Fro-Forma-Bewerber:Nach der Ankunft abgetaucht

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(Foto: Stefan Dimitrov)

Einige MBA-Bewerber reisen mit Visum nach Deutschland. Ins Seminar wollen sie nicht.

Von Christine Demmer

Online bewarb sich der Mittzwanziger aus Ägypten um die Teilnahme am Vollzeit-MBA-Programm der deutschen Hochschule. Online bestätigte man ihm den Empfang der Bewerbungsunterlagen und einige Wochen später die vorläufige Zulassung. Am ersten Studientag blieb sein Platz allerdings leer. Nach der Einreise nach Deutschland war der Student in spe offline gegangen. Fälle wie dieser sind zwar nicht an der Tagesordnung, aber es gibt sie.

Junge Bachelor-Absolventen aus Asien und Afrika bewundern britischen Pop und die deutsche Wirtschaft. Wer es sich leisten kann, geht gern zum Studium nach England oder Deutschland. Lange Zeit zweite Wahl, ist die Bundesrepublik nun auf dem Weg zum Exporteur von Hochschulbildung für angehende Manager. Der Grund: Vor einigen Jahren haben die Briten die Vergabe von Studentenvisa für Ausländer außerhalb der EU radikal eingeschränkt. Seither freuen sich deutsche Hochschulen mit englischsprachigen Studiengängen über steigende Bewerberzahlen aus dem außereuropäischen Ausland. Das tut den Bilanzen gut, zeugt vom internationalen Anspruch der Lehre und hilft Studenten beim Knüpfen internationaler Netzwerke.

Besonders beliebt sind MBA-Vollzeit-Programme, wie sie von Business Schools und immer mehr Hochschulen und anderen Bildungsträgern angeboten werden. Für die brauchen die meisten Nicht-EU-Bürger nämlich weder Aufenthalts- noch Arbeitserlaubnis, sondern nur ein von der deutschen Botschaft in ihren Heimatländern erteiltes Studentenvisum. Und das rückt schon mit der Bewerbung an einer Business School in greifbare Nähe. In der Regel genügen dafür ein Bachelorzeugnis, gleichgültig welchen Fachgebiets, nachgewiesene Englischkenntnisse und ein mit einer ordentlichen Punktzahl bestandener Graduate Management Admission Test (GMAT). Zuweilen reicht schon die Zusage, den künftigen Studenten am jeweiligen Ort in der Bundesrepublik mit Interviews und Tests prüfen zu wollen. "Die Bewerber bekommen die vorläufige Zulassung und beantragen damit bei sich zu Hause ein Studienbewerbervisum", erklärt Professor Rainer Fischer die Prozedur. Er leitet den MBA-Studiengang "International Business Consulting" am Campus Gengenbach der Hochschule Offenburg. "Dann kommen sie zu uns und machen den Zulassungstest", fährt Fischer fort. Fallen sie durch, erlischt das Visum nach drei Monaten. Die Hochschulen sehen sich weder in der Pflicht noch in der Lage, nach dem Verbleib des Kandidaten zu forschen. Im Grunde sei die Situation ähnlich wie bei den Flüchtlingen, sagt Fischer. "Mancher taucht halt unter." Von Kollegen an anderen Hochschulen hat der Professor gehört, dass einige Bewerber sogar trotz Zulassung nicht zum Studium erschienen sind.

Noch beschränkt sich die Unauffindbarkeit von Bewerbern auf wenige Fälle im Jahr. Mit der fortschreitenden internationalen Vernetzung von Bildungsanbietern jedoch, bei denen der eine oft als Vertriebspartner des anderen fungiert, und es in vielen Fällen schlicht darum geht, MBA-Klassen mit zahlenden Kunden zu füllen, steigt die Gefahr von Missbrauch der Weiterbildungsangebote durch sogenannte No-Show-Bewerber. Der Begriff leitet sich ab von Hotelgästen, die zwar reservieren, aber nicht an der Rezeption erscheinen.

