Bürogeschirr:Offenbarung in der Kaffeeküche

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Imagebroschüren, Geschäftsberichte, Webauftritte? Ein Blick in die Kaffeeküche verrät oft mehr über ein Unternehmen. Eine Tassentypologie.

Berit Uhlmann

1. Das Uralt-Sortiment Tassen mit Werbeaufdrucken und Geschirr, das Ex-Kollegen schon vor Jahrzehnten zurückgelassen haben, stehen griffbereit auf Wandborden. Darunter mindestens eine Tasse mit abgebrochenem Henkel. Fest gebrannter Bodensatz an allen Bechern. Als Geschäftspartner sind diese Kaffeetrinker eine Erwägung wert. Sie bringt so schnell nichts aus der Fassung und in irgendeiner Schublade gibt es immer noch einen Notvorrat an Würfelzucker sowie an Ideen, wie der schon wieder drohenden Insolvenz abzuhelfen sei. Bei der Firma anzuheuern, ist nur Hartgesottenen zu empfehlen.

Zum Uralt-Sortiment zählt auch dieses Exemplar: Tasse mit "Bernd das Brot"-Motiv. (Foto: Foto: ddp)

2. Die individualistische Sammlung Namen, Sinnsprüche und Tierkreiszeichen schmücken die Tassen. Nicht davon zu trennen sind die gemeinsamen Kaffeerunden mit Themen wie: "Die Uschi hat schlecht geschlafen ... liegt's am Elektrosmog, der Mondphase, der zu heftigen Reikki-Behandlung vom Vortag?" Wer die fröhlichen Tassen bis zur bitteren Neige leert, findet liebevolle Kollegen oder Geschäftspartner, die auch das Unmögliche schaffen. Wer die Pausen nicht mitmacht, wird durch Bummelstreik zermürbt.

3. Riesenbecher im Spind Der lockere Vorschlag an den neuen Kollegen: "Hol' Dir erstmal 'nen Kaffee" entpuppt sich schnell als Aufforderung zur pausenlosen Anwesenheit im Büro. Die Kaffeepötte sind riesig und müssen bis zum nächsten Morgengrauen reichen; Zeit zum Nachfüllen bleibt kaum. Die Küche ist schick, aber ständig verwaist. Schillernde Diskrepanz zwischen Schein und Sein. Man muss für diese Art Job geboren sein, gewöhnen kann man sich an den Arbeitsstil nicht.

4. Gar keine Tassen Mitarbeiter bringen ihren Coffee to go in Plastikbechern mit und fühlen sich als Kosmopoliten, weil sie gelernt haben, "Macchiato" korrekt auszusprechen. Derart beflügelt sitzen sie den Rest des Tages wunschlos vor ihren Bildschirmen. Als Kollegen, Geschäftspartner, Auftraggeber bereiten sich nur selten Probleme. Aber auch nur selten gute Laune.

5. Kantinengeschirr Tassen und Teller sind mit Mengenrabatt gekauft, gut stapelbar, gut spülbar. Hier muss gewarnt werden: Die Abhängigkeit zu Muttergesellschaft oder übergeordneter Behörde ist vermutlich größer als gedacht. Das heißt: Permanente Gefahr, dem Rotstift der Mutter zum Opfer zu fallen.

6. Der formelle Tassen-Ausleih-Service Tassen gibt es nur per Formular beim Verantwortlichen zu bestimmten Ausgabezeiten, die kurz bemessen sind, weil dieser in der Zwischenzeit der überarbeiteten Fassung der Öko-Audit-Bestimmungen folgend den Müll trennt. Absolut vertrauenswürdige Firma, auch wenn die Kreativität manchmal in fragliche Projekte schießt.

7. Die Espresso-Maschine Hier gibt es zumindest einen in der Chefetage, der es gut mit den Mitarbeitern meint. Er hat einen glitzernden Espresso-Kocher und passende Tassen angeschafft um etwas Dolce-Vita-Flair zu verbreiten. Halten Sie sich auf jeden Fall an diesen Vorgesetzten! Nach kurzer Zeit schlägt allerdings für die Firma die Stunde der Wahrheit. Entweder: Der Automat steht kaputt und verkrustet in der Ecke - was heißt, die Atmosphäre ist einfach zu nüchtern für ein bisschen Italien in der Küche. Oder: Die Maschine wird zum gemeinsamen Kind der Kollegen. In der Küche kleben aufgeregte Zettel, die über sensible Phasen und geeignete Pflege des ständig vom Kollaps bedrohten Kochers informieren. Die aktuelle Stimmung des zischenden Geräts ist tägliches Gesprächsthema. In dieser Firma ist die Fähigkeit zur Liebe vorhanden - wenngleich ein wenig fehlgeleitet.

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