Ein Semester lang gab sich die Personalsachbearbeiterin Andrea Frank alle Mühe. Die 33-Jährige hatte sich für ein Psychologiestudium an der Universität Hamburg eingeschrieben. Morgens ging sie zur Uni und nachmittags ins Büro. Sie wollte sich auf den Bereich Wirtschaftspsychologie spezialisieren und erhoffte sich so bessere Karrierechancen im Job. Doch nach einem halben Jahr gab sie wieder auf. "Meine Berufstätigkeit ließ sich mit dem Stundenplan einer Präsenzuni kaum bewerkstelligen", urteilt sie rückblickend. "Aber den Job aufzugeben kam für mich nicht infrage." Nach einigem Hin und Her entschied sich Andrea Frank für ein Psychologie-Fernstudium an der Fernuniversität in Hagen. Mittlerweile ist sie schon weit fortgeschritten, im ersten Jahr ihres Masters. Sie arbeitet nicht mehr, hat dafür aber zwei kleine Kinder. Noch ein gutes Jahr, dann wird sie ihr Fernstudium ganz geschafft haben.
Früher galten Fernstudierende als Sonderfälle des deutschen Bildungswesens. Wer per Post lernte, hatte entweder zu viel Freizeit, studierte nach dem Job auf dem zweiten Bildungsweg oder bereitete sich mehr oder weniger heimlich auf eine berufliche Umorientierung vor. Heute ist das anders. Mittlerweile können die meisten Fernstudierenden wie Andrea Frank bereits auf eine gute Laufbahn zurückblicken - und wollen aber mehr. Denn die Ansprüche an die Arbeit haben sich verändert: Vierzig Jahre Alltagstrott in einem unbefriedigenden Job mit schlechten Karrierechancen sind für viele Menschen heute undenkbar. Kaum verwunderlich, dass die Zahl der Fernstudierenden jährlich steigt: Circa 154 000 Deutsche sind als akademische Fernstudenten immatrikuliert, mehr als 80 Prozent von ihnen sind berufstätig, büffeln am Abend oder am Wochenende. Oft lohnt sich das Pauken: Bekanntermaßen mögen Personaler diese Form der Weiterbildung. Die umfassende Berufserfahrung der Fernstudierenden und die für das Studium notwendigen Skills wie Selbstdisziplin und Zeitmanagement kommen bei ihnen gut an.
Die Ratsuchenden plagt oft Prüfungsangst. Oder sie leiden unter Aufschieberitis
Doch wie lässt sich der Spagat zwischen Job und Studium über viele Jahre hinweg bewältigen? Längst nicht alle schaffen es: Die Abbrecherquote an der Fernuni in Hagen liegt im ersten Jahr bei fast 50 Prozent und an der privaten Euro-FH Europäische Fernhochschule Hamburg bei 30 Prozent. Viele unterschätzen den Zeitaufwand eines Vollzeit-Fernstudiums, der realistisch gesehen bei ungefähr zwanzig Stunden die Woche liegt. Bei einem 40-Stunden-Job bedeutet das: kaum Freizeit, weder nach der Arbeit noch am Wochenende. Das ist hart. Dazu kommt, dass es häufig keine Deadlines gibt, sondern dass Studenten oft selbst entscheiden können, wann sie eine Prüfung ablegen. Die Verlockung des Aufschiebens ist dabei hoch - und das Frustpotenzial auch. Andrea Frank kann ein Lied davon singen. "In einer guten Woche schaffe ich jeden Tag fünf bis sechs Stunden intensives Lernen, in einer schlechten Woche ist ein Kind krank, und ich muss das ganze Wochenende ran", sagt sie. "Um das durchzuhalten, braucht man ein klares Ziel vor Augen." Sie motiviere der Gedanke an einen guten und interessanten Job. Doch auch der Austausch mit Kommilitonen sei wichtig. "Ich treffe mich jede Woche mit einer Lerngruppe", erklärt sie. "Mit meinen beiden Hamburger Kommilitonen bin ich schon durch den ganzen Bachelor gegangen. Der gemeinsame Austausch ist unglaublich wichtig, um dabei zu bleiben."
Doch längst nicht allen gelingt es so gut, sich selbst bei der Stange zu halten. Viele Fernstudierende nehmen mittlerweile die Angebote von Lerncoaches in Anspruch, um besser durchs Studium zu kommen. Die Betriebswirtin Henriette Garczorz war selbst Fernstudierende und ist heute als Business Coach und Trainerin tätig. Sie ist Initiatorin eines Netzwerks von sogenannten Studycoaches und bietet auf der Plattform Erfolgreich-studieren.com Unterstützung für Menschen an, die sich aus der Ferne weiterbilden. Garczorz und ihr Netzwerk helfen ihren Kunden, sich zu organisieren, ihre Motivation zurückzuerlangen, Prüfungsangst zu bewältigen - oder aber die bewusste Entscheidung für einen Abbruch zu treffen. "Wir bieten eine qualifizierte Beratung, die unabhängig von den Fernhochschulen ist. Deshalb können wir die Studierenden auch wirklich neutral und unvoreingenommen begleiten." Vor allem Fernstudierende von Hochschulen, an denen Präsenzunterricht besonders selten stattfindet und an denen nur wenige Gespräche per Telefon und Skype oder persönliche Termine stattfinden, hätten häufig Beratungsbedarf. Dabei hilft Garczorz ihren Kunden, individuelle Lösungsstrategien zu finden. Sie bietet Telefoncoaching, Online-Training und virtuelle Coachinggruppen an, häufig in Abendstunden, an Wochenenden oder an Feiertagen.
Generell ließen sich Probleme im Fernstudium meist drei spezifischen Phasen der Ausbildung zuordnen, erklärt die Betriebswirtin: Einmal in der Orientierungsphase am Anfang, in der es vielen schwer falle, wieder ins Lernen einzusteigen und sich zu organisieren; dann inmitten des Studiums, wenn die Routine Einzug halte, und bei wenig spannenden Lehrinhalten häufig die berüchtigte Aufschieberitis auftrete. Und gegen Ende des Studiums, einer Phase, in der das Anfertigen der Abschlussarbeit und auch der Übergang in die Bewerberposition für den Einstieg in neue Berufsfelder von vielen als herausfordernd empfunden werde.
Das Geschäft derer, die Weiterbildung aus der Ferne anbieten, boomt jedenfalls: Die Teilnehmerzahlen im Fernunterricht und Fernstudium steigen seit Jahren kontinuierlich. Die Fernstudierende Andrea Frank allerdings ist froh, wenn sie irgendwann durch ist mit dem Studium. "Mal das ganze Wochenende nichts tun müssen", sagt sie. "Das ist ein Gefühl, das ich gern wieder kennenlernen würde."