Einige Anbieter verlangen von Bewerbern eine satte Anzahlung auf die Studiengebühren

Ein spektakulärer Fall hatte sich vor fünf Jahren im Süden Englands ereignet und die bis dahin lockere Visa-Vergabe beendet. Knall auf Fall wurde die altehrwürdige University of Wales (UoW), eine föderale Universität mit circa 130 assoziierten Colleges in aller Welt, wegen etlicher Zulassungs- und Visa-Skandale geschlossen. Weltweit waren mehr als 20 000 Studierende in UoW-Kursen eingeschrieben, die der Hochschule einen Gewinn von mehr als zwei Millionen Pfund einbrachten. Nach der Aufdeckung von betrügerischen Zertifizierungen in Thailand und Malaysia und der illegalen Zulassung von Ausländern zum MBA-Studium und daraufhin zu Unrecht erteilten Visa für Großbritannien wurde die UoW 2011 zwangsweise aufgelöst und zusammen mit anderen Hochschulen neu konfiguriert.

Angesichts solcher Risiken und eines Ausländeranteils von inzwischen etwa 80 Prozent in den Vollzeit-MBA-Klassen treffen die Hochschulmanager Vorsorge. Ralf Bürkle von der Mannheim Business School betont den strengen Auswahlprozess unter den Bewerbern. "Wir achten im ersten Schritt auf den bisherigen Karriereweg, Zeugnisse und die im GMAT erzielte Punktzahl." Letztere sei erfahrungsgemäß ein zuverlässiger Indikator für den späteren Studienerfolg. "Wenn uns diese Unterlagen überzeugen", fährt Bürkle fort, "dann führen wir ein längeres Telefoninterview. In einem zweiten Telefonat lassen wir den Bewerber eine Fallstudie lösen." Als letzten Beweis ihrer ernsthaften Studierabsicht müssen Bewerber eine Anzahlung auf die Studiengebühren leisten. Ein ähnliches Sicherheitsnetz spannt die HHL Leipzig Graduate School of Management. "Jemand bewirbt sich online, die Zulassungskommission prüft Zeugnisse, GMAT und die vorgeschrieben drei Jahre Arbeitserfahrung", sagt stellvertretender Dekan Frank Hoffmann, verantwortlich für internationale Beziehungen. "Außerdem telefonieren wir mit dem jeweiligen Kandidaten." Mit der Zulassung gehen die Bewerber zur deutschen Botschaft und beantragen dort ein Studienvisum. Um das zu bekommen, müssen Studierwillige aus Nicht-EU-Ländern das Geld für ihren Lebensunterhalt in Deutschland auf ein Sperrkonto bei einer deutschen Bank überweisen. Hoffmann: "Für ein Jahr sind das mindestens circa 8000 Euro, von denen jeden Monat nur der Bafög-Satz abgehoben werden darf."

Eine Anzahlung auf die Studiengebühren fordern die Leipziger auch. Das sollte Pro-Forma-Bewerber ausreichend abschrecken. "Mit einem Studienvisum und der Anzahlung ist halbwegs sichergestellt, dass die Studenten auch wirklich auftauchen", meint Hoffmann. Aus China, der Mongolei und Vietnam seien früher häufig gefälschte Zeugnisse aufgetaucht, mit denen sich Bewerber einen MBA-Studienplatz hätten erschleichen wollen. Jetzt prüfen die deutschen Botschaften in diesen Ländern vor Visumsvergabe die Papiere und den Kandidaten. "Damit sind wir auf einer relativ sicheren Seite", sagt Hoffmann zuversichtlich. Wenn jemand partout nicht zum Studium antreten wolle, gebe es sicher irgendwo noch ein Schlupfloch. "Aber die Anzahlung ist weg", sagt der Dekan, "und der Lebensunterhalt ist auf dem Sperrkonto." Mit einer Pauschalreise und einem Besuchervisum kommt man günstiger nach Deutschland.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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