Digitale Experimente:Moocs oder Snocs?

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Vielen deutschen Business Schools sagen Online-Kurse für einen ausgewählten Teilnehmer-Kreis zu. Angebote, die für alle offen sind, gefallen den meisten weniger.

Von Christine Demmer

Für 900 Dollar kann man sich ein brandneues Edelhandy kaufen und so tun, als sei man ein großer Manager. Für denselben Preis kann man ab Mai an einem sechswöchigen Onlinekurs der in Boston, Massachusetts, ansässigen Harvard Business School (HBS) teilnehmen und lernen, wie man ein großer Manager wird. Mancher wird sich das überlegen. Ein Zertifikat von Harvard glänzt noch nach Jahrzehnten.

Die Harvard-Manager hoffen, dass viele an Weiterbildung interessierte Menschen so denken. Gerade auch, weil sie Geld für den Schnupperkurs bezahlt haben. Ein Massive Open Online Course (Mooc) ist das Angebot aus Boston aber nicht. Moocs sind jedermann und kostenlos zugänglich. Obwohl die Technik jeden mitlernen lassen könnte, lässt Harvard Teilnehmer nur auf Bewerbung zu. Für Edelmarken ist die künstliche Angebotsverknappung eine gängige Geschäftsstrategie, um mehr Umsatz zu machen.

Die älteste Managerschmiede der Welt hat seit 2015 für ihr digitales Lehrangebot namens "HBX Live" einen dreistelligen Millionenbetrag ausgegeben. Fiberleitungen, Server, Kamerateams, die Ausstattung des virtuellen Klassenraums mit Monitoren, die häppchenweise Aufbereitung des Lehrstoffs - es summiert sich. Damit das Geld wieder zurückfließt, müssen viele Neugierige erst zu hippen Onlinekurs-Teilnehmern und dann zu altmodischen Hörsaal-Studierenden gemacht werden. Vielleicht geht die Rechnung auf, vielleicht nicht.

Online-Kurse haben den Vorteil, dass man den Ort, an dem man sie besucht, selbst bestimmen kann. In der Praxis hat sich bislang Blended Learning bewährt, die Kombination von Präsenzstudium und Lernen aus der Ferne. (Foto: imago)

Aber da ist noch ein anderes Argument. Wer einen sechsstelligen Betrag investiert, um an einer berühmten Business School seinen MBA zu bauen, will auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik lernen. Beim Lehrstoff hat die Harvard Business School dieses Image. Und jetzt auch die neueste Technik: online übertragene Vorlesungen, bei denen der Professor auf jedes Stirnrunzeln seiner Studenten reagieren kann. In Harvards virtuellem Klassenzimmer zeigen 60 Monitore 60 Köpfe - und es spielt überhaupt keine Rolle, wo auf der Welt der dazugehörige Mensch gerade lernt. Er muss sich nur zu den festgesetzten Zeiten einloggen.

Wie stellen sich deutsche Business Schools auf die digitale Lehre ein? Die Mannheim Business School (MBS) etwa hat MBSx. So heißt die hauseigene Plattform, auf der ebenfalls Onlinekurse angeboten werden. Thema ist im Gegensatz zum Angebot der HBS nicht die eigene Karriere, sondern "wertorientierte Unternehmensführung", ein betriebswirtschaftliches Thema. Dafür muss man sich nur registrieren und darf dann kostenlos den Vorlesungen folgen. Interaktiv ist das Angebot nicht, dafür kann man lernen, wann man will. Für die erfolgreiche Teilnahme gibt es ein Zertifikat. Ein Ersatz für Präsenzstudiengänge sollen die Onlinekurse nicht sein, betont MBS-Präsident Jens Wüstemann. Wie die Kollegen in Harvard und in anderen Business Schools will er aber mit dem Zeit gehen.

Dass die Business Schools bald die Hörsäle zusperren werden, ist unwahrscheinlich. Durchgesetzt hat sich zwar das Blended Learning, die Kombination von Präsenz- und Onlinelernen. Doch zu mehr ist Andreas Pinkwart, Rektor der HHL Leipzig Graduate School of Management, nicht bereit. "Der reine Onlineunterricht passt nicht zu uns", betont er. "Wir wollen den individuellen Bezug zu den Lernenden haben und ihre interkulturellen und unternehmerischen Fähigkeiten stärken." Wichtiger Teil der Didaktik sei die individuelle Ansprache der Studierenden und ihre Vernetzung in der Lerngruppe. "Die Teilnehmer wollen ja gerade miteinander und voneinander lernen und sich auch in ihrer Persönlichkeit weiterentwickeln", argumentiert Pinkwart.

