Gehälter:Nullrunden werden zur Norm

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Weniger Geld für fast alle, deutlich mehr für wenige: Wie sich die Gehälter in Deutschland entwickeln.

Nicola Holzapfel

Manager starten mit 46.000 Euro in den Job? Chemie-Ingenieure verdienen 56.000 Euro im Jahr? Und IT-Berater verlangen noch ein paar Zehntausender mehr? Meldungen über Spitzenverdienste treiben dem durchschnittlichen Beschäftigten den Schweiß auf die Stirn. Dabei sind solche Zahlen nur Ausreißer auf der deutschen Gehälterskala.

Tarifsteigerungen 2005 (Foto: N/A)

Die Realität sieht anders aus: Die durchschnittliche Lohnsteigerung für alle Arbeitnehmer in Deutschland fiel 2005 so mager aus, dass sie nicht einmal die Inflation von zwei Prozent ausgleicht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts legten die Bruttoverdienste nur um 0,4 Prozent zu.

Bei den Tarifgehältern sah es nur wenig besser aus. "Sie sind um 1,6 Prozent gestiegen. Doch auch das reicht nicht, um die Preissteigerungen auszugleichen, geschweige denn einen Anteil am Wachstums- und Produktionsanstieg zu haben", sagt Reinhard Bispinck vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Echte Zuwächse gab es nur in einzelnen Bereichen wie der Stahl- und Chemie-Industrie mit Tariferhöhungen von 3,5 und 2,7 Prozent. In Krisenbranchen mussten die Tarifbeschäftigten Nullrunden hinnehmen oder sogar ohne Lohnausgleich mehr arbeiten.

"Seit drei, vier Jahren stagniert das gesamte Gehaltsniveau in Deutschland", sagt Christian Näser von der Managementberatung Kienbaum. "Wer in seinem Unternehmen blieb, hat vielleicht bescheidene Gehaltserhöhungen mitgenommen. Aber neue Mitarbeiter sind zu geringeren Gehältern eingestiegen, nicht nur Berufseinsteiger, auch Jobwechsler." Viele Firmen hätten zudem Zusatzleistungen wie die Altersversorgung abgebaut. Führungskräfte hätten sich ebenfalls mit bescheidenen Steigerungen von zwei oder zweieinhalb Prozent zufrieden geben müssen. "Das schließt natürlich nicht aus, dass im Einzelfall mehr gezahlt wurde", sagt Näser.

Tim Böger von der Hamburger Vergütungsberatung Personalmarkt kennt die Ausnahmen: "Bei Führungskräften und Funktionen, die wichtig für das Bestehen des Unternehmens sind, beispielsweise in Produktentwicklung oder Vertrieb, sind die Gehälter in den letzten fünf Jahren um 15 bis 20 Prozent gestiegen."

Verhandeln wird zur Pflicht

Vor allem Geschäftsführer und junge Berufserfahrene, die einen Jobwechsel planen, wollen bei ihm erfahren, was sie verlangen können. "Die Gehälter orientieren sich heute viel stärker an Angebot und Nachfrage. Das gilt für alle Positionen." Während es früher Führungskräften vorbehalten war, ihre Bezüge frei zu verhandeln, müssen inzwischen auch Bewerber unterhalb der Manager-Ebene um ihren Lohn feilschen.

Noch sind die meisten Gehälter in Deutschland tarifgebunden, doch ihr Anteil nimmt kontinuierlich ab. In Westdeutschland haben gut zwei Drittel der Beschäftigten einen Tarifvertrag, im Osten etwas mehr als die Hälfte. "Ein weiterer Rückgang der Tarifbindung ist nicht auszuschließen", sagt Reinhard Bispinck vom WSI. Was die Deutschen ohne Tarifvertrag verdienen, interessiert auch die Gewerkschaften. Sie haben im Internet die Umfrage "Lohnspiegel" gestartet, an der sich bereits 40.000 Arbeitnehmer beteiligt haben. Eine erste Auswertung zeigt die realen Gehälter in 50 Berufen.

Berücksichtigt werden auch Berufserfahrung und Größe der Firma. Weil diese und weitere Faktoren das individuelle Gehalt mitbestimmen, sind die Durchschnittsgehälter vieler Studien so wenig aussagefähig. Eine Rolle spielt zudem der Arbeitsort. Wie Auswertungen des Statistischen Bundesamts zeigen, macht es einen großen Unterschied, ob man in Ost- oder Westdeutschland arbeitet: Im Westen liegt das Monatsgehalt vollzeitbeschäftigter Angestellter in Produzierendem Gewerbe, Handel, Kredit- und Versicherungsgewerbe im Schnitt bei 3538 Euro, im Osten bei 2626 Euro.

Anteil steigend: Beschäftigte, die nach Leistung bezahlt werden. (Foto: N/A)

Außerdem zahlen viele Unternehmen zunehmend nach Leistung. "Das wird auf allen Ebenen eingeführt, nicht nur im Management", sagt Christian Näser von Kienbaum, "und es wird nicht aufzuhalten sein". Nach einer Auswertung der Personalmarkt-Beratung, die nach eigenen Angaben auf mehr als 750.000 Gehaltsdaten basiert, ist das für jede zweite Führungskraft der Fall, bei den Fachkräften immerhin bei fast einem Viertel. "Auch der Anteil der variablen Größe am Gehalt nimmt zu", sagt Tim Böger. "Bei Fachpositionen liegt er zwischen zehn und 15 Prozent, bei Führungspositionen bei 20 Prozent und höher. In einzelnen Positionen, etwa bei einem Autoverkäufer, können 80 Prozent der Vergütung variabel sein."

Dem können sich auch die Tarifbeschäftigten nicht entziehen. Bei Banken und in der Chemischen Industrie gibt es bereits die Möglichkeit, die Jahressonderzahlung vom Ergebnis abhängig zu machen. "Das wird sich in den nächsten Jahren sicher auch in anderen Branchen durchsetzen", sagt Reinhard Bispinck. An die Gehaltsentwicklung in diesem Jahr hat der Tarifexperte keine allzu großen Erwartungen. "Soweit mehrjährige Tarifabschlüsse schon vorliegen, sieht die Entwicklung bescheiden aus. Im Einzelhandel, in der Bau- und Druckindustrie sind nur Erhöhungen von einem Prozent vorgesehen", sagt Bispinck. "Ob der Trend zu moderaten Lohnabschlüssen gedreht werden kann, wird die Tarifrunde in der Metallindustrie entscheiden."

Dagegen geht Tim Böger von der Personalmarkt-Beratung davon aus, dass die Gehälter-Stagnation der vergangenen Jahre vorbei ist. "Bei den Fachpositionen werden die Fixgehälter bleiben, aber die variablen Vergütungsbestandteile steigen." Für Führungskräfte rechnet er mit deutlich lukrativeren Bezügen. "Der Abstand wird größer werden."

Für manche hat sich die Gehaltssituation bereits verbessert. "Die Nachfrage in einigen Berufen zieht wieder an, etwa bei Beratungsunternehmen und in der IT-Branche", sagt Näser. Wirtschaftswissenschaftler könnten im ersten Job wieder mit 39.000 Euro im Jahr rechnen. "Es gibt jedoch nach wie vor viele Absolventen, für die die Lage schwierig bleibt. Die Schere wird sich weiter öffnen."

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