Flexibilität:Mach langsam, Mensch!

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Extrem wandelbar, hyperfix und wurzellos: Der moderne Erwerbstätige muss seine Leistung ständig erhöhen. Das macht auf Dauer krank.

Jutta Göricke

Zuerst war da der Bauer, der selbstvergessen seinen Acker pflügte. Das tat er von morgens bis abends, sein ganzes Leben lang, es war ihm vorbestimmt in der göttlich geordneten Welt. So versunken war er in den Anblick seiner Scholle, dass er die Sensation, den Absturz des hybriden Ikarus, glatt verpasste.

Robert T-Online: Eine fröhliche Labertasche als Produkt des Turbokapitalismus. (Foto: Foto: Reuters)

Später kam der Arbeitsmann, Augen wie Bohrlöcher und Arme wie Schraubenschlüssel. Er stand an einer fordistischen Produktionsstraße, seine Handgriffe abgestimmt auf den Takt der Maschine, effizient, produktiv, geistlos. Nach getaner Arbeit hängte er seine Schiebermütze an die Garderobe. Dann trank er ein Bier. Er war Teil einer antagonistischen Klassengesellschaft mit klaren Feindbildern und Werten wie Solidarität und Feierabend. Das entlastete ihn beim Balancieren zwischen entfremdeter Arbeit und privater Identität. Wenn er sich besonders anstrengte, konnte er vom Fabrikarbeiter zur studierten Führungskraft aufsteigen. Stolz erzählte er dann den Kindern und Kindeskindern von seiner steilen Karriere.

Es folgte Robert T-Online, eine fröhliche Labertasche mit gegeltem Blondhaar, die voller Überzeugung Aktien unters Volk brachte. Als Produkt des Turbokapitalismus mit kurzer Halbwertzeit geschlagen, ist Robert zwar längst wieder von der Bildfläche verschwunden. Auch die von ihm angepriesenen Aktien sind den Bach runtergegangen. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb darf er nach wie vor als der gültige Idealtypus des heutigen Erwerbstätigen gelten. Und da kommen wir selber ins Spiel. Denn wer sich in der Arbeitswelt von heute behaupten will, muss zwangsläufig eine Art Robert T-Online werden.

Robert ist eine klassenlose Figur, das Prinzip des Antagonismus ist ihm abhanden gekommen. Er ist völlig auf sich gestellt, weit und breit keine Solidarität mehr und auch kein Feindbild, an dem er sich abarbeiten könnte, wo doch selbst der Vorstandsvorsitzende ein Angestellter ist und damit lohnabhängig, auch wenn man das in diesen Kreisen anders nennt. Risiken wie Jobverlust, Krankheit und Kinder - alles muss er mit sich selbst ausmachen. Bis vor kurzem hing er der Illusion nach, er werde, wenn er sich nur genug anstrengte, eine Karriereleiter hinaufklettern, Sprosse für Sprosse. Inzwischen aber hat er begriffen, dass es in dieser hyperbeschleunigten Arbeitswelt so etwas wie Geradlinigkeit nicht mehr gibt. Sein Leben besteht aus einer Summe von Projekten. Das gilt fürs Berufsleben genauso wie fürs Privatleben. Die Verantwortung trägt er trotzdem tapfer. Prekär.

Der Business-Anzug ist wie eine zweite Haut

Robert T-Online muss sich wirtschaftskompatibel konzipieren, muss sich hochtunen für die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts. Human Engineering. Flexibel muss er sein, mobil und multilingual. Er soll chinesische Essgewohnheiten verstehen und die freie Rede beherrschen. Er soll Transferleistungen erbringen und fachlich stets auf dem neuesten Stand sein. Er trägt seinen Business-Anzug wie eine zweite Haut und in seinen Bewerbungsunterlagen dick auf. Er kalkuliert kurzfristig und bindet sich nicht an einen Arbeitgeber, so wie der sich auch nicht an ihn bindet. Und weil er alle diese Anforderungen nur erfüllen kann, wenn er voller Energie steckt und keine hemmenden Verpflichtungen am Bein hat, ist er jung, für immer. Vor allem aber macht der ideale Erwerbstätige sein Innenleben zurecht: Er stellt sich, sein Denken und Fühlen, auf den Wechsel als Status quo ein. Die technische Beschleunigung mit ihren Folgen wie Globalisierung und Fragmentierung verändert eben nicht nur den Lauf der Welt, sondern greift auch tief in die Persönlichkeit jedes Einzelnen ein.

Was aber macht die schnelle, neue Welt mit dem Kern des Menschen, mit seinem Gefühl von sich selbst? Der Prozess der Individualisierung seit der Neuzeit ging einher mit der Aufweichung eines starren, aber auch schützenden gesellschaftlichen Rahmens, aus dem sich die Menschen zunehmend lösten, um sich zu einzigartigen, unverwechselbaren Individuen zu designen. Sie konstruierten ein Bild ihrer selbst, eingeordnet in eine zeitliche Perspektive.