Snocs sind ein modernes Format, das nur Studenten eines speziellen Schul-Verbunds nutzen können

Gut möglich, dass dieses Motiv die Nachfrage nach dem Online-MBA in Grenzen hält. Die Anbieter von Fernunterricht bestreiten das und verweisen auf steigende Studentenzahlen. Vielleicht passt diese Lehrform ja nur nicht zu etablierten Business Schools. Die WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar bei Koblenz indes ist schon wieder von ihrem Onlinekurs für alle abgekommen. "Wir haben eine Zeit lang damit experimentiert", sagt Christoph Hienerth, der als Hochschullehrer das digitale Lehrangebot betreut. Anders als die HBS und die MBS hatte die WHU ihre Inhalte über einen Provider verteilen lassen - und der war 2016 knapp an der Insolvenz vorbeigeschrammt. Seither stellt die WHU ihren Onlinekurs nur für deutsche Firmenkunden ins Netz. "Es ist sinnvoll, hin und wieder die Lehrform zu überdenken", begründet Hienerth den Sinneswandel. "Wir können die Digitalisierung durchaus für den Unterricht nutzen. Aber das müssen keine Moocs sein." Die müssten sich nämlich erst mal rechnen.

Angenommen, sie rechnen sich eines Tages: Kannibalisieren Onlinekurse nicht das Geschäftsmodell der Business School? Hienerth verneint das: "Größer ist die Gefahr für die Marke der Business School." Von der WHU erwarteten die Studierenden eine hohe Qualität der Lehre und den persönlichen Bezug zum Dozenten. "Das können wir mit einer Kombination aus Lernen im Klassenraum und zusätzlichen digitalen Inhalten wie etwa Lehrvideos und digitalen Fallbeispielen erfüllen", verspricht der Professor. "Außer Moocs gibt es ja noch viel mehr."

Auch im Netz gebe es lebhafte Diskussionen, schwärmen Anhänger von Moocs

Snocs beispielsweise. "Das sind Small Network Online Courses, die nur den Studierenden und Alumni der in der GNAM zusammengeschlossenen Business Schools zur Verfügung stehen", erklärt der Präsident der Berliner Wirtschaftshochschule ESMT, Jörg Rocholl. GNAM ist das Global Network for Advanced Management, ein Zusammenschluss von 29 Business Schools auf der ganzen Welt. Dieses Netzwerk produziert die Onlinekurse und stellt sie auf einer Plattform bereit. "Wer erfolgreich abschließt, bekommt dafür CreditPunkte", erklärt Rocholl, "genau wie bei einer Live-Vorlesung in der Business School." Ein Vorteil von Snocs sei, dass die Teilnehmer in etwa gleiche Interessen und Fähigkeiten mitbrächten, merkt Rocholl an. Trotzdem seien sie kein Ersatz für den lebendigen Unterricht und die Diskussionen in der Business School.

Nichts von Angebotsverknappung bei der Lehre hält Tobias Kretschmer, Wirtschaftsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Sein Onlinekurs "Competitive Strategy" läuft seit 2014 und hat 650 000 Zuhörer und Zuschauer. "Relativ viele aus Deutschland und überraschend viele aus Brasilien", sagt Kretschmer, der sich über sein internationales Publikum freut. Der Zugang zum Kurs ist kostenlos. Für ein Zertifikat berappt man 50 Dollar monatlich an den Provider, dafür kann man weitere Kurse besuchen. Lebendige Diskussionen gebe es bei ihm auch, versichert Kretschmer. "In den Foren sind die Teilnehmer unglaublich aktiv", schwärmt der Professor. Mit seinen Vorlesungen, die ihn mit Vorbereitungen und Standortsuche jedes Mal einen ganzen Tag kosten, verdient er weder Geld noch ist seine Lehrverpflichtung geringer. Kretschmer sagt, es mache ihm ganz einfach Spaß, so vielen Menschen etwas beizubringen.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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