Biomedizin-Studiengänge:Viren und Verbrechern auf der Spur

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Absolventen der Biomedizin können in unterschiedlichen Branchen Fuß fassen. Sie arbeiten zum Beispiel in der Pharmaindustrie, im Gesundheitsamt, in der Kriminalistik oder im Marketing.

Von Elisabeth Pörnbacher

Aus einem Raum an der Hochschule Reutlingen kommen nur Frauen und Männer, die weiße Kittel tragen. Am Eingang sind gelbe Dreiecke mit schwarzem Rand und einem Ornament mit drei Kreisen in der Mitte angebracht. Sie weisen auf Gefahren für Mensch und Umwelt hin. Das können etwa toxische Substanzen oder Röntgenstrahlen sein. Das Symbol einer schwarzen Hand, rot umkreist und durchgestrichen, zeigt an: Unbefugte haben keinen Zutritt.

Aber hinter der Tür sieht es gar nicht so aus, als würden dort Gefahren lauern, alles macht einen sehr geordneten Eindruck: Messbecher stehen da, Flaschen mit Flüssigkeiten, Mikroskope, 3-D-Drucker. Diplom-Ingenieurin Kiriaki Athanasopulu, 41, führt durch das Labor, durch ihr kleines Reich: Stolz zeigt sie die Nachbildung eines Kehlkopfs, der nach dem Vorbild von Computertomografie-Bildern aus dem 3-D-Drucker kam. Dann nimmt sie vorsichtig eine Petrischale in die Hand, in der ein Geflecht aus Draht liegt. Athanasopulu blickt hinein und lächelt. Auf dem Draht sind Zellen gewachsen, die normalerweise die Innenhaut von Blutgefäßen bilden. Genau das wollte sie erreichen.

Athanasopulu ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Angewandte Chemie. Sie befasst sich mit dem Bereich Biomaterialien und leitet das Labor für Biomedizin der Hochschule Reutlingen. Im Labor zeigt sie Studierenden, wie biologische Prozesse ablaufen, zum Beispiel wie Medikamente auf Tumorzellen wirken. Zudem bringt sie ihnen bei, wie man naturwissenschaftliche Methoden zur Beantwortung medizinischer Fragen nutzt. Sie sagt: "Wir konzentrieren uns nicht nur auf Biologie, wir erforschen die Interaktion zwischen Lebendigem und Materiellem." Im vergangenen Semester etwa hat ein Team aus Biomedizin- und Medizintechnik-Informatik-Studierenden einen Roboter gebaut, der automatisiert Oberflächen mit Polyelektrolyten - wasserlöslichen Verbindungen - beschichtet. Einige Studenten beschäftigen sich indes mit der Frage, wie menschliche Zellen auf das Material von Implantaten reagieren.

Gut 20 Hochschulen und Unis in der Bundesrepublik bieten biomedizinische Studien an

In Deutschland gibt es mehr als 20 Universitäten und Hochschulen, die den Studiengang Biomedizin anbieten. Nicht alle unter demselben Namen. Die Bezeichnung des Studiengangs variiert: So wird etwa an der Uni in Greifswald Biomedical Sciences gelehrt, in Freiburg und Tübingen Molekulare Medizin und in Chemnitz, Ansbach und Dortmund Biomedizinische Technik.

Die Voraussetzungen für die einzelnen Studiengänge ähneln sich jedoch: Angehende Studierende brauchen ein Fachabitur oder einen Meisterabschluss. An Hochschulen schreiben sich auch bereits ausgebildete Biologisch-technische oder Medizinisch-technische Assistenten ein, die ihr Wissen vertiefen wollen.

Sarah Mundigl hat sich schon immer für Medizin interessiert. Darum hat sie eine Ausbildung zur Rettungsassistentin gemacht. "Das Praktizieren hat mir Freude bereitet", sagt sie. "Doch ich wollte mehr wissen und meinen Forschungsdrang stillen." Also hat sie sich an der Hochschule Reutlingen beworben. Sie ist eine von 40 Studierenden, die es in den siebten Jahrgang geschafft haben. Beworben haben sich weit mehr Kandidaten.

