Früher oder später hat noch jede Krise Prien am Chiemsee erreicht. Wo der See vor der Klinik Roseneck so ruhig ans Ufer schwappt und die Ausflugsschiffe aufs Frühjahr warten. Der Absatzeinbruch in der Autoindustrie, die Korruptionsaffäre bei Siemens, die dauernden Umstrukturierungen bei der Telekom - sie waren alle schon da. Neuerdings macht sich auch die Rezession bemerkbar, der wirtschaftliche Druck, dem insbesondere die Mitarbeiter von Banken und Versicherungen ausgeliefert sind: Sie müssen jetzt mehr leisten, weil es ihren Konzernen schlechtgeht. Oder die Einsparungen im öffentlichen Gesundheitssystem und deren Folgen: Sie werden hier in Prien gewissermaßen von Markus Schmitt repräsentiert.
Burn-out: Die Krankheit scheint sich epidemisch auszubreiten - obwohl es sie als offizielle Diagnose nicht gibt.
(Foto: Foto: iStock)Wenn der Mann, dessen richtigen Namen wir - wie bei allen hier vorkommenden Patienten - nicht nennen, seine Geschichte erzählt, atmet er zwischendurch immer wieder schwer, was nicht nur daran liegt, dass er in den vergangenen sechs Jahren 40 Kilo zugenommen hat und nun 130 Kilo auf die Waage bringt. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat Schmitt zu seiner Entlastung in den Kalender frei erfundene Termine eingetragen oder ist schon mal über den Balkon aus dem Büro abgehauen - ein unkonventionelles Verhalten für einen Personalchef mehrerer ostdeutscher Kliniken mit zusammen 2500 Mitarbeitern. Dabei war Schmitt viele Jahre lang ein erfolgreicher Manager und ein harter Hund, jedenfalls sich selbst gegenüber: Er humpelte sogar mit gebrochenem Bein ins Büro, arbeitete 60 Stunden pro Woche und verbrachte die Feierabende daheim mit Unterlagen und einer Flasche Wein.
Sie können nicht mehr
Aber so sehr er auch schuftete, kämpfte und sich abmühte, irgendwann kam er nicht mehr hinterher: immer neue Einsparungen, Budgetierung, Personalabbau, die Besserwisserei der Krankenkassen und der Geschäftsführung. Und mittendrin Schmitt, der dynamische Personalchef. Ein stattlicher Mann, Ende 50, mit sonorer Stimme, der in Wirklichkeit von Depression und Angst heimgesucht wurde. Im Herbst musste er einem altgedienten Mitarbeiter kündigen. Danach wollte auch Schmitt aufhören und sich vorzeitig pensionieren lassen. Stattdessen aber ließ er sich erst einmal ins Krankenhaus einweisen, in die psychosomatische Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, eines der größten Häuser seiner Art in Deutschland, mit Blick auf Herreninsel und Alpen, belegt mit Patienten wie Schmitt, die eines verbindet: Sie können nicht mehr.
Sie alle leiden unter einer Krankheit, die sich epidemisch auszubreiten scheint, obwohl es sie als offizielle Diagnose nicht gibt. Schmitt und seine Leidensgenossen sind Opfer des Burn-out-Syndroms, einer Ansammlung von gleichermaßen schweren wie diffusen Symptomen der Erschöpfung und des Ausgebranntseins. Ihr Katalog reicht von Rückenschmerzen, Bluthochdruck, Unruhe, Reizbarkeit und Zynismus bis hin zu Schlafstörungen, schweren Depressionen mit Selbstmordgedanken.
Irgendwann kippen sie um
Oft sind es Menschen im mittleren Alter, die wie Personalchef Schmitt spüren, dass sie trotz aller Anstrengung nicht mehr die Leistung wie früher bringen. Aus Angst vor dem Abstieg stecken sie noch mehr Energie in den Beruf, machen Fehler, werden vergesslich, unzuverlässig. Sie regulieren sich morgens mit Kaffee und abends mit Alkohol. Irgendwann kippen sie um. Andere machen schon schlapp, bevor die Karriere überhaupt losgeht: Selbst bei Schülern und Studenten wurde das Burn-out-Syndrom beschrieben.
So müht sich die Wissenschaft vergeblich mit einer allgemeinen Theorie des Ausbrennens ab, seit der Psychoanalytiker Richard Freudenberger 1974 erstmals den Begriff Burn-out einführte, nachdem er an sich selbst die diversen Symptome entdeckt hatte. Nach mehr als drei Jahrzehnten der Forschung ist die Zahl der Erklärungsmodelle ins Uferlose gewachsen. Fest steht, dass das Phänomen des Ausbrennens tatsächlich existiert, dass es eine Erscheinung des Industriezeitalters ist und so gut wie jeder daran erkranken kann.
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