Erfahrungsberichte:Wie Social Distancing die Gemeinschaft stärkt

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Zwei Internatsleiter und eine Internatsleiterin berichten, wie die Pandemie das Leben in ihrer großen Schulfamilie verändert hat, was sie verloren aber auch gewonnen hat.

Protokolle: Miriam Hoffmeyer

(Foto: privat/Hermann-Lietz-Schule/UWC)

Viele Internate liegen abseits der großen Städte und haben drinnen und draußen viel Platz. In der Pandemie ist das ein großer Vorteil. Trotzdem hat sich der Alltag auch in den Internaten stark verändert: Wohngruppen sind vielerorts strikt getrennt, Heimfahrten nur selten möglich. Videounterricht ist derzeit in den Internaten die Norm. Zwei Männer und eine Frau, die drei sehr unterschiedliche Internate leiten, erzählen von ihren Erfahrungen in den vergangenen elf Monaten.

Laurence Nodder, Leiter des UWC Robert Bosch College in Freiburg:

(Foto: Robert Bosch College UWC)

"Unsere Schülerinnen und Schüler kommen aus der ganzen Welt. Einige haben ihre Eltern wegen der Pandemie seit fast anderthalb Jahren nicht mehr gesehen. Gut die Hälfte der hundert Schüler, die im Mai ihr International Baccalaureate geschrieben haben, konnten danach nicht gleich in ihre Heimatländer zurück. Wir haben die Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigungen und die Krankenversicherung organisiert und auch die Kosten übernommen. Auch die Anreise des neuen Jahrgangs war kompliziert. Erst Ende August kam die Entscheidung des Bundesinnenministeriums, dass nicht nur ausländische Studenten, sondern auch Oberstufenschüler nach Deutschland kommen durften. Daher sind einige Schüler mit bis zu sechs Wochen Verspätung angereist und mussten den Stoff dann nachholen. Ein paar Schüler aus Südamerika und Afrika konnten leider gar nicht kommen. Trotzdem sind fast alle unserer 200 Plätze belegt.

Vom März bis Mai 2020 haben wir uns in eine selbstauferlegte Isolation begeben, wir wollten auf Nummer sicher gehen. Einige unserer Lehrer sind zugleich Betreuer und wohnen hier. Drei weitere erklärten sich bereit, aus ihren Wohnungen in Freiburg auf den Campus zu ziehen, um die Betreuung zu verbessern. Wenn jemand von außerhalb in die Gebäude musste, zum Beispiel Reinigungskräfte, haben wir das vorher bekanntgegeben, um Begegnungen zu vermeiden. Seit Anfang der zweiten Welle haben wir ein anderes Konzept, weil wir jetzt mehr über die Infektionswege wissen und den Schülern vermitteln wollen, wie man in Pandemiezeiten sicher, aber halbwegs normal leben kann. Sie dürfen den Campus verlassen, um zum Beispiel zu einem bestimmten Supermarkt zu gehen. Die Schüler halten sich strikt an die Beschränkungen. Sie haben viel Energie eingesetzt, um das UWC in Freiburg besuchen zu können, und wollen ihren Abschluss nicht aufs Spiel setzen.

Auch die Winterferien hat gut die Hälfte unserer Schüler auf dem Campus verbracht. Wer nach Hause fuhr, musste vor der Rückkehr ein negatives Testergebnis vorweisen. Mit vielen Freizeitangeboten wie gemeinsamem Kochen, Wanderungen, Tanzklassen, Weihnachts- und Silvesterfeier haben wir versucht, den Schülern das Leben in diesem trüben Winter so angenehm wie möglich zu machen. Aber die lange Trennung von den Familien bleibt nicht folgenlos. Unsere beiden Teilzeit-Schulpsychologen haben deutlich mehr zu tun als früher."

Ruth Funk, Leiterin des Sportinternats Münster:

(Foto: privat)

"Zurzeit können unsere Schülerinnen und Schüler ganz normal trainieren, denn für den Spitzen- und Profisport gibt es Ausnahmeregelungen. Im ersten Lockdown war gar kein Sport möglich, das war ein richtiger Schock für unsere Schüler! Was schlimm ist: Seit Beginn der Krise haben praktisch gar keine Wettkämpfe mehr stattgefunden. Die Highlights des Jahres sind komplett ausgefallen - Meisterschaften, Lehrgänge und Auslandstrainingslager. Normalerweise ist das letzte Schuljahr für unsere Abiturienten die Chance, sich zu präsentieren, um dann einen Vertrag im Profisport zu bekommen. Auch ein Sportstipendium für eine Hochschule in den USA ist eine tolle Möglichkeit. Für beides sind aktuelle Wettkampfergebnisse sehr wichtig. Um diese Jahreszeit haben die Abiturienten sonst schon Verträge oder Zusagen, diesmal nicht. Im Herbst haben wir weniger Jugendliche aufgenommen als sonst. Es war ja nicht sicher, ob das Training auf Dauer möglich sein würde. Einige Eltern haben befürchtet, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtern könnte.

