Bildungsexpertin:"Es geht darum, wie die Gesellschaft inklusiver gestaltet werden kann"

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In Deutschland mangelt es an Fach- und Führungskräften für Integration. Inzwischen gibt es spezielle Studiengänge, die für die nötige Qualifikation sorgen sollen.

Interview von Jeannette Goddar

"Soziale Arbeit - Integrationsmanagement" heißt ein neuer Studiengang an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HDWM) in Mannheim. Studiengangsleiterin Wera Hemmerich erläutert, welche Fachkenntnisse er vermittelt und welche Zielgruppe angesprochen wird.

SZ: Seit 2017 bietet die H DWM einen Bachelor mit dem Schwerpunkt Integrationsmanagement an. Was ist das?

Wera Hemmerich: Integration betrachten wir als zentrale gesellschaftliche Aufgabe, und zwar als eine Aufgabe mit großem Handlungsbedarf. Der Begriff Management bedeutet: Wir schauen uns die bestehenden Strukturen daraufhin an, was getan werden muss, um in einer sich wandelnden Gesellschaft zu möglichst guten Ergebnissen im Hinblick auf die Teilhabe aller oder möglichst vieler Menschen zu kommen. Dafür bilden wir Fach- und Führungskräfte aus.

Das klingt nach einem sehr betriebswirtschaftlichen Zugang.

Bund, Länder und Kommunen bringen jährlich insgesamt mehr als 900 Milliarden Euro für Sozialausgaben auf. Angesichts dessen ist es schon wichtig, dass diese Gelder von entsprechend ausgebildetem Personal investiert werden. Wir verknüpfen diese Thematik mit gründlichen integrationsspezifischen Kenntnissen. Wie schwer es ist, in dem Bereich Fachkräfte zu finden, hat sich zu Zeiten des großen Flüchtlingszuzugs 2015 deutlich gezeigt. Damals suchten zahllose Träger Menschen, die sich Fragen widmen wie: Wie wird die Unterbringung organisiert? Wie kommen die Menschen in Sprachkurse, ins Bildungssystem, in die berufliche Vorbereitung? Wer organisiert eine unter Umständen notwendige psychologische Unterstützung zur Traumabewältigung?

Nun ist die Zeit des großen Zuzugs aber doch schon wieder vorbei.

Damit ist das Thema allerdings nicht erledigt - die Menschen sind noch da. Außerdem ist der Integrationsgedanke in unserem Studiengang viel weiter gefasst. Es geht darum, wie die Gesellschaft inklusiver gestaltet werden kann - sein Thema ist nicht nur die Integration von Geflüchteten oder Zuwanderern, sondern er befasst sich auch mit der Integration von Langzeitarbeitslosen oder Menschen mit einer Behinderung. Das Thema Integration zieht sich zwar als roter Faden durch das Studium. Die Absolventen können mit der Qualifikation aber auch in anderen Feldern arbeiten. Der Abschluss ist ein staatlich anerkannter Bachelor in Sozialer Arbeit - mit dem Zusatz Integrationsmanagement.

Fachkenntnisse in Sozialarbeit, juristische Fragen und interkulturelle Kompetenz - das Besondere am neuen Studiengang, sagt Wera Hemmerich, sei die Kombination dieser Fächer. (Foto: privat)

Wie sieht das Curriculum aus?

Das reicht eben von klassischen Themen der Sozialen Arbeit - etwa von den Theorien und Institutionen der Sozialen Arbeit, der Elementarförderung über die Entwicklungspsychologie, Systemische Beratung und Klinische Sozialarbeit - bis zu einem fundierten Wissen zu Fragen, die sich im Themenfeld Migration und Flucht stellen.

Müssen sich die Teilnehmer in das fast unüberschaubare Feld des Aufenthalts- und Ausländerrechts einarbeiten?

Nicht nur das. Hinzu kommen Kenntnisse in Sozial-, Jugend- und Familienrecht. Insofern haben Sie recht: Alle unsere Absolventen benötigen grundlegende juristische Kenntnisse. Das ist mit einem großen Arbeitsaufwand verbunden, aber es ist leider unerlässlich. Sie müssen ja in ihren Arbeitsfeldern - zumal als Führungskräfte - rechtssicher handeln.

Wer sind die Studierenden?

Zurzeit sind erst zwei Jahrgänge im Studium. Von jenen 16 sind sechs Männer, das sind für die Soziale Arbeit recht viele. Es fällt auf, dass nahezu alle ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert haben. Ein großer Teil bringt Erfahrungen aus der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe mit.

Heißt das, dass die meisten in der Flüchtlingshilfe arbeiten wollen?

Bei den Anfragen für die Praxisphasen ist das ein Schwerpunkt. Doch auch Jugendarbeit interessiert einige - und dort zum Teil die Jugendarbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Andere wollen sich noch nicht festlegen. Sie schauen erst einmal in so vielen Bereichen wie möglich, was etwas für sie sein könnte.

Gibt es Studierende, die selbst geflüchtet sind?

Nein - das wird sich in einigen Jahren hoffentlich ändern. Allerdings haben zwölf von 16 Studierenden einen Migrationshintergrund, mindestens zwei stammen aus einer Familie mit Fluchtgeschichte. Das ist gut so: Wie in der Polizei und im öffentlichen Dienst ist es auch in der Sozialen Arbeit wichtig, dass diese vielfältig besetzt ist.

Weil Sozialarbeiter aus Zuwandererfamilien interkulturell kompetenter sind?

Nein, interkulturelle Kompetenz ist kein Selbstläufer. Allerdings hat man, wenn man aus einer solchen Familie kommt, in aller Regel schon mit kulturellen Differenzen und verschiedenen Zugängen zu Themen zu tun gehabt. Und die Förderung dieser Kompetenz ist ein weiterer wichtiger Schwerpunkt unseres Studienganges.

Wie macht man das?

Wer interkulturell kompetent ist, muss imstande sein, die eigene Position zu reflektieren, also zu sehen: Von welchem Standpunkt aus handle ich selbst? Welche ist in diesem Kontext meine Rolle? Das geht nicht, ohne die eigene Biografie, den eigenen Status zu hinterfragen. Üben kann man das in Rollenspielen oder in Gesprächen, mithilfe von Fallbeispielen.

Und die klassischen Sozialarbeit-Studiengänge bringen dem Studenten all das, was Sie beschreiben, nicht bei?

Wir glauben: Nicht in der benötigten Kombination. Das meint auch das Land Baden-Württemberg, das unseren Studiengang finanziell unterstützt. In der Sozialen Arbeit ist ja zurzeit auch noch extrem viel Anderes in Bewegung: vom Ausbau und der Akademisierung der Elementarpädagogik und der Schulsozialarbeit über das riesige Inklusionsthema bis hin zum demografischen Wandel. Von Letzterem ist der soziale Arbeitsmarkt zudem selbst betroffen. In jedem Fall stellen wir fest: Wir werden bereits heute gefragt, wann unsere ersten Absolventen fertig sind.

© SZ vom 22.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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