Beurteilung von Mitarbeitern:Nicht geschimpft ist genug gelobt

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Martina Perreng vom DGB erklärt, wie sich gute Leistung messen lässt - und Chefs dafür Anerkennung aussprechen sollten.

B. Sommerhoff

Nicht geschimpft ist genug gelobt - immer noch halten viele Führungskräfte dieses Prinzip für ein taugliches Mittel der Mitarbeiterführung. Dabei ist klar, dass nichts motivierender ist als Anerkennung einer Leistung. Wie aber lässt sie sich messen? Ist das Instrument der Mitarbeiterbeurteilung ein probates Mittel? Martina Perreng, Referatsleiterin des Bereichs Arbeits- und Sozialrecht beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), ist skeptisch.

Nicht geschimpft ist genug gelobt: Kaum ein Chef hat nette Worte für seine Mitarbeiter übrig. (Foto: Foto: iStock)

SZ: Was nützt eine formale Leistungsbeurteilung dem Mitarbeiter?

Martina Perreng: Sie schafft eine gewisse Transparenz, wenn es um die Beförderung oder die Eingruppierung eines Mitarbeiters geht. Und sie kann eine persönliche Leistungskontrolle sein. Beides liegt dicht beieinander. Wer Karriere machen will, muss erst mal wissen, ob seine Leistungen, Kenntnisse und Fähigkeiten dafür ausreichen oder ob zum Beispiel eine Qualifizierung nötig ist.

SZ: Das Verfahren hilft also dabei, sich selber besser einzuschätzen?

Perreng: Ja, allerdings mit einem Pferdefuß: Es ist sehr schwierig, die Beurteilung so hinzukriegen, dass sie objektiv ist. Eine wirklich nützliche Beurteilung erfordert einen erheblichen personellen Aufwand, der für kleinere Betriebe kaum zu leisten ist - und den auch größere Betriebe selten leisten wollen.

SZ: Was ist daran so schwierig?

Perreng: In manchen Berufsfeldern ist es kaum möglich zu ermitteln, warum bestimmte Ziele nicht erreicht wurden. Ob zum Beispiel der Mitarbeiter nicht genügend geleistet hat - oder ob die äußeren Umstände, die er nicht zu verantworten hat, schuld daran waren, dass er die Ziele nicht erreicht hat.

SZ: Darüber können Vorgesetzte und Mitarbeiter doch diskutieren.

Perreng: Ja. Vorausgesetzt, man hat zuvor die Anforderungen definiert und festgelegt, welche externen Einflussfaktoren man überhaupt anerkennt. Das hat dann wieder viele subjektive Momente.

SZ: Sobald externe Faktoren für eine Arbeit dominant sind - sollte man dann auf Mitarbeiterbeurteilung verzichten?

Perreng: Ja. Trotzdem kann ich ja bestimmte Ziele etwa in Bezug auf Fortbildung formulieren. Dazu ist die Beurteilung des Mitarbeiters, also die Messung seines "Wertes" nicht notwendig, sondern nur die Erkenntnis, dass sich Mitarbeiter permanent fortbilden sollten.

SZ: Was sollte bei einer Leistungsbeurteilung überhaupt bewertet werden? Ausschließlich objektiv messbare Kriterien?

Perreng: Ja. Weil alles andere viel zu sehr vom Charakter, der Persönlichkeit und den individuellen Vorlieben des Bewertenden abhängt. Nehmen Sie eine Sekretärin: Als Vorgesetzter könnte mir ihre Fähigkeit, das Büro zu organisieren, sehr wichtig sein. Dafür sehe ich darüber hinweg, dass die Briefe schon mal Tippfehler enthalten. Ein anderer bewertet das vielleicht genau umgekehrt und besteht auf fehlerfreier Orthographie, stört sich aber nicht daran, dass ab und zu ein Stapel liegen bleibt. Das heißt: Wenn ich eine Sekretärin von zwei verschiedenen Personen beurteilen lasse, kommt womöglich eine völlig unterschiedliche Bewertung der gleichen Person heraus. Das verunsichert.

SZ: Das klingt, als könne man nur quantitativ messbare Arbeitsergebnisse beurteilen, nicht aber Eigenschaften wie Engagement, Teamfähigkeit oder Zuverlässigkeit.

