Bologna-Reform:Bachelor in Fachidiotie

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Die Bologna-Reform treibe Studenten das selbstständige Denken aus, klagen Professoren und Arbeitgeber: Zehn Jahre nach der Umstellung auf Bachelor und Master ist kaum jemand mit der Neuordnung zufrieden.

Erasmus lieben sie, Bologna beschimpfen sie. Europa hat das Leben der Studenten in den vergangenen Jahren auf den Kopf gestellt. Von der größten Revolution an deutschen Universitäten seit dem 19. Jahrhundert wird gesprochen.

Studenten demonstrieren gegen die Hochschulreformen: Dichte Stundenpläne sowie die Fülle von Praktika und Klausuren lassen keine Zeit fürs Jobben oder Auslandssemester. (Foto: Foto: ddp)

Austauschprogramme wie Erasmus gelten als Erfolgsmodell - mit rund 26.000 deutschen Studenten wurde im Studienjahr 2007/2008 ein Rekord aufgestellt. Dagegen hat die durch Bologna angestoßene Umstellung von Magister- und Diplom- auf Bachelor- und Masterstudiengänge in Europa einen Proteststurm ausgelöst. Im März lieferten sich Studenten in Barcelona bei Anti-Bologna-Demos sogar Straßenschlachten mit der Polizei.

Bummelstudent als aussterbende Spezies

Dichte Stundenpläne mit Anwesenheitspflicht sowie die Fülle von Praktika und Klausuren lassen vielerorts keine Zeit fürs Jobben oder Auslandssemester, lauten die Klagen. Wie ein Hamster im Laufrad kämen sich viele Studenten vor, kritisiert der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen. Hochschulgruppen und Fachschaften haben Nachwuchsprobleme. Der "Bummelstudent" ist infolge von Bologna und Studiengebühren zur aussterbenden Spezies geworden.

Nun, da in Deutschland 9200 und damit 75 Prozent aller Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt sind, wird "Bologna" immer mehr zum Schimpfwort. Experten raten zum Nachbessern.

Studium ohne Grenzen

Alles begann vor zehn Jahren im Juni 1999 in der italienischen Universitätsstadt Bologna. Dort beschlossen 29 europäische Staaten die Angleichung der Hochschulsysteme. Die Vision: Ein Studium ohne Grenzen für mehr als 15 Millionen Studenten an rund 5000 Hochschulen der EU und angrenzender Staaten - ohne Streit über die Anerkennung von Leistungsscheinen und Prüfungen. Das sollten gleiche Abschlüsse und vergleichbare Studienpläne gewährleisten. Das Studium sollte passgenauer für den Arbeitsmarkt werden. Deshalb wurden die bisherigen Diplom- und Magister-Studiengänge auf die Basiswissen vermittelnde Bachelor- und die darauf aufbauende Master-Struktur umgestellt.

Berlin, Staatsbibliothek: Entspannt trinkt Jenny Berg vor dem Eingang ihren Kaffee. "Ich habe meinen Job aufgegeben, da in den ersten beiden Semestern zu viel für die Uni zu tun war", berichtet die 23-jährige Studentin. Gleichwohl stimmt sie nicht ins Bachelor-Klagelied ein. Sie sieht Vorteile. In ihrem Fach sei die Umstellung auf den Bachelor gut gelungen. Und durch den Druck von Beginn an sei sie viel besser ins Studium hereingekommen.

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Dder Mittelweg als Lösung

"Der Bachelor macht dumm", konstatierte der Politikwissenschaftler Peter Grottian hingegen in der Zeit. Fachidiotie und Karrieredenken träten an die Stelle des freien Geistes. Die Kritik an Bologna führt zu einer Idealisierung des Studiums Humboldtscher Prägung. Preußens Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt schuf mit seinen Ideen das freie, selbstbestimmte Studium, das die Universitätslandschaft bis Bologna dominierte.

Arbeitgeber klagten jedoch, dass Absolventen nicht zielgerichtet ausgebildet würden. Viele Professoren loben heute, Studenten würden jetzt zum konsequenten Studieren angehalten. Der Stoff werde viel schneller vermittelt. Statt umfangreicher Examen am Ende des Studiums werde nun mit Klausuren nach jedem Semester die Studienleistung gleichmäßig und fair bewertet.

Vielleicht ist der Mittelweg die Lösung: Nach zehn Jahren Bologna soll der Bachelor in Deutschland jetzt großzügiger gestaltet werden - zum Beispiel durch die Verlängerung der Studiendauer bis zum Abschluss von jetzt zumeist sechs auf künftig acht Semester. Dann bliebe mehr Zeit zum Jobben, für Auslandssemester, zur Vertiefung des Wissens - und zum Genießen der rarer gewordenen Uni-Partys.

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