Finanzkrise und Bildung:Ein bisschen Wirtschaft

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Müssen Schüler Bilanzen lesen? Oder lieber Spanisch lernen, weil Südamerika als Markt immer wichtiger wird? Nicht einmal Eltern sind sich einig, was in der Schule über Wirtschaft vermittelt werden soll.

Marc Beise

Der Vater, der selbst ein Manager ist, sagt: "Da müssen Manager in die Schule, die den Kindern Wirtschaft beibringen. Das können die Lehrer doch gar nicht." Die Mutter, eine Wirtschaftsprüferin, sagt: "Die sollten ruhig auch schon mal eine Bilanz sehen." Dann mischt sich die Angestellte eines Konzerns ein, der viele Geschäfte in Südamerika macht. "Vor allem müssen sie Spanisch lernen, und nicht Französisch oder Latein", sagt sie.

Wirtschaft in der Schule: Ist die Ökonomie so zentral wie Mathematik? (Foto: Foto: ap)

"Das ist doch Unsinn, Französisch ist nach wie vor die Kultursprache Nummer eins", empört sich der Herr, der seit Jahren im Auswärtigen Dienst tätig ist. "Am besten erklärt man den Kindern doch Wirtschaft anhand einer Tageszeitung", sagt der Vater, der Wirtschaftsredakteur ist. "Ach was", meldet sich ein Vater zu Wort, der selbst Lehrer ist: "Wirtschaft lernen die Kinder noch früh genug. Wir sind doch für die Allgemeinbildung zuständig. Ich sage nur: Pisa."

Allgemeinbildung oder Spezialwissen?

Szenen aus Elternbeiräten deutscher Gymnasien, idealtypisch zusammengestellt. Gemeinsam haben sie eins: keine klare Linie. Was Schüler über Wirtschaft lernen sollen oder eben nicht lernen sollen, dazu haben vier Eltern und Lehrer fünf Meinungen, mindestens.

Klar ist nur: Die große Trennlinie liegt zwischen "ein bisschen Wirtschaft" und "Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft" - je mehr, desto besser. Gerne wird in dieser Debatte das deutsche Bildungsideal problematisiert: Humboldt oder nicht Humboldt, also eine möglichst breite Allgemeinbildung humanistischer Prägung oder aber die Vermittlung von Spezialwissen in einer sich verändernden Welt.

So zentral wie Mathematik

Wilhelm von Humboldt war als eine Art Kultusminister Preußens in den Jahren 1809/10 kurzzeitig für das ganze Schulsystem von der Volksschule bis zu den Universitäten zuständig. Er forcierte dort die Allgemeinbildung, getreu dem Motto "Bildung ist nicht gleich Ausbildung". Humboldts Ansatz ging aber noch weit darüber hinaus.

Er wollte, ganz im Sinne der Aufklärung und des erstarkten Bürgertums, die Unabhängigkeit der Universität vom Staat, freie Studienwahl und freie Studienorganisation. Und so kommt man mit Humboldt in der aktuellen Diskussion über Wirtschaft in der Schule nicht weiter, es sei denn, man würde die Frage eindeutig beantworten können, ob die Wirtschaftswissenschaften zur Allgemeinbildung gehören - oder eben nicht. Im Kern geht es also um die Frage des Stellenwerts der Wirtschaft im Leben der Heutigen. Ist sie ein Spezialfach wie "Theater" oder "Chinesisch", das man je nach Neigung wählen oder abwählen kann? Oder ist die Ökonomie so zentral wie Mathematik, Geschichte, Biologie oder Erdkunde?

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"Die Finanzkrise wird jeden treffen"

Alles spricht für die Variante Allgemeinbildung. Die Wirtschaft dringt in immer mehr Lebensbereiche vor, sie wird immer bestimmender. Die aktuelle Finanzkrise ist das beste Beispiel. Sie wird alle und jeden treffen, auch die, die sich nicht interessieren für die fahrlässige Vergabe von Hauskrediten im Mittleren Westen der USA an Menschen, die sich das eigentlich gar nicht leisten und die Kredite plötzlich nicht mehr zurückzahlen konnten.

Es wird sie treffen über den sich beschleunigenden Konjunktureinbruch, über höhere Arbeitslosenzahlen und die Geldentwertung. Und wer sich dafür als junger Mensch nicht interessiert, der muss sich mindestens um seine Altersvorsorge kümmern. Die kann der Staat nämlich bald nicht mehr allein leisten, auch wenn manche Politiker heute immer noch partiell das Gegenteil erklären.

Verbindung von Kopf und Hand

Wenn die Welt sich aber so verändert, wird die Schule sich dem nicht verschließen können. So wird Wirtschaft das gute, alte Latein und die schönen Künste zwar nicht verdrängen, aber zunehmend selbstbewusst danebentreten (müssen): Die Grundzüge des Wirtschaftens gehören in die Schule, und zwar nicht nur ins Fach "Wirtschaft und Recht" ab Klasse 9, sondern überall dorthin, wo wirtschaftliche Zusammenhänge eine Rolle spielen. Daran wird es in Zukunft wohl immer weniger Zweifel geben.

Fehlt in der Diskussion der Elternbeiräte, siehe oben, noch ein Argument: Mindestens so wichtig wie weiterer (nun wirtschaftlicher) Denkstoff wäre die Verbindung von Kopf und Hand, die bisher weitgehend Real- und Berufsschulen vorbehalten ist. In den USA ist es an vielen Highschools üblich, dass Schüler auch handwerkliche Produkte herstellen. Dass sie mit Holz oder Metall arbeiten und am Ende des Schuljahrs einen Stuhl, eine Truhe, einen Bilderrahmen oder vielleicht ein Kanu gefertigt haben. Auch das ist Wirtschaft - und ist an deutschen Gymnasien oft noch seltener als der theoretische Wirtschaftsunterricht.

© SZ vom 16.10.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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