Die Bundesbrüder tragen heute Abend Band. Weiß, rot, grün windet es sich um ihre Oberkörper in Hemd und Pullover. Sie tragen alle Lederschuhe und ordentliches Beinkleid, das gebietet der Anlass. Den Besuch bittet man in die Bibliothek des Vereinshauses, wo schwere Polstermöbel vor Bücherregalen stehen. Entsprechend der Kürzel im Veranstaltungsprogramm der Studentenverbindung würde dieser Abend vermutlich so gekennzeichnet: s.t.-o/D-. Das bedeutet: pünktlicher Beginn, offizielles Treffen, mit Dame.
Zwei Herren im "Vollwichs" - sprich "großer studentischer Tracht": Vorstand Matthias Baumgart (links) und ein Bundesbruder.
(Foto: Foto: oH)Die sechs Männer mit Band und kleiner, grüner Mütze gehören zur Hamburger Korporation Wiking. 300 Mitglieder hat sie, 25 sind Studenten, der weitaus größere Teil die sogenannten "Alten Herren". Zum alten Herrn wird jeder Bundesbruder automatisch, sobald er sein Studium beendet hat. Die Wiking ist eine katholische Verbindung und daher nichtschlagend; den traditionellen Fechtkampf lehnt ihr Cartellverband (CV) ab.
Auf ein Bier findet sich immer einer
Dessen Geschäftsführer überraschte kürzlich mit der Meldung, dass sich in seinen Reihen ein erfreulicher Mitgliederzuwachs bemerkbar mache. Mehr als 500 neue Füchse - wie Neumitglieder im Verbindungsdeutsch heißen - zählte der CV im vergangenen Jahr. Noch vor ein paar Jahren seien es weniger als 300 gewesen.
Die Wiking hat zum Wintersemester drei Füchse aufgenommen. Das könne man als steigenden Zulauf bezeichnen, sagt Matthias Baumgart, Senior im Chargenkabinett der Verbindung, sprich: ihr Vorsitzender. Was zieht einen wie ihn, seinen jüngeren Bruder Philipp oder den 21-jährigen Fuchs Falko Schulte in das Vereinsheim, einen recht uncharmanten Nachkriegsbau? Die zehn günstigen Zimmer in den oberen Stockwerken sind alle an Bundesbrüder vermietet. Es gibt eine Gemeinschaftsküche, die Bibliothek, einen Veranstaltungssaal und die Kajüte, eine mit viel Holz und Seemannsgarn verzierte Kellerbar.
Den Knigge leben
Während des Semesters hängt immer ein Fass Bier an der Zapfanlage, dafür sorgt der Bierwart. Über dem Tresen baumeln Landjäger an einer Holzstange. Zu einem Abend in der Kajüte gehören Gesang, alte Studentenlieder übers Wandern und den Wein. Band und Mütze werden getragen, sobald vier, fünf Leute zusammensitzen. "Auf ein Bier findet sich immer einer im Haus", sagen die Bewohner. Jeder alte Herr hat einen Hausschlüssel, manche kommen spontan vorbei.
Die Brüder Baumgart und ihr Kommilitone Schulte haben Väter, die einer Verbindung angehören. Vater Baumgart ist heute Vorsitzender der alten Herren der Wiking. Seine Söhne sind großgeworden mit Traditionen und Ritualen, die ihren Altersgenossen verstaubt, rückwärtsgewandt und weltfremd erscheinen. Dass die Verbindungsstudenten den Knigge kennen und leben, ist unzeitgemäß, aber auch ganz angenehm, sie sind auf eine unaufdringliche Art Gentlemen. Aber ihr Leben im Verbindungshaus und ihre Freizeitgestaltung wirken antiquiert. Wochenendausflüge zu anderen Verbindungen, Bälle in Anzug und Abendkleid, Burschungsprüfungen, Zirkel, Convente und Keilstammtische - ihre enge, ritualisierte Gemeinschaft ist für Außenstehende doch gewöhnungsbedürftig.
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