Führungsspitzen:Sensibel wie ein Wall-Street-Rechner

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"Gelassenheit, Mut und Weisheit": Warum der Mensch gegen die Maschine bald wieder gute Chancen haben wird.

Alexandra Borchardt

Als Bundespräsident Horst Köhler kürzlich recht spontan seinen Auszug aus dem Schloss Bellevue verkündete, kam das zum Entsetzen professioneller Berlin-Beobachter bei vielen Bürgern außerhalb der politischen Festungen gut an. Endlich mal ein Würdenträger, der nicht jede Kritik erdulde, hieß es, der die Grenzen seiner Leidensfähigkeit zeige, endlich mal - ein richtiger Mensch. Einer, der nach der Maxime handelt: "Hier bin ich Mensch, hier darf ich Mimose sein." Nicht so programmiert wie diese Amtsroboter, die noch lächelnd Delegationen aus Kasachstan empfangen, während die Ehefrau gerade zu Hause auszieht oder der Koalitionspartner sich mit der Opposition verbündet.

Stört etwas, ist es unbrauchbar oder langweilt es gar, dann wird weggeklickt, heruntergefahren, und wenn gar nichts mehr geht, der Aus-Knopf gedrückt und neu gestartet. (Foto: ag.rtr)

Hinter jedem Roboter allerdings steckt ein Computer. Und spätestens seit dem jüngsten Börsencrash in Amerika weiß man ja, wer die eigentlichen Sensibelchen auf diesem Planeten sind: Jene Rechner, die Billionen an Daten in Sekunden verarbeiten und deshalb "hochempfindlich auf Stresssignale reagieren", wie nach dem plötzlichen Absturz des amerikanischen Börsenindexes Dow Jones am 6. Mai dieses Jahres überall zu lesen war. Was genau damals geschah, ist noch immer nicht ganz erforscht, aber offenbar hatten Computer Informationen über die finanzielle Weltlage allzu ernst genommen, übertrieben reagiert und eine Kettenreaktion ausgelöst.

So betrachtet, ließe sich Mensch Köhler auch als der erste Bundespräsident des Computerzeitalters bezeichnen. Einerseits, weil er sich sensibel präsentierte wie ein Wall-Street-Rechner. Andererseits aber auch, weil er nach den Regeln handelte, die das Leben mit der Datenflut den Menschen aufzwingt. Denn so macht man es vor dem Bildschirm: Stört etwas, ist es unbrauchbar oder langweilt es gar, dann wird weggeklickt, heruntergefahren, und wenn gar nichts mehr geht, der Aus-Knopf gedrückt und neu gestartet. Wer muss noch einen Film zu Ende sehen oder ein Buch von vorne bis hinten lesen, wenn doch alle Menüs und Möglichkeiten nur einen Tastendruck entfernt liegen? Ausstieg geht immer.

Einfach schnell wegklicken

Auch in der Geschäftswelt ist der Drang zum schnellen Wegklicken Alltag geworden. Der BP-Chef kriegt das Bohrloch nicht zu? Weg mit ihm! Der Konzernlenker widerspricht den Korruptionsbekämpfern? Abtreten! Der Geschäftsführer reißt seinen Plan? Der nächste wartet schon. Und so kommt es, dass so manche Führungskraft denkt, sie müsse werden wie ein Supercomputer. Permanent kalkulierend, Informationen abgleichend, hochsensibel auf die neusten Trends reagierend, ständig Signale ausspuckend wie im Handelsraum der Börse: kaufen, verkaufen, kaufen.

Wohl dem, der dann solche Mitarbeiter hat, über die der Karrierist immer ein wenig lästert. Jener Typus, der sich rühmt, schon vier Vorstandsvorsitzende, zehn Abteilungsleiter und acht Teamleiter überdauert zu haben. Der beim Crash ein wenig den Kopf einzieht und da ist, wenn es ans Aufräumen geht. Auf einer Veranstaltung namens "Leadership 2020" der Munich Business School sagte der Ex-Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Wolfgang Huber, kürzlich, die prägenden Ereignisse der Geschichte habe nie jemand prognostiziert. Die wichtigsten Eigenschaften für Führungskräfte seien deshalb "Gelassenheit, Mut und Weisheit". Ein Computer wird sich mit all dem schwertun. Der Mensch hat auf dem Arbeitsmarkt eine großartige Zukunft.

© SZ vom 14.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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