Bei den Schulen, die unsere Jugendlichen besuchen, läuft der Online-Unterricht inzwischen besser als im Frühjahr. Aber der persönliche Kontakt zu den Lehrern fehlt, der gerade für unsere schwächeren Schüler sehr wichtig ist. Auch unser Internatsleben ist eingeschränkt. Wir haben einen sehr familiären Ansatz - die Schüler sollen sich wirklich zu Hause fühlen, auch damit sie mit dem Druck im Leistungssport zurechtkommen. Ein Nachmittag pro Woche war immer für gemeinsame Aktivitäten reserviert: zusammen Essen gehen, Gesellschaftsspiele, Minigolf, Bowling und so weiter. Im Sommer sind wir sonst immer alle nach Holland ans Meer gefahren, auch das fiel aus. Unsere 25 Schüler sind in feste Gruppen nach Sportarten aufgeteilt: Volleyball, Basketball, Rudern, Leichtathletik und Fußball. Die Gruppen essen versetzt und dürfen sich nicht untereinander treffen. Es hat mich überrascht, wie akribisch die Schüler die Regeln einhalten! Sie sind sich bewusst, dass sie privilegiert sind, weil sie Sport machen dürfen. Und sie wissen auch: Wenn wir hier einen Corona-Fall haben, ist Schluss mit dem Training."

Florian Fock, Leiter der Hermann-Lietz-Schule Spiekeroog:

(Foto: Hermann-Lietz-Schule Spiekeroog)

"Die Insellage kommt uns sehr zugute, unser Landkreis hat einen der niedrigsten Inzidenzwerte Deutschlands. Aber natürlich muss man immer damit rechnen, dass jemand das Virus nach Spiekeroog bringt. Am Anfang der Pandemie waren alle verunsichert. Wir haben damals mit Schülern und Kollegium viel und intensiv darüber diskutiert, wie wir miteinander umgehen wollen, dass es wichtig ist, einander zu schützen. Das hat der Gemeinschaft gutgetan, glaube ich. Schon im Frühling haben wir eingeführt, dass alle Masken tragen, wenn sie im Haus unterwegs sind. An den Plätzen dürfen die Schüler sie abnehmen, weil wir große Räume und kleine Lerngruppen haben und daher viel Sicherheitsabstand halten können.

Im ersten Lockdown von März bis Mai waren fast alle Kinder bei ihren Familien. Weil wir schon seit Längerem ein Tabletklassen-Konzept haben, ist der Übergang zum digitalen Unterricht unkompliziert gewesen. Wir haben nicht nur Aufgaben geschickt, sondern per Video unterrichtet. Das Kollegium hat sich täglich zur Besprechung in der Turnhalle getroffen. Und wenn sich ein Schüler mal nicht eingeloggt hat, haben wir noch am selben Tag die Eltern angerufen.

Von Mai vergangenen Jahres bis kurz vor Weihnachten konnten wir dann wie üblich unterrichten. Auch die meisten Freizeitaktivitäten liefen wie gewohnt. Wir sind hier sowieso viel draußen. Eine Besonderheit unserer Schule ist das "segelnde Klassenzimmer": Interessierte Elfklässler des Internats - wenn Plätze frei bleiben, auch von anderen Schulen -, segeln fast sieben Monate lang über den Atlantik und werden dabei von vier Lehrern unterrichtet. Aktuell befindet sich das segelnde Klassenzimmer in der Karibik. In Corona-Zeiten ist das Gemeinschaftserlebnis an Bord und bei den Landexkursionen besonders prägend.

Hier auf der Insel haben wir alle Feiern und Schülertreffs nach draußen an die Feuerschale verlegt. Die Weihnachtsfeier war dieses Mal besonders schön: Alle Kinder und Jugendlichen sind zusammen mit Fackeln auf die Düne gezogen. In den Ferien waren alle Schüler zu Hause, inzwischen sind zwanzig wieder hier. Jetzt bin ich gespannt, wann die Schüler hierher zurückkommen können, wir haben jedenfalls schon Corona-Schnelltests für alle gekauft. Wegen der Kombination aus digitalem Arbeiten und authentischen Erfahrungen ist das Interesse an unserer Schule gerade sehr groß. Wir nehmen im Februar zehn neue Schüler auf - das sind mitten im Schuljahr ungewöhnlich viele. Sicher spielt dabei auch eine Rolle, dass die Insel als Schutzraum gesehen wird."

© SZ vom 29.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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