Bildungsstreik in Deutschland:Protest in Sicht

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Schüler und Studenten planen für Mitte Juni einen bundesweiten "Bildungsstreik". Doch das Fundament für eine Rebellion ist brüchig: Für Proteste gibt es keine Credit Points.

Tanjev Schultz

Der französische "Frühling der Stühle" (printemps des chaises) klingt allmählich aus. Wochenlang hatten Studenten und Dozenten Frankreichs Hochschulen bestreikt, Stühle ins Freie gestellt, sie zu Skulpturen aufgetürmt und Institute blockiert. Der Protest richtete sich gegen die Reformen Sarkozys, der die Unis stärker auf Wettbewerb trimmen will. Doch nun hat in Frankreich die Prüfungszeit begonnen, das Ende des Semesters naht, die Rebellen gönnen sich eine Pause.

Französische Studenten protestieren für ein besseres Bildungssystem: Auch in Deutschland plant ein Bündnis aus Schülern und Studenten für einen bundesweiten "Bildungsstreik". (Foto: Foto: ap)

In Deutschland soll es jetzt überhaupt mal losgehen. Ein Bündnis aus Schülern und Studenten plant für Mitte Juni einen bundesweiten "Bildungsstreik". Am 17. Juni soll er in Großdemonstrationen gipfeln, auf denen die Schüler und Studenten mehr Geld und bessere Studien- und Lernbedingungen verlangen wollen. Die Organisatoren fordern, was man in linken Zirkeln eben so fordert, wobei darunter ein paar Dinge sind, die konservative Philologen und Professoren ähnlich sehen.

Gegen die Verschulung des Studiums

Widerstand richtet sich gegen die verkürzte Gymnasialzeit, die Bachelor-Master-Reform und eine Verschulung des Studiums. Auf der Wunschliste stehen demokratische, gebührenfreie Schulen und Hochschulen und ein Ende des gegliederten Schulsystems. "Selbstbestimmtes Lernen und Leben" sei das Ziel, was die Demonstranten jedoch nicht davon abhalten soll, mehr Stellen für Lehrer und Dozenten zu verlangen.

Am Wochenende trafen sich Schüler und Studenten in Hamburg, um letzte Vorbereitungen zu treffen. Vielleicht werde man nicht Millionen mobilisieren, sagt der Berliner Philosophie-Student Tobias Schumann. Aber 200.000 Demonstranten seien schon ein realistisches Ziel. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Attac wollen sich an den Protesten beteiligen.

Furcht vor Linksautonomen

Die Hamburger Gymnasiastin Pia Erzigkeit hofft, dass es in der Streikwoche gelingt, Schulen zu besetzen und "guten Unterricht ohne Druck" zu organisieren. Vor einer "Krawalldemo" hingegen warnt sie; viele ihrer Mitschüler seien sofort verschreckt, wenn sie von Linksautonomen hören, erzählt die 17-Jährige.

Pia Erzigkeit geht es nicht nur um das große Ganze, das schon auch. Sie hat konkrete, scheinbar kleine Ziele: Der Schulverein ihres Gymnasiums soll Jugendlichen helfen, die kein Geld für Bücher und Studienreisen haben. Kinder aus Hartz-IV-Familien könnten zwar Hilfen beantragen, aber es gebe eben noch andere Fälle, in denen die Eltern nicht zahlen können oder wollen. Pia hat das selbst erfahren müssen, "sozial Schwächere haben weniger Chancen, das kann doch nicht sein", sagt sie.

Verpuffter Protest

Schon im vergangenen November hat sie mitgemacht, als bundesweit Schüler und Studenten auf die Straße zogen. Der Protest verpuffte damals zunächst; er war etwas unglücklich terminiert - erst wenige Wochen zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Regierungschefs der Länder auf einem großspurig angekündigten "Bildungsgipfel" in Dresden getroffen, mit magerem Ergebnis. Eine Massendemonstration hätte dem Gipfel gutgetan, doch in Dresden blieb es ruhig.

