen bei Behördengängen. Sie hingegen begleiten Polizisten beim Überbringen von Todesnachrichten . Wie kamen Sie zu diesem schweren Ehrenamt?

Ina Neerfeld: Eigentlich hat das Ehrenamt mich gefunden. Vor sieben Jahren lernte ich auf einem Workshop zwei Mitarbeiterinnen des Kriseninterventionsteams kennen. Sie fragten mich, ob ich mich engagieren wolle. Ich fand das Ehrenamt gleich toll. Was kann sinnvoller sein, als Menschen in schweren Stunden zur Seite zu stehen? Und ich dachte: Ja, ich kann das, ich traue mir das zu.

Was sind Ihre Aufgaben bei einem Einsatz?

Wir kommen in Situationen, in denen Menschen schwerwiegende Ereignisse zu verkraften haben. Etwa beim unvermittelten Tod eines Angehörigen, bei Gewalttaten oder auch bei schweren Unfällen, wo Autofahrer oder geschockte Zeugen betreut werden müssen. Uns alarmieren in der Regel Polizei oder Rettungsdienst. Unsere Aufgabe ist es dann, die erste Schockreaktion mit den Betroffenen auszuhalten, einfach da zu sein. Und zu helfen bei der Realisierung dessen, was passiert ist.

Wie lange bleiben Sie?

Oft mehrere Stunden. Wir kommen immer zu zweit, so kann sich einer um den Betroffenen kümmern, der andere zum Beispiel Organisatorisches klären. Meist organisieren wir den Kontakt zu Freunden, Angehörigen oder weiterführenden Hilfen. Wir kümmern uns auch um die Bedürfnisse der Kinder, wenn welche da sind.

Wie lernt man, in solch en Situationen einen klaren Kopf zu behalten?

Alle Ehrenamtlichen müssen eine Ausbildung mit theoretischen und praktischen Anteilen absolvieren, sieben Wochenenden insgesamt. Da lernt man Gesprächsführung und Grundlagen der Psychotraumatologie und wird mit Kooperationspartnern wie der Polizei, der Rechtsmedizin oder weiterführenden Hilfseinrichtungen vertraut gemacht. Und es gibt natürlich Nachbesprechungen und Supervision. Aber man braucht auch gewisse Voraussetzungen für diese Tätigkeit - zum Beispiel Belastbarkeit, eine stabile Persönlichkeit und Lebenssituation, ein Mindestalter von 25 Jahren und einen Führerschein.

Wie häufig sind Sie im Einsatz?

Jeder von uns macht zwei 24-Stunden-Bereitschaftsschichten im Monat. Da wir mehr als 300 Einsätze im Jahr haben, weiß man nie, was kommt. Manchmal gibt es ganz ruhige Dienste, manchmal drei Einsätze am Tag.

Wie vereinbaren Sie das Ehrenamt mit Ihrem Beruf?

Viele Ehrenamtliche des KIT arbeiten ganz regulär und werden von ihren Arbeitgebern freigestellt, wenn innerhalb der Bereitschaftsschicht ein Einsatz erfolgt. Ich arbeite mittlerweile hauptamtlich beim Deutschen Roten Kreuz Hamburg-Harburg als Referentin des Kriseninterventionsteams, bin aber nach wie vor ehrenamtlich in der Krisenintervention tätig. Es ist nicht ganz einfach, qualifizierte Ehrenamtliche für diese Tätigkeit zu finden - einmal wegen der Schichtdienste und dann wegen der besonderen Aufgabe. Wir suchen gerade wieder.

Was motiviert Sie, dabei zu bleiben?

Alle Einsätze sind traurig. Aber selbst dabei gibt es manchmal schöne Momente. Es ist ein intensives Ehrenamt, bei dem man gut auf sich aufpassen muss. Aber wenn es uns nicht gäbe, wären viele Menschen ganz allein in dieser Situation.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: