Filmbranche:Großes Kino, kleiner Schirm

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Immer weniger Menschen gehen ins Kino. Streamingdienste verändern die Arbeit von Filmschaffenden. Das hat auch die Regisseurin Mariko Minoguchi bei ihrem ersten Film erlebt.

Von Juliane von Wedemeyer

Die Karriere von Mariko Minoguchi begann im Kloster. Genauer gesagt am Set von "Um Himmels Willen", dieser ARD-Vorabendserie, die in einem niederbayerischen Nonnenkloster spielt. Ihre Aufgaben: das Team mit Kaffee versorgen, Kabel halten, Technik aufbauen, Müll wegbringen, 15 Stunden täglich. Sie war der Set-Runner. Tiefer kann man in der Hierarchie nicht stehen. "Mir hat es richtig Spaß gemacht", sagt Minoguchi.

Zehn Jahre ist das her. "Um Himmels Willen" läuft immer noch im Fernsehen, auch wenn die eher ältere Zielgruppe die Folgen nun zusätzlich in der Mediathek abrufen kann und die Filmcrew auf Minoguchis Kaffee verzichten muss. Minoguchi ist jetzt Anfang 30 und arbeitet als Drehbuchautorin und Regisseurin.

Mehrere Kurzfilme hat sie inzwischen gedreht, darunter "Karlstod" mit Juliane Köhler und Matthias Brandt, der auf 30 nationalen und internationalen Festivals gezeigt und ausgezeichnet wurde. Im Sommer lief ihr erster großer Spielfilm erfolgreich auf dem Filmfest München: "Mein Ende. Dein Anfang" mit Saskia Rosendahl, Julius Feldmeier und Edin Hasanović. Ein Film über die Liebe und die Frage, ob das Schicksal durch eine höhere Ordnung bestimmt wird. Am 28. November kommt er bundesweit in die Kinos.

Gemeinsam mit der Produzentin Trini Götze, Jahrgang 1982, von Trimafilm und dem Co-Produzenten Jonathan Saubach, Jahrgang 1987, von Telepool sitzt sie im Münchner Stadtcafé und trinkt einen Cappuccino mit Hafermilch. Die drei gehören zur neuen Generation des deutschen Films. Und dem scheint es gerade recht gut zu gehen.

Die großen Förderfonds unterstützen mittlerweile auch Webserien

Dafür sprechen zumindest die Zahlen der Commerzbank, die nach eigenen Angaben deutscher Marktführer in Sachen Filmfinanzierungen ist. "Gerade ist viel Bewegung am Markt", sagt Achim Thielmann, der eines der vier Medienteams leitet, die sich in Köln, München, Hamburg und Berlin speziell um Kredite für Kino- und Fernsehproduktionen kümmern. 200 Filme, Serien, Reihen und Lizenzen haben er und seine Kollegen 2018 finanziert - 30 Prozent mehr als noch 2017. "Das liegt zum einen an den größeren Fördertöpfen, aber auch an neuen Playern wie den Streamingdiensten Netflix, Amazon, Sky, die alle auf der Suche nach Content sind", erklärt Thielmann. Das Kreditvolumen für jene habe im vergangenen Jahr spürbar zugenommen. Der Trend setze sich in diesem Jahr fort.

Auf den Wandel in der Filmbranche haben die deutschen Fördergesellschaften wie der Filmförderfonds Bayern oder das Medienboard Berlin-Brandenburg bereits reagiert: Sie fördern mittlerweile auch Webserien. Trini Götze hat sich darauf eingestellt: "Neben dem Kino richtet sich unser Fokus auf den neuen Markt der Streamingdienste", steht auf der Trimafilm-Website. Gerade haben sie und ihr Partner für das ZDF die Webserie "Fett und Fett" von Chiara Grabmayr und Jakob Schreier produziert.

„Es geht um Leben und Tod“, sagt Mariko Minoguchi. Am Set von „Mein Ende. Dein Anfang“ wird ein Banküberfall gedreht. (Foto: Hagen Keller)

Das ZDF ist der größte Auftraggeber in der deutschen Produzentenlandschaft. Seine neuen Webformate lässt es vollständig von Produktionsgesellschaften als Co- oder Auftragsproduktionen realisieren. "Wir sehen die Entwicklung als Chance", sagt Götze. Ihre Serie wird vom 14. Oktober an im TV laufen und eine Woche vorab in der Mediathek zur Verfügung stehen.

Minoguchi hat Götze am Set von "Um Himmels Willen" kennengelernt. Götze war damals Produktionsassistentin. Später hat sie noch während ihres Produktionsstudiums an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film ihre Produktionsgesellschaft gegründet. Mit Minoguchi hat sie bereits "Karlstod" gedreht. "Dass wir auch meinen Debütfilm gemeinsam machen, war eigentlich immer klar", erzählt Minoguchi.

Zwei Monate hat sie am Drehbuch geschrieben. Sie ist dafür nach Taiwan gereist, in eine Stadt, in der sie niemanden kannte. Sie habe den Abstand gebraucht, um sich ganz auf ihr Projekt konzentrieren zu können. "Ich muss ja innerlich erleben, was ich schreibe. Das kann sehr belastend sein", sagt Minoguchi. Eine ihrer Hauptfiguren stirbt bei einem Banküberfall.

Schauspieler erhalten bei Debütfilmen teilweise nur ein Viertel ihrer üblichen Gage

Götze kümmerte sich derweil um die Zahlen. 1,5 Millionen Euro sollte das Projekt kosten. Das ist nicht viel für einen Film und nur möglich, weil alle Beteiligten, Schauspieler und Drehteam, für wenig Geld gearbeitet haben. "Bei mutigen Drehbüchern von Debütanten sind Schauspieler manchmal dazu bereit", sagt Minoguchi. Teilweise erhalten diese bei Debütfilmen nur ein Viertel ihrer üblichen Gage, aber eben auch die Chance, an besonderen Projekten mitwirken zu können. "Und wir haben für ein wirklich gutes Catering gesorgt, wenn wir schon nicht die Tarifgage zahlen", sagt Götze. Es sei für das Gelingen eines Films unglaublich wichtig, dass die Stimmung am Set gut sei.

Trotzdem kann Trimafilm so hohe Kosten nicht allein stemmen. "Für die Dreharbeiten mussten wir kurzzeitig um die 50 Leute einstellen, das ist für ein so junges Unternehmen wie unseres eine Herausforderung", sagt Götze. Das funktioniert nur mithilfe von Bankkrediten und Filmförderungen. Doch beides gibt es nur, wenn das Projekt einen Vertrag mit einem Verleih vorweisen kann, der die Fertigstellung garantiert und den fertigen Film später in die Kinos bringt. Mit Telepool war schnell einer gefunden. "Ich bekomme jedes Jahr viele Drehbücher zu lesen. Aber als ich das Drehbuch von Mariko nach der letzten Seite zuschlug, war ich in das Projekt verliebt", sagt Co-Produzent Jonathan Saubach, der für Telepool die Verwertungsrechte an "Mein Ende. Dein Anfang" akquiriert hat. Das Medienunternehmen übernimmt dafür den Hauptanteil der Kosten und trägt somit auch das größte Risiko.

Ziemlich viel Druck für die Regisseurin. "Ich hatte ja schon als Set-Runner das Gefühl, es gehe um Leben und Tod", erzählt Minoguchi. Jetzt hing der Erfolg tatsächlich von ihr ab. Während der 35 Drehtage und der viermonatigen Nachproduktion schlief sie oft schlecht. Was, wenn der Film floppt? Minoguchi hofft, dass die Deutschen in diesem Jahr öfter ins Kino gehen als im vergangenen, auch weil ein Film auf einer großen Leinwand und mit Kinosound ganz anders wirke als auf dem mickrigen Bildschirm eines Laptops. "Wir freuen uns über jeden Kinobesucher."

Mariko Minoguchi (rechts) hat das Drehbuch geschrieben und Regie geführt, Julian Krubasik (links) die Kamera geführt. (Foto: Hagen Keller)

In der Regel würden heute aber gerade einmal die Marketingkosten eines Films über den Kinoticket-Verkauf refinanziert. Die Produktionskosten würden mittlerweile über Fernseh- und Video-on-Demand-Angebote eingespielt, sagt Saubach. Laut der Filmförderanstalt FFA sind die Umsätze durch den Onlinevideo-Verkauf und -Verleih 2018 um 77 Prozent gestiegen.

Für Kinobetreiber war das Jahr dagegen besonders mau. Die Deutschen sind im Schnitt nur 4,1 Mal ins Kino gegangen - 14 Prozent weniger als noch 2017. Das mag hauptsächlich am heißen Sommer und der Fußballweltmeisterschaft gelegen haben. Die Zahl der Kinobesucher ist im vergangenen Jahr nämlich stabil geblieben: 25 Millionen Deutsche besuchten der aktuellen FFA-Statistik zufolge 2018 ein Kino, also 37 Prozent aller Deutschen über zehn Jahre. Vor zehn Jahren waren es allerdings noch 44 Prozent.

"Das bedeutet, Produzenten und Vertriebe müssen neue, kreative Formen der Zusammenarbeit finden", sagt Saubach. Beispielsweise mit Streamingdiensten. Das gilt auch für junge Gesellschaften wie Trimafilm. Deren Film "Alles ist gut" beispielsweise hat einen deutschen Kinoverleih, aber Netflix besitzt die Rechte für alle anderen Länder. "Was solche Modelle für uns so interessant macht, ist, dass wir jetzt auch europa- oder sogar weltweit Geschichten erzählen können", sagt Götze. Auch "Mein Ende. Dein Anfang" wird voraussichtlich irgendwann im Pay-TV oder bei Netflix laufen.

Übrigens gibt es schon eine Remake-Anfrage aus Indien. Die indische Kinobranche gehört zur produktivsten der Welt. Zwischen 1000 und 1200 Filme pro Jahr werden dort gedreht - das sind ungefähr doppelt so viele wie in Hollywood oder in ganz Europa.

© SZ vom 21.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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