Dozent für Innovation:Mehr Nationen im Dialog

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Professor Stefan Wagner hat an eine Business School gewechselt und beschreibt, wie sich der Unterricht von demjenigen an der Universität unterscheidet.

Interview von Christiane Bertelsmann

Für Lehrende ist es ein Unterschied, ob sie an einer Universität arbeiten oder an einer privaten Business School. Manche von ihnen kennen beide Arten von Einrichtungen. Zu ihnen gehört Stefan Wagner. Er hat von 2001 bis 2010 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent an der LMU München BWL gelehrt. Nach Abschluss seiner Habilitation musste er sich nach einer anderen Stelle umsehen - wegen des sogenannten Wissenschaftszeitvertrag-Gesetzes war eine Weiterbeschäftigung beim gleichen Arbeitgeber ausgeschlossen. Als sich Wagner nach Abschluss der Habilitation auf Professuren beworben hatte, lagen ihm konkret zwei Angebote vor - von einer staatlichen Universität und einer privaten Business School. Er entschied sich gegen die Sicherheit einer verbeamteten Anstellung an einer staatlichen Universität und wechselte an die European School of Management and Technology (ESMT) Berlin. Der 42-jährige gebürtige Bayer ist dort Professor für Strategie und Innovation.

Wenn Sie an Ihre Zeit an der LMU München denken - wo liegen in Bezug auf die Studierenden die größten Unterschiede zu ihrer derzeitigen Lehrtätigkeit?

In meinen Vorlesungen im Innovationsbereich und in angewandter Statistik in München saßen bis zu 800 Studierende vor mir im Hörsaal - wie das eben so ist an einer großen öffentlichen Universität. Im Master waren die Gruppen kleiner, um die 50 Leute in meinem Bereich, der Spezialisierung Innovation. An der ESMT haben Sie in vergleichbaren Studiengängen 65 bis 70 Menschen, mehr werden es nicht werden, weil es ganz schlicht der Klassenraum nicht hergibt.

Der große Unterschied zur Universität ist die Zusammensetzung der Studierenden. Im Bachelor-Studiengang finden Sie gerade in großen Städten eine hohe Zahl von Ortsansässigen und eine vergleichsweise geringe Anzahl internationaler Studierender. Im Masterstudiengang mischt es sich mehr, vor allem ist es geografisch diverser, da kamen Leute aus ganz Deutschland. Aber eine schöne internationale Mischung zu produzieren, haben wir damals an der Uni nicht geschafft.

An der Business School ist die Situation nicht nur diesbezüglich anders ...

Ja, auf alle Fälle: In einer Vorlesung sitzen Menschen aus mindestens 20 verschiedenen Ländern, im Vollzeit-MBA sogar aus bis zu 34. Die Gruppen sind extrem international gemischt. Das bietet natürlich völlig andere Möglichkeiten, zu diskutieren, da alle aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen kommen. Ein weiterer systemimmanenter Unterschied: Die Leute im MBA-Studiengang haben Berufserfahrung von um die fünf Jahren.

Welche Anforderungen stellen das höhere Alter und die Berufserfahrung der Teilnehmer an Sie als Lehrenden?

An einer öffentlichen Uni arbeitet man vor den Teilnehmern, in einem Teaching-Setting wie hier arbeitet man mit den Teilnehmern. Das ist wirklich ein großer Unterschied. Reiner Frontalunterricht, wie ich das aus der Uni kannte, oder der Verweis auf Lehrbücher und die dort niedergeschriebenen Fakten werden bei den älteren, erfahrenen Kandidaten nicht mehr unkritisch hingenommen. Man muss hier anders argumentieren, den Teilnehmenden die Anwendungen zeigen, deutlich mehr Bezug auf die Realität nehmen. Das erfordert auf alle Fälle eine intensivere Vorbereitung. Es ist mehr Diskussionszeit geplant.

An der Uni hatte man einen 90-Minuten-Slot, in dem der Professor spricht, idealerweise illustriert mit schönen Folien. Das ist hier unmöglich. Das Lehrkonzept ist deutlich interaktiver. Das muss man gut planen, sonst kann die Diskussion aus dem Ruder laufen.

Wann wird es für Sie als Lehrenden heute kniffelig?

Besonders herausfordernd ist es bei den Executives. Da sind die Teilnehmer noch älter, stehen in der Unternehmenshierarchie noch höher - vor allem bei den EMBA-Studiengängen. Da hat man Teilnehmer, die verantworten zum Beispiel für Siemens ein Werk in Mexiko. Wenn ich von solchen Wow-Lebensläufen höre, frage ich mich schon: Was soll ich dem jetzt beibringen? Eigentlich müsste der mir doch erzählen, wie der Hase läuft.

Von diesem Gedanken muss man sich lösen. Als Lehrender ist es meine Aufgabe, den Horizont der Studierenden zu erweitern, die Teilnehmer dazu zu bringen, über das hinauszuschauen, was sie aus dem Büro kennen. Und das funktioniert ähnlich wie auf einer Bühne: Das Publikum ist kalt, die Teilnehmer kennen einen nicht, man kennt sie nicht. Wenn man in den ersten zehn Minuten aus irgendeinem Grund nicht Glaubwürdigkeit und Sympathie etabliert, ist der Tag gelaufen. Mir ist das am Anfang einmal passiert, es war ein Fiasko. Den Tag muss man abhaken und unter Learning abbuchen.

Welche Rolle spielt die Forschung an einer privaten Business School? Ist das nicht eher ein Thema an Universitäten?

Wir sind privat organisiert, aber sehr forschungsorientiert. Der Karrierepfad für unsere Lehrenden fängt als Assistent Professor zunächst mit einer befristeten Stelle an. Nach sechs Jahren wird der Forschungsoutput evaluiert und - wenn das erfolgreich ist -, wird der Assistant Professor zum Associate Professor mit unbefristetem Vertrag befördert. Damit die jungen Kollegen Zeit für die Forschung haben, können sie ihre Lehrzeiten reduzieren. Das funktioniert gut; wir publizieren in allen führenden Zeitschriften. Das ist bei uns nicht anders als in staatlichen Hochschulen - Professoren wollen sich einen Namen in der Forschung machen.

Die Schule, an der Sie lehren, ist noch vergleichsweise jung. Wie haben Sie die Änderungen in den vergangenen Jahren empfunden?

Für mich als Akademiker, der vorher an einer 300 Jahre alten Hochschule gelehrt hat, ist es extrem spannend, zu sehen, wie sich so eine junge Institution entwickelt. Die alten Unis haben einen Ruf, die haben vorgegebene Strukturen. Die ESMT musste sich ihren Ruf als sichtbare, glaubwürdige Institution erst aufbauen. Bislang ist das gut gelungen. Die Schule hat deutliche Sprünge nach vorne gemacht und ist auf einem guten Weg. Es ist ein äußerst langatmiges Geschäft, eine akademische Marke aufzubauen.

© SZ vom 05.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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