In jeder identitätsstiftenden, narrativen Vita wird nicht nur die Vergangenheit rekonstruiert, sondern auch die Gegenwart gedeutet und eine Zukunft entworfen, sagt der Soziologe Hartmut Rosa. Heute bildet sich Identität nicht mehr narrativ, sondern situativ. Wenn Familien, Berufe, Wohnorte, Überzeugungen jederzeit gewechselt werden können, dann ist man nicht mehr Consultant, sondern arbeitet zurzeit als solcher.

Zuverlässigkeit als Wert wird ersetzt durch Flexibilität und Mobilität - lesen Sie mehr.

Das Ich identifiziert sich nicht mehr ungefragt mit den Rollen, die es einnimmt, sondern begibt sich in eine funktionale Beziehung zu ihnen. Wo früher Zuverlässigkeit ein hoher Wert war, werden heute Flexibilität, Mobilität und Wandlungsbereitschaft zu überlebensnotwendigen Qualifikationen. Allzeit bereit umzuziehen, sich neu zu erfinden, mit dem Rollkoffer in der Hand und einem Headset am Ohr. Es gab Zeiten, da hätte man von Aalglätte gesprochen.

Die meisten haben sich längst den Anforderungen entsprechend zurechtgemacht, sie haben sie internalisiert und würden es weit von sich weisen, unterstellte man ihnen, fremdgesteuert zu sein. Sie haben Spaß an der Herausforderung, sie lieben das bisschen Stress, sie finden es toll, andauernd auf Achse zu sein. Sie geben an mit ihren Flugmeilen.

Wie weit kann und darf Anpassung gehen?

Und es bleibt ja auch gar nichts anderes übrig, als sich anzupassen. Maschinenstürmen war noch nie von längerfristigem Erfolg gekrönt. Entkommen kann man dem System nicht. Man muss sich ihm stellen. Die jungen Prekären von der Berliner Zentralen Intelligenz Agentur haben die Konfrontation auf die Spitze getrieben. Dezidiert postulieren sie einen offensiven und selbstbestimmten Umgang mit den Turbomärkten. Indem sie das System wörtlich nehmen und die Nachteile, so weit es geht, in Vorteile ummünzen, erobern sie sich alle Freiheit, die es zu bieten hat. Und freuen sich an der Subversivität dieser denkbar angepasstesten Grundhaltung. Ob diese Variante aber auch außerhalb der lustigen Welt des Web 2.0 funktioniert?

Wie weit kann und darf die Anpassung für einen ordentlichen Ingenieur oder eine brave Bankerin gehen? Wer Dienstleistungen verkauft - und das macht selbst ein Ingenieur zunehmend -, muss seine eigene Haut zu Markte tragen. Er persönlich ist verantwortlich für das Gelingen des Geschäftsabschlusses. Deshalb werden Seminare angeboten, in denen man lernt, wie man sich selbst verkauft, wie man sich zur "Marke" stilisiert, deshalb schicken Personalentwickler ihre Mitarbeiter in Mentaltrainings, in denen sie üben sollen, sich Gefühle einzureden, die sie nicht haben: Sie sollen das Produkt lieben, das sie verkaufen. Da reichen reine Lächelkurse nicht aus. Da muss man tief in sich gehen, bis man es endlich schafft, die falschen Gefühle auch wirklich zu empfinden.

Wir sind (noch) keine Cyborgs

Was aber, wenn es nicht dauerhaft klappt, mit der (selbst auferlegten) Gehirnwäsche ins Reine zu kommen? Was, wenn es einem zu viel wird, laufend die Fragmente seines Lebens einzusammeln und sich mit den schnellen technischen Prozessen zu synchronisieren? Seit 1997 ist die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Probleme um siebzig Prozent gestiegen. Bis zum Jahr 2020, schätzt die WHO, werden Depressionen nach Herz- Kreislauf-Erkrankungen weltweit die zweithäufigste Ursache schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen sein.

Einschlägige Untersuchungen belegen, dass Probleme am Arbeitsplatz häufig Ursache von Depressionen sind. Die französische Regierung zeigte sich im Sommer so erschreckt über eine nicht abreißende Selbstmordserie in großen Betrieben, dass sie eine Untersuchungskommission eingesetzt hat. Aber wo doch ohnehin am Ende jeder für sich selbst verantwortlich ist, hilft nur eines: Gas geben, solange man wirklich Spaß an der Arbeit hat. Und entschleunigen, wann immer es geht. Schließlich sind wir (noch) keine Cyborgs.

© SZ vom 20.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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