Entscheidungsprozesse:Weg mit der Kontrolle

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Große Unternehmen wie Bosch oder B. Braun verabschieden sich von starren Strukturen und wollen ihren Mitarbeitern mehr Freiraum geben. Was verändert sich beim Arbeiten ohne Hierarchien - und kann das Modell in allen Abteilungen funktionieren?

Von Martin Scheele

Sie entwickeln Elektrogeräte in einem Großunternehmen mit 402 000 Beschäftigten - und arbeiten wie kleine Start-ups. Alle 20 000 Angestellten des Bereichs Elektrowerkzeuge beim Stuttgarter Bosch-Konzern wurden in Teams eingeteilt. 2016 hatte die Firmenleitung begonnen, Hierarchien zu entfernen - eine kleine Revolution in einem dieser deutschen Traditionsunternehmen, in denen das Organigramm Abbild starrer Arbeitsstrukturen ist. Statt fünf Ebenen existieren nun nur noch drei: die Bereichsleitung, die sogenannten "Business Owner" und die Teams.

"Die klassische Linienorganisation eignet sich mit ihrer starken hierarchischen Struktur nicht, um schnell auf Marktentwicklungen zu reagieren", sagt ein Bosch-Sprecher. "Wir haben stattdessen agile Teams gebildet." Die Teams in der Werkzeugsparte sind interdisziplinär besetzt. In jeder dieser Gruppen gibt es neben Entwicklern und Vertriebsexperten mit dem Business Owner den Strategieverantwortlichen sowie einen Agile Master. Er ist dafür zuständig, dass vernetzte Teams sich selbst organisieren und größere Projekte in kleine Arbeitshäppchen, sogenannten Sprints, aufteilen. "Die Teams agieren wie kleine Unternehmen im Unternehmen. Sie verantworten Umsatz und Ergebnis ihres Bereichs und treffen die unternehmerischen Entscheidungen selbst."

Bosch ist bei dem Ziel, seiner Belegschaft mehr Entscheidungsraum zu geben, längst kein Einzelfall in Deutschland. Ähnlich ist das Medizintechnikunternehmen B. Braun in Melsungen vorgegangen. "Auch in großen Unternehmen ist ein Wandel weg von Kontrolle und starren Hierarchien hin zu vertrauen- und kompetenzbasiertem Arbeiten möglich. Man muss dafür nur als Führungskraft bereit sein, Silos und Organigramme aufzubrechen", erläutert Bernadette Tillmanns-Estorf, in Personalunion Personal- und Kommunikationschefin bei B. Braun, in dem Buch "Tasks & Teams", dass die flexible Zusammenarbeit bei ihrem Arbeitgeber beschreibt. Grundlage für die agilen Arbeitsformen ist eine vertrauensvolle Beziehung vom Teammitglied zu den Führungskräften.

Wie wichtig das ist, zeigt eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Appinio im Auftrag des Murmann-Verlags. Gefragt nach den Eigenschaften, die ihnen bei ihrem Chef besonders wichtig seien, antwortete fast ein Drittel der Befragten "vertraut mir". "Ist verlässlich in Absprachen" gaben fast genauso viele Befragte an. Weniger wichtig war ihnen, das der Chef ein Ziel (fast zehn Prozent) oder neue Ideen hat (neun Prozent) oder nach der Arbeit ansprechbar ist (7,6 Prozent).

Wie stark Entscheidungen bei einer vertrauensvollen Atmosphäre ins Team delegiert werden können, zeigt Bosch. Dort entscheiden die Mitarbeiter beispielsweise nach dem Mehrheitsprinzip über neue Teammitglieder und Führungskräfte. Die Teams hätten dabei die Spielregel aufgestellt, geschlossen hinter allen demokratisch getroffenen Entscheidungen zu stehen, so der Bosch-Sprecher. Der Umbau sei ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. Allerdings hat man auch festgestellt, dass in manchen Arbeitsbereichen wie etwa der Fertigung, wo hohe Stückzahlen in immer gleicher Qualität gefertigt werden müssen, hierarchische Organisationsformen besser sind geeignet als agile. In anderen Bereichen wiederum können Mischformen zwischen hierarchischer und agiler Arbeitsweise am sinnvollsten sein.

Was den Bereich Elektrowerkzeuge angeht, zieht Bosch ein positives Zwischenfazit. Dem Kundenwunsch könne schneller entsprochen werden, die Entwicklungszeiten für Produkte seien verkürzt worden, und die Mitarbeiter seien zufriedener als vorher. "Wir haben es geschafft, deutlich mehr Verantwortung ins Team zu übertragen. Es ist dabei nur menschlich, dass mancher hin und wieder in alte Verhaltensmuster verfällt, aber wir bleiben hartnäckig", sagt ein Sprecher.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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