Die Streikwoche Mitte Juni fällt nun zumindest zusammen mit einem Treffen der Kultusminister. Eine Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern, auf der über Milliardeninvestitionen für die Unis entschieden werden könnte, tagt allerdings bereits am 4. Juni.

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In der Wunde bohren

Das vage Versprechen des Bildungsgipfels, mehr Geld für Bildung auszugeben, gerät wegen der Wirtschaftskrise immer weiter in den Hintergrund. Schüler und Studenten wollen das nicht hinnehmen: Für den 18. Juni kündigen sie sogar einen "Tag des zivilen Ungehorsam" an. Geplant sind symbolische Banküberfälle nach dem Motto: "Geld für Bildung statt für Banken". Allein mit dem Staatsgeld für die Hypo-Real-Estate könnte man zwei Millionen Studienplätze finanzieren, argumentieren die Organisatoren des Bildungsstreiks. Sie verlangen ein Rettungspaket für Schulen und Hochschulen in Höhe von mehr als 100 Milliarden Euro, einzuspeisen in einen Sonderfonds für bessere und freie Bildung (SofbfB). Einen "Mahnbrief" an Finanzminister Peer Steinbrück und die Banken haben sie bereits geschrieben.

Dass sich auch Steinbrück wohl besseres vorstellen konnte, als einen Sonderfonds zur Finanzmarktstabilisierung (Soffin) einzurichten und Banken und Managern reihenweise aus der Patsche zu helfen, verschweigen die Aktivisten. Sie bohren lieber in einer Wunde, die auch jene staatstragenden Lehrer und Forscher schmerzt, die bei einem "Tag des zivilen Ungehorsams" lieber mal die Polizei rufen: Die Not der Schulen und Unis nimmt die Politik seit Jahren in Kauf, bei einer Absatzkrise der Automobilwirtschaft beschließen die Abgeordneten dagegen innerhalb weniger Tage milliardenschwere Abwrackprämien.

Linke Rebellion

Einen wochenlangen und flächendeckenden Studentenprotest, wie er in Frankreich fast schon normal ist, kann man sich in Deutschland allerdings kaum vorstellen. Die Studenten werden immer unpolitischer, behauptet eine Studie von Wissenschaftlern der Uni Konstanz: Anfang der achtziger Jahre hätten noch 54 Prozent der Studenten gesagt, sie seien sehr am politischen Geschehen interessiert, 2007 waren es nur noch 37 Prozent. Und nur noch jeder vierte verstehe sich als "klar links", früher sei es jeder dritte Student gewesen. Das Fundament für linke Rebellion ist demnach brüchig, zumal viele Studenten in den neuen Bachelor-Studiengängen wenig Zeit für ein Ehrenamt oder einen langen Bildungsstreik haben. Dauernd wollen Prüfungen gemeistert werden, und für Protestaktionen gibt es keine credit points.

Schaut man genauer hin, sieht man aber so manche lokale Bewegung. In Potsdam wehren sich Studenten gegen Zulassungshürden beim Master-Studium; eine Vollversammlung war vor kurzem sehr gut besucht. In Heidelberg besetzten Romanistik-Studenten zum Semesterstart ihr Institut, um auf die schlechte Betreuung aufmerksam zu machen. Angehende Lehrer der Pädagogischen Hochschule demonstrierten in Heidelberg gegen die Finanznot ihrer Alma Mater. In Leipzig organisierten Studenten Protesttage und diskutierten über die Probleme im Bachelor-Studium. In Niedersachsen protestieren Schüler, Lehrer und Eltern vehement gegen ein neues Schulgesetz, in Bayern gab es im Mai wieder größere Proteste gegen die Studiengebühren.

Zornige und Enttäuschte, die an einem bundesweiten Bildungsstreik teilnehmen könnten, gibt es genug. Jedenfalls so lange, bis auch in Deutschland die Ferienzeit beginnt.

© SZ vom 25.5.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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