Wie reagieren Tumorzellen auf bestimmte Medikamente? Biomedizin-Studenten verbringen viel Zeit im Labor. (Foto: Mauritius Images)

An den meisten Hochschulen müssen Interessierte eine Art Zulassungstest absolvieren und anschließend in einem Auswahlgespräch überzeugen. Wichtig dabei sind Abiturnote, naturwissenschaftliche Kenntnisse und vor allem die Motivation der Kandidaten. "Bei uns bewerben sich viele Interessenten, die nicht am Patienten arbeiten möchten, sich aber für biomedizinische Fragestellungen interessieren", sagt Petra Volkmar, Studiendekanin des Studiengangs "Biosciences - Angewandte Biologie für Medizin und Pharmazie" an der Hochschule Fresenius in Idstein. Andere, sagt sie, haben Familienmitglieder, die an einer Krankheit leiden, und wollen deshalb Heilungsmöglichkeiten erforschen und Wirkstoffe entwickeln. Wieder andere interessieren sich für einen Teilbereich der Biomedizinischen Analytik, etwa Forensik oder Diagnostik, wollen sich aber nicht sofort darauf spezialisieren.

Darum lernen sie im Biomedizin-Studium erst mal die Grundlagen des Fachs und besuchen Vorlesungen zu Bioanalytik, Zellkulturtechnik, Biomaterialien, Angewandte Chemie, Biochemie, Mikrobiologie, Analytik, Anatomie, Physiologie, Pathologie, Mathematik, Physik. Was die Studierenden in der Theorie erlernen, sollen sie auch praktisch anwenden. Darum wird das trockene Grundlagenstudium im Lauf der Semester immer mehr durch Praxisstunden aufgelockert. Die Studierenden arbeiten in Laboren und absolvieren Praktika an Instituten oder in der Industrie.

Sarah Mundigl ist zurzeit im sechsten Semester, gerade hat sie ein Praxissemester in Schweden hinter sich. Dort hat sie gelernt, wie man Viren als Transportmittel nutzt, um Medikamente gezielt in den Körper zu bringen. Studierende tun während der Praktika ganz unterschiedliche Dinge - sie forschen zum Thema Diabetes, produzieren Knorpel oder Rasenfärbemittel, analysieren die Qualität von Lebensmitteln, werten forensische Spuren aus, testen Medikamente an Tumorzellen oder versuchen, Impfstoffe zu entwickeln.

Genauso breit gefächert wie die verschiedenen Praktika sind die späteren Berufsmöglichkeiten für Biomediziner. Sie arbeiten in der Pharmaindustrie, in verschiedenen Laboren, im Gesundheits- und Kriminalamt, in der Qualitätskontrolle für Lebensmittel oder im Marketing für die chemische, biotechnologische oder medizinische Industrie. Sie können sich aber auch auf Diagnostik oder Forensik spezialisieren und anhand von biologischen Analysen versuchen, Spuren im Blut, im Speichel, im Urin zu lesen. Dadurch können sie unter anderem herausfinden, wie eine Krankheit entstanden oder woran ein Mensch gestorben ist.

Das Berufsfeld wächst, sagt Petra Volkmar von der Hochschule Fresenius: "Gerade in der personalisierten Medizin gibt es große Fortschritte. Krankheiten können früher erkannt und gezielter behandelt werden - mit individualisierten Therapien. Das Finden von Krankheitsursachen und Behandlungsmethoden gehört zu einem wichtigen Forschungszweig innerhalb der Biomedizin. Außerdem braucht es auch im Bereich der Qualitätssicherung in den entsprechenden Sparten immer mehr Experten mit einer fundierten Ausbildung in biomedizinischer Analytik."

In welche Richtung Sarah Mundigl nach dem Studium gehen will, weiß sie noch nicht. Sie möchte nach dem Bachelor- ein Masterstudium absolvieren. Die Auswahl ist groß: Es gibt 40 Studiengänge in Deutschland - von Angewandter Biomedizintechnik über Biomechanik-Motorik-Bewegungsanalyse, Biomedical Engineering und Biomedizinisches Management und Marketing bis hin zu Toxikologie.

Vier Semester fehlen Mundigl bis zum Masterabschluss. Danach kann sie endgültig vom Hörsaal ins Labor wechseln.

© SZ vom 22.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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