Perreng: Solche Faktoren lassen sich tatsächlich schwer messen. Wie wollen Sie zum Beispiel Freundlichkeit messen? Ob uns eine Person sympathisch und angenehm erscheint, ist eine ganz individuelle Einschätzung. Das zu beurteilen und sogar an Entlohnung zu koppeln, halte ich für gefährlich. Freundlichkeit ist aber im Dienstleistungsbereich auch in Job-Ausschreibungen eine geforderte Eigenschaft. Das gilt genauso für das Kriterium Engagement. Nehmen Sie den Pressebereich in einem Unternehmen. Jemand, der leise Kontakte pflegt und auch mal verhindert, dass eine Negativmeldung herausgeht, erscheint intern vielleicht als wenig engagiert, weil er nicht herumwirbelt. Tatsächlich leistet er aber eine Menge.

SZ: Nun könnte man sagen: Ein guter Vorgesetzter weiß das und kann das entsprechend einschätzen.

Perreng: Ja, aber dann muss man definieren, wer ein guter Vorgesetzter ist...

SZ: Nehmen wir mal an, wir haben diesen guten Vorgesetzten. Er kennt die Anforderungen an den Job seiner Mitarbeiter, kann sie präzise definieren und auch vermitteln. Beide halten die Anforderungen schriftlich fest und ziehen nach einem Jahr Bilanz. Zunächst muss der Mitarbeiter sich selbst einschätzen, dann beurteilt der Vorgesetzte die Leistung. Warum soll das nicht funktionieren?

Perreng: Wenn das Verfahren stark individualisiert und auf die jeweiligen konkreten Arbeitsanforderungen bezogen ist, dann könnte es funktionieren. Aber das erfordert eine große Bereitschaft und Fähigkeit der Beschäftigten, die eigenen Stärken und Schwächen einzuordnen. Das setzt Vertrauen voraus - etwas, was im Arbeitsprozess nicht eben häufig gepflegt wird. Selbst wenn Sie den sehr guten Vorgesetzten hätten - das Gespräch über die Stärken und Schwächen wäre doch sehr konfliktträchtig.

SZ: Wieso?

Perreng: Zu solchen Gesprächen gehört eine ausgeprägte kommunikative Fähigkeit. Man muss gelernt haben, den anderen mit bestimmten Einschätzungen nicht zu verletzten und ihm umgekehrt die Möglichkeit zu geben, offen seine Einschätzung zu äußern.

SZ: Mitarbeiter können sich nicht aussuchen, ob sie ein Beurteilungsprozedere mitmachen oder nicht. Worauf sollten sie achten, wenn in ihrem Unternehmen die Beurteilung obligatorisch ist?

Perreng: Man soll sich von solch einem System nicht korrumpieren lassen. Am besten ist es, man streicht das Ziel aus dem Kopf, den Bonus bekommen zu wollen. Stattdessen sollte man das Ziel verfolgen, die eignen Fähigkeiten und Kenntnisse zu stärken und weiterzuentwickeln. Mein Rat: Man sollte sich einem Wettbewerb nur begrenzt unterwerfen. Auch äußere Faktoren wie längere Krankheit können ja dazu führen, dass die Ziele nicht erreicht werden.

SZ: Der Wert einer Leistungsbeurteilung könnte ja gerade darin liegen, dass sich der Vorgesetzte mit diesen Faktoren beschäftigt und dem Mitarbeiter Hilfe anbietet. Oder dass beide gemeinsam über die berufliche Planung diskutieren.

Perreng: Das ist sicher möglich. Aber es setzt dann voraus, dass der Mitarbeiter auch Leistungen vom Unternehmen einfordern kann. Wenn von ihm bestimmte Fähigkeiten erwartet werden, dann sollte er die Firma auffordern können, ihn dazu zu befähigen, etwa durch Weiterbildung. Oder wenn eine Arbeit in knapper Zeit und mit wenigen Leuten geleistet werden muss, dann muss auch die Forderung nach zusätzlicher Vergütung möglich sein.

SZ: Ist das realistisch?

Perreng: Die wenigsten Arbeitnehmer werden wirklich solche Forderungen stellen - schon aus Angst vor einem Konflikt und um ihren Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Das ist eher das Verhalten einer relativ kleinen Gruppe von Angestellten, die hochqualifiziert sind und wissen, dass sie jede Menge Alternativen haben. Es setzt ja auch ein gewisses Selbstbewusstsein voraus. Die meisten Mitarbeiter, die mit zu wenig Personal, zu wenig Zeit für bestimmte Arbeiten etcetera konfrontiert werden, die wurschteln sich irgendwie durch. Die führen keine theoretischen Gespräche mit ihrem Chef, ob sie eine Fortbildung machen oder ob die Arbeit anders eingeteilt werden sollte.

© SZ vom 26.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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