Doch kein Volksstamm:Im "Ossi" nichts Neues

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Am Anfang war der Vermerk auf den Bewerbungsunterlagen, dann die Auseinandersetzung vor Gericht - und jetzt die Entscheidung: "Ossis" sind kein eigener Volksstamm.

Mehr als 20 Jahre nach der Wende steht fest: "Ossis" sind kein eigener Volksstamm. Mit dieser Begründung hat das Arbeitsgericht Stuttgart am Donnerstag die Klage einer Frau abgewiesen, die als Ostdeutsche keine Stelle bei einer schwäbischen Firma bekommen hatte.

Der Vorsitzende Richter sagte zur Begründung: "Unter ethnischer Herkunft ist mehr zu verstehen als nur regionale Herkunft." Zwar könne der Begriff "Ossi" diskriminierend gemeint sein und auch so verstanden werden, jedoch erfülle er nicht das Merkmal der ethnischen Herkunft. Ostdeutsche könnten sich also in solchen Fällen nicht auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz berufen.

Die Gemeinsamkeit ethnischer Herkunft könne sich in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung oder in gleichartiger Ernährung ausdrücken. Außer der Zuordnung zum ehemaligen DDR-Territorium fehle es bei den "Ossis" an diesen Merkmalen, zumal die DDR nur wenig mehr als eine Generation, nämlich 40 Jahre lang, eine von der Bundesrepublik unterschiedliche Entwicklung genommen habe.

Der Arbeitgeber hatte einer 49-jährigen gebürtigen Ostberlinerin die Bewerbungsunterlagen im Juli 2009 zurückgeschickt und auf dem Lebenslauf notiert: "(-) Ossi". Dieser Vermerk könne zwar als diskriminierend verstanden werden, falle aber nicht unter die gesetzlich verbotene Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft, urteilte das Gericht.

Die Firma beteuerte, Grund für die Ablehnung sei allein die mangelnde Qualifikation der Bewerberin gewesen. Die Frau, die seit 22 Jahren im Großraum Stuttgart lebt, hatte sich im vergangenen Sommer als Buchhalterin bei einem Stuttgarter Fensterbauer beworben und jetzt auf Entschädigung geklagt.

Anonyme Lebensläufe - ohne Name und ohne Foto

Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, äußerte "absolutes Verständnis" für die Klägerin. Sie sagte im SWR, Menschen dürften nicht aufgrund ihres Geburtsortes benachteiligt werden. Zur Vermeidung solcher Klagen müssten aber nicht unbedingt die Kriterien des Gleichbehandlungsgesetz erweitert werden. Probleme dieser Art seien zu vermeiden, wenn in Bewerbungsverfahren künftig "anonymisierte Lebensläufe" vorgeschrieben würden. Ohne Angabe von Namen, Adresse, Geburtsdatum, Familienstand und ohne Foto-Beilage könne einer voreiligen Diskriminierung vorgebeugt werden.

Die Klägerin kann nun binnen eines Monats gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung einlegen, über die das Landesarbeitsgericht Stuttgart zu entscheiden hätte.

(Aktenzeichen: Arbeitsgericht Stuttgart 17 Ca 8